Wissenschaftler haben einer Toten aus der Eisenzeit ein Gesicht gegeben. Oder vielmehr fünf Gesichter. Und so schaut man mit Staunen der 2650 Jahre alten Moorleiche namens Moora in die Augen und findet sie, wie manche Medien betonen, schön und ansehnlich. Oder auch nicht. Das ist schließlich Geschmackssache. Auf jeden Fall aber machen die Darstellungen die Vergangenheit lebendiger als der Anblick von Knochen und mumifizierter Haut.
Die jetzt vorgestellten Rekonstruktionen wurden nach den Überresten einer 16 bis 19 Jahre alten Frau angefertigt, die im Jahr 2000 in einem Torfabbaugebiet bei Uchte im niedersächsischen Landkreis Nienburg/Weser entdeckt worden waren.
Um ihr Aussehen zu rekonstruieren, fügten Experten den zerbrochenen Schädel im Computer virtuell zusammen, wie der Projektleiter, Andreas Bauerochse, erklärte. Mit unterschiedlichen Verfahren wurden dann mehrere dreidimensionale Modelle und Zeichnungen von ihrem Gesicht erstellt.
Die fünf Darstellungen, die Niedersachsens Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) im Landesamtes für Denkmalpflege vorstellte, stimmen in bestimmten Punkten überein: der Form der geraden, mittelgroßen Nase, der Stellung der Augen (engstehend), den vorstehenden Wangenknochen, dem schmalen, spitzen Mund und der muskulösen Kinnpartie.
Doch ob die Frau ein schmales oder eher rundliches Gesicht besaß, lässt sich nicht mehr feststellen. Und auch die Haarfarbe bleibt ungewiss, denn die ursprüngliche Farbe ist bei der Konservierung der Leiche im Moor genauso verlorengegangen wie jeder Hinweis auf die Frisur.
"Das alles ist Moora", sagte Gerichtsmediziner Klaus Püschel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der die Rekonstruktion des Gesichts koordinierte. "Wir wissen eben doch nicht, wie sie ganz genau ausgesehen hat."
Auf jeden Fall aber würde sie in unseren heutigen Welt kaum auffallen, erklärte der Wissenschaftler laut NDR. "Es ist der Blick in das Gesicht einer jungen Frau, zu deren Zeiten Rom noch ein unbedeutendes Dorf war", sagte der Leiter des niedersächsischen Denkmalamtes, Stefan Winghart.
Medizinische Befunde deuten aber darauf hin, dass sie ein eher schweres Leben geführt hat. "Sie gehörte nicht zur begüterten Schicht, wahrscheinlich war sie eine Unfreie oder Sklavin", vermutet Paläopathologe Michael Schulz von der Universität Göttingen. Nach seinen Angaben wurde mit Moora weltweit erstmals eine Moorleiche mit modernen Methoden wie Computertomographie, Endoskopie und Elektronenmikroskop untersucht.
Dabei fand man an den Beinknochen Spuren von Wachstumsverzögerungen, die auf Phasen der Mangelernährung, auf insgesamt 14 Hungerperioden hinweisen, die Moora durchmachen musste. Sie litt unter einer chronischen Entzündung des Schienenbeins sowie an einer Verformung der Wirbelsäule, die auf schwere einseitige Belastungen hindeutet.
"Sie ist wahrscheinlich in einem Umfeld aufgewachsen, das nicht einfach zu bewältigen war", sagte Schultz. "Sie hat schwer tragen und schwer arbeiten müssen." Möglicherweise, so sein Verdacht, habe sie als Sklavin auf einem Hof in der Nähe gearbeitet, bevor sie im Moor versank.
Zwei schräge ovale Verletzungen auf dem Schädel führt Schultz auf Schläge mit einem Gegenstand zurück. "Als Ursache können wir einen Unfall vermuten oder die Auswirkungen familiärer Beziehungen."
Moora litt zudem an einem kleinen Hirntumor, an einer wahrscheinlich auf Tuberkulose zurückgehenden Hirnhauterkrankung und an einer Entzündung der Kieferhöhlen. Letzteres sei in damaliger Zeit eine typische Arme-Leute-Krankheit gewesen.
Ob Moora durch einen Unfall im Moor starb, dort bestattet oder vielleicht hingerichtet wurde, bleibt offen. "In der vorrömischen Eisenzeit haben die Menschen ihre Toten feuerbestattet", sagte Landesarchäologe Henning Hassmann laut NDR. Das gehörte in das religiöse Konzept dieser Gruppen, dass ein Toter ein Recht darauf hatte, verbrannt zu werden. Es ist auffällig, dass Moora nicht verbrannt wurde."
Es könne deshalb sein, dass sie sich innerhalb dieser eisenzeitlichen Lebensgemeinschaft in einer unteren gesellschaftlichen Position befand und deshalb einfach im Moor verscharrt wurde. Für die Forscher ist Moora deshalb ein besonderer Glücksfall, denn aufgrund der Feuerbestattungen findet man aus dieser Zeit von den Toten vor allem verkohlte Knochensplitter.
Grabbeigaben oder auch nur Kleidungungsstücke wurden bei der Leiche nicht gefunden. Möglicherweise habe die Frau ein einfaches Leinengewand getragen, das sich im Moor vollständig zersetzt habe, sagte Bauerochse. Kleidung aus Wolle, Leder oder Pelz, von der man Überreste hätte finden müssen, trug sie offenbar nicht.
Mithilfe von Bohrungen und Analysen von alten Pflanzenteilen und Pollen hat Bauerochse zudem ein Modell der Landschaft herstellen können, in der die junge Frau lebte.
Demnach war das Moorgebiet um den späteren Fundort damals wesentlich kleiner als heute. Es gab in den Sumpf hineinragende besiedelte Landzungen, auf denen die Menschen Getreide anbauten.
Zudem gab es Laubwälder, in denen Vieh weidete. Sowohl in Hannover und als auch in der Fundregion soll es Ausstellungen zu Moora geben, wie die niedersächsische Wissenschaftsministerin Wanka ankündigte.
Die als "Ötzi des Nordens" bekanntgewordene Leiche beschäftigt seit 2005 Wissenschaftler verschiedener Disziplinen. Noch nie ist eine Moorleiche so gut erforscht und mit modernsten wissenschaftlichen Techniken untersucht worden. "Moora ist etwas ganz Seltenes und birgt viele Geheimnisse, die man ihr entlocken muss", sagte die Wissenschaftsministerin.
Nachdem Knochen der Leiche im Jahr 2000 von Torfstechern im Uchter Moor entdeckt worden war, hatte die Nienburger Polizei zunächst vermutet, dass es sich um die Leiche einer vermissten Jugendlichen handle, deren Identität jedoch nicht ermittelt werden konnte.
2005 wurde an derselben Fundstelle schließlich eine mumifizierte linke Hand entdeckt, die zu der Toten passte. Mit Hilfe der Radiokarbonanalyse wurde der Fund am Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) auf 650 vor unserer Zeit datiert.
"Das war natürlich ein fachlicher Gau, dass wir zunächst nach dem Mörder gesucht haben", sagte Gerichtsmediziner Püschel.