Raumfahrt:Planlos ins All

NASA-Raumschiff Orion

Wenn das neue Orion-Raumschiff fertig ist, könnte es zum Beispiel in das Gebiet hinter dem Mond vordringen - vorerst ohne Astronauten an Bord.

(Foto: Siegfried Monser/dpa)
  • "Orion" heißt der Nachfolger des "Apollo"-Programms, das einst Menschen zum Mond brachte.
  • Nach vielen Verzögerungen wird der erste Testflug nun für frühestens 2020 erwartet.
  • Der unklare Zeitplan ist aber nicht das einzige Problem des nächsten Prestige-Projektes der Nasa.

Von Alexander Stirn

Das Geschenk, das die Europäer mitgebracht und in silbrig schimmernde Folie gewickelt haben, steht an historischer Stelle. Hier, in einem unscheinbaren Zweckbau auf dem Gelände des Kennedy Space Centers in Florida, wurden einst die Apollo-Raumkapseln startklar gemacht, mit denen US-Astronauten zum Mond flogen. Hier nächtigten Neil Armstrong und seine Kollegen, bevor sie vor knapp 50 Jahren durch eine der Türen marschierten, in einen Kleinbus stiegen und sich aufmachten zur ersten Mondlandung. Und hier soll nun erneut Geschichte geschrieben werden. Europas Geschenk, das vergangenen Freitag feierlich übergeben worden ist, könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Das Geschenk, vier Meter lang und 3,5 Tonnen schwer, heißt ESM - kurz für Europäisches Servicemodul. Es ist Antriebseinheit, Kraftwerk, Luft- und Wasserquelle für die neue US-Raumkapsel Orion, mit der die Amerikaner noch weiter ins Weltall vordringen wollen als zu Apollo-Zeiten. Sogar eine eigene Rakete entwickeln sie dafür, das Space Launch System SLS.

Es ist ein ambitioniertes, ein komplexes, ein enorm teures Programm - und eines mit vielen Fragezeichen. Denn während die Komponenten, wie das in Europa gebaute Servicemodul, langsam zusammenkommen, ist noch immer unklar: Wo sollen Astronauten mit den neuen Raumfahrzeugen überhaupt hinfliegen? Und vor allem: Was werden sie dort machen?

Egal, Hauptsache weg, weit weg, scheint das Motto der US-Raumfahrtbehörde Nasa zu sein. Seit dem letzten Apollo-Flug, dessen Crew im Dezember 1972 zurückgekehrt ist, hat sich kein Mensch weiter als 620 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt. Die Internationale Raumstation ISS, seit 20 Jahren alleiniger Außenposten der Menschheit im All, zieht ihre Bahnen sogar in nur 400 Kilometern Höhe. Orion, ESM und SLS sollen das ändern. Beim ersten gemeinsamen Testflug, mit dem nach vielen Verzögerungen frühestens 2020 zu rechnen ist, wird das Trio - noch ohne Astronauten an Bord - bis zu 70 000 Kilometer hinter den Mond vordringen. Einige Jahre später soll ein ähnlicher Flug mit einer Crew wiederholt werden. Europas Servicemodul wird für sie 2000 Liter Treibstoff, 240 Liter Trinkwasser und 90 Kilogramm Sauerstoff bereitstellen.

Die Europäer haben ihr Modul arg spät geliefert - aber die anderen brauchen noch länger

Dass die Europäer überhaupt an Bord sind, darf durchaus als Erfolg betrachtet werden. "Vor zehn Jahren sagte mir der damalige Nasa-Administrator noch: Europa wird niemals eine kritische Komponente zu einem US-Raumschiff beisteuern", sagt Johann-Dietrich Wörner, Chef der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. 2011 dann der Sinneswandel: Die Europäer bekamen den Zuschlag für das Servicemodul, ohne das Orion nicht abheben kann; Airbus Defense and Space in Bremen wurde federführend mit dem Bau beauftragt.

Nur warum? Um die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA zu stärken - zumindest ist das die offizielle Variante. Vielleicht aber auch, weil die Europäer mit dem unbemannten Raumfrachter ATV, der zwischen 2008 und 2015 fünfmal zur ISS geflogen ist, die nötige Technologie bereits entwickelt hatten - im Gegensatz zu ihren US-Kollegen. Oder aber, ganz banal, weil die Amerikaner das 390 Millionen Euro teure Modul geschenkt bekommen: Die Europäer bezahlen damit ihre Schulden, die durch die Nutzung des US-Segments der Internationalen Raumstation anfallen. Inzwischen wird bereits am zweiten Servicemodul gebaut. Die Verhandlungen über Nummer drei sind fast abgeschlossen.

Und das, obwohl der Start durchaus holprig war: Ein ums andere Mal musste Airbus die Abgabe des hochkomplexen Moduls verschieben, durch das sich allein elf Kilometer Kabel ziehen. "Die Technik wird an allen Ecken und Enden an ihre Grenzen gebracht", sagt Oliver Juckenhöfel, der bei Airbus in Bremen die bemannte Raumfahrt und Exploration verantwortet. Insbesondere hat den Ingenieuren die Vorgabe zu schaffen gemacht, möglichst leicht aber zugleich extrem zuverlässig zu sein. Schließlich darf hinterm Mond, fünf Flugtage von der Erde entfernt, nicht plötzlich ein Problem auftauchen. Da noch keine Messdaten von Testflügen vorliegen, musste mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen das Risiko für jede Komponente und jedes eingesparte Gramm abgewogen werden. "So etwas kann schon mal länger dauern", sagt Juckenhöfel.

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