Paläogenetik:Forscher finden die ältesten Spuren des Pesterregers

Yersinia pestis

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt das Pestbakterium Yersinia pestis.

(Foto: dpa)
  • In einem etwa 5000 Jahre alten Grab haben Paläogenetiker den ältesten bekannten Stamm des Pesterregers entdeckt.
  • Die Forscher vermuten, dass die Pest zunächst in Osteuropa auftauchte und sich über Handelsrouten ausbreitete.

Von Astrid Viciano

In einem Massengrab lagen sie aufgetürmt, die Überreste von 78 Menschen. In der Nähe des heutigen Bauerhofes Frälsegården in Gökhem bei Falköping im Westen Schwedens waren sie in kurzer Zeit nacheinander gestorben, vor etwa 4900 bis 5100 Jahren. Was war geschehen? Für eine Schlacht gab es keine Anzeichen, alles sprach für eine bis dahin unbekannte Epidemie.

Erst eine genetische Analyse der Überreste konnte das Rätsel nun lösen: Die Menschen waren an der Pest gestorben. Nie zuvor haben Forscher einen so alten Bakterienstamm des gefürchteten Erregers entdeckt, so berichten es Paläogenetiker und Archäologen aus Schweden, Dänemark und Frankreich aktuell im Fachblatt Cell.

Große Ausbrüche der Pest sind aus der Geschichte bekannt, allein der Schwarze Tod im 14. Jahrhunderte kostete Schätzungen zufolge 25 Millionen Menschen das Leben. "Es sind vielleicht die für den Menschen tödlichsten Bakterien, die jemals existiert haben", sagt Studienautor Simon Rasmussen, Systembiologe an der Technischen Universität Kopenhagen.

Mit Hilfe seiner Analysen des antiken Erbguts konnten sich Rasmussen und Kollegen auf eine Art Zeitreise begeben und sich ansehen, wie sich der Erreger Yersinia pestis einst ausgebreitet hat. Und wie er dem Menschen so gefährlich werden konnte.

Dafür durchforsteten Rasmussen und seine Kollegen zunächst Datenbanken, sahen sich antike Gensequenzen aus frühen menschlichen Überresten an, suchten darin nach Ähnlichkeiten mit modernen Peststämmen. Im Massengrab wurden sie fündig. Es wurde zwischen 1999 und 2001 ausgehoben. Die darin geborgenen Überreste stellen das am besten dokumentierte Knochenmaterial eines Ganggrabs in Skandinavien dar, berichtet der an der Studie beteiligte Archäologe Karl-Göran Sjögren. In der Jungsteinzeit waren solche Grabanlagen im heutigen Schweden üblich, sie bestanden aus unbehauenen Steinblöcken, darin lag ein Gang und eine Kammer.

In den menschlichen Überresten von Frälsegården fanden die Paläogenetiker einen Bakterienstamm, den sie noch nie zuvor gesehen hatten. Er trug Gene in sich, welche die Lungenpest noch heute zu einer oft tödlichen Erkrankung machen.

"Die Orte wurden verlassen und abgebrannt"

Wo aber kam der Erreger her und wie war er in die winzige Siedlung in Westschweden gelangt? Bis dahin hatten Wissenschaftler vermutet, dass Einwanderer einer großen Migrationswelle die Pest vor etwa 5000 Jahren aus der Eurasischen Steppe nach Europa brachten. Dem widerspricht das Team um Rasmussen jetzt: Die aktuelle Genanalyse ergab nämlich, dass die Bakterien aus den Überresten der jungen Frau, deren Überreste ebenfalls in dem Massengrab lagen, zu einem Stamm gehörten, der sich schon vor 5700 Jahren entwickelt hatte, vor Beginn der großen Wanderungen.

Zu jener Zeit waren in Teilen Osteuropas große Siedlungen mit bis zu 20 000 Einwohnern verbreitet. "Diese Siedlungen waren zehnmal so groß wie alle anderen Wohnorte", sagt Rasmussen. Dort lebten Menschen auf engem Raum, in direktem Kontakt zu Tieren, die wahrscheinlich die ursprüngliche Quelle des Erregers waren.

Auch lockte die Lagerung von Nahrungsmitteln Nagetiere an. Und in den vermutlich schlechten sanitären Einrichtungen konnten Bakterien unkontrolliert wachsen. "Das waren ideale Bedingungen für das Auftreten von Infektionskrankheiten, besonders für die Pest", sagt der Mikrobiologe Nicolás Rascovan von der Universität Aix-Marseille, der ebenfalls an der aktuellen Arbeit beteiligt war.

Interessanterweise brachen die Megasiedlungen um die Zeit zusammen, zu der die Wissenschaftler die Pestausbrüche vermuten. "Die Orte wurden verlassen und abgebrannt", sagt Rasmussen. Die Pest begann sich über Handelsrouten auszubreiten, bis in die kleine Siedlung in Schweden, in der die Frau aus dem Massengrab einst lebte, vermutet der Paläogenetiker. Warum er das glaubt? Weil die Genanalysen seiner Kollegen ergaben, dass die junge Frau aus dem Massengrab nicht mit jenen Menschen verwandt war, die aus der Eurasischen Steppe nach Europa kamen. Die Pest sei also vermutlich in Osteuropa entstanden, erklärt Rasmussen.

Andere Forscher sind noch nicht überzeugt. "Das ist sehr spekulativ", sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Ein Forschungsteam um den Paläogenetiker hatte im vergangenen Jahr ebenfalls eine Studie über Genanalysen verschiedener Pesterreger aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit veröffentlicht. Auch Krause und Kollegen hatten antikes Erbgut aus menschlichen Skeletten gewonnen, darunter aus den Überresten von zwei Menschen im Raum Augsburg. "Die Erreger waren in der Bronzezeit sehr mobil und konnten in kurzer Zeit ganz Eurasien durchqueren", sagt Krause.

In jedem Fall helfen die Genanalysen der verschiedenen Bakterienstämme, die Entwicklungsgeschichte des Pesterregers nachzuvollziehen. Wie sich in relativ kurzer Zeit aus einem harmlosen Darmbakterium einer der gefährlichsten Erreger für den Menschen entwickeln konnte. "Wir wollen verstehen, welche Genveränderungen das ermöglicht haben und in welcher Reihenfolge sie auftraten", sagt der Mikrobiologe Rascovan aus dem Forscherteam der aktuellen Studie. Dann nämlich seien die Forscher vielleicht in der Lage, das Auftreten neuer Krankheitserreger vorherzusagen.

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