Süddeutsche Zeitung

Biologie:Wie Orca-Söhne ihre Mütter belasten

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Schwertwal-Mütter kümmern sich intensiv um ihren männlichen Nachwuchs - selbst wenn dieser schon erwachsen ist. Für ihre Fürsorge zahlen die Weibchen einen hohen Preis.

Von Katharina Osterhammer

Kinder zu haben ist fordernd. Für weibliche Orcas aber ist es vor allem anstrengend, Söhne großzuziehen. Das legt zumindest eine Studie im Fachblatt Current Biology nahe, für die Daten von 40 Orca-Weibchen der sogenannten Southern-Resident-Population im nordöstlichen Pazifik analysiert wurden. Demnach beanspruchen Orca-Söhne ihre Mütter zeitlebens so extrem, dass sich die jährliche Wahrscheinlichkeit, weiteren Nachwuchs zu bekommen, mit jedem geborenen männlichen Schwertwal etwa halbiert.

Woran das liegt, konnte das Team um Michael Weiss von der britischen University of Exeter nicht abschließend beantworten. Eine Vermutung hat mit dem Konkurrenzverhalten zwischen Müttern und Töchtern zu tun: Orcas - die umgangssprachlich auch Killerwale genannt werden - leben in Gruppen. Orca-Töchter pflanzen sich dabei meist innerhalb der Gruppe der Mutter fort. Dadurch werden sie bei der Partnersuche zu direkten Konkurrentinnen ihrer Mütter.

Orca-Söhne hingegen suchen zur Paarung eine neue Gruppe auf. Die Verhaltensforscherinnen und -forscher schließen daraus: Um mit mütterlicher Fürsorge nicht zugleich ihre eigenen Rivalinnen großzuziehen, bevorzugen Orca-Mütter ihre Söhne und verausgaben sich für deren Wohlbefinden. Pflanzen sich ihre Söhne fort, haben deren Mütter damit gleich zwei Vorteile: Ihr Platz in der Gruppe wurde nicht infrage gestellt und zusätzlich wurde ihr Genmaterial weitergegeben. Der indirekte Konkurrenzvorteil in der Fortpflanzung, den sich die Mütter durch die Bevorzugung ihrer Söhne sichern, "scheint die lebenslangen Folgen für den Erfolg ihrer Vermehrung auszugleichen", so das Forscherteam.

"Es ist anzunehmen, dass männliche Orcas ihre Mütter in jedem Alter gleichermaßen beanspruchen"

Ein weiterer Erklärungsansatz dieses Verhaltens wäre, dass männliche Orcas grundsätzlich einen höheren Energiebedarf haben als ihre weiblichen Geschwister. Um den zu decken, müssen die Mütter mehr von ihrer Beute abgeben, als ihre Töchter einfordern würden. So viel - dass schließlich zu wenig für sie selbst übrig bleibt, um noch genug Energie zur erfolgreichen Fortpflanzung zu haben.

Anders als bei anderen Säugetieren nimmt die Belastung durch die Söhne nicht ab, je älter diese werden. In der Studie steht: "Es ist anzunehmen, dass männliche Orcas ihre Mütter in jedem Alter gleichermaßen beanspruchen." Das Phänomen, dass sich Mütter zeitlebens unverändert für ihre Nachkommen verausgaben, sei außergewöhnlich. Die Forscherinnen und Forscher bezeichnen ihre Studie deshalb als ersten direkten Beweis dieses Verhaltens unter iteroparen Tieren - also solchen, die sich mehrmals im Leben fortpflanzen.

Dieses im Laufe der Evolution womöglich vorteilhafte Vorgehen der Orca-Mütter gefährdet inzwischen allerdings das Überleben der Population. Der Bestand der Population der Southern Residents gilt mit nur 73 verbleibenden Tieren im untersuchten Gebiet als stark bedroht. Hinzu kommt, dass die Lachs-Bestände, von denen sich die Southern Residents ernähren, ebenfalls stark gefährdet sind. Ob sich die Orca-Population wieder erholen kann, hängt auch vom Überleben und dem Fortpflanzungserfolg der Weibchen ab.

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