Süddeutsche Zeitung

Opfer einer seltenen Nervenkrankheit:Lorenzos Tod

Seine Geschichte, verfilmt als "Lorenzos Öl", rührte im Kino Millionen Menschen zu Tränen. Nun ist Lorenzo Odone gestorben - einen Tag nach seinem 30.Geburtstag.

Werner Bartens

Die Geschichte vom kranken Lorenzo Michael Murphy Odone rührte im Kino Millionen Menschen zu Tränen. Hollywoodregisseur George Miller ("Mad Max") verfilmte 1993 das Schicksal des kleinen Jungen, bei dem im Alter von sechs Jahren die seltene Nervenkrankheit Adrenoleukodystrophie (ALD) diagnostiziert worden war.

Der Film "Lorenzos Öl" zeigt den hartnäckige Kampf der von Susan Sarandon und Nick Nolte gespielten Eltern gegen die todbringende Krankheit ihres Sohnes. Vergangene Woche ist der wahre Lorenzo Odone - der im Film von Zack O'Malley Greenburg gespielt wird - einen Tag nach seinem 30.Geburtstag gestorben.

Tod eines Hoffnungsträgers

Damit stirbt auch ein Hoffnungsträger für viele Paare, deren Kinder ebenfalls an einer seltenen tödlichen Erkrankung leiden, die wenig erforscht ist und für die es bisher keine Aussicht auf Therapie gibt.

Seit dem Grundschulalter war der 1978 geborene Lorenzo ans Bett gefesselt und konnte außer den Fingern und den Augen seinen Körper nicht mehr bewegen. ALD wird mit dem X-Chromosom von symptomlosen Müttern auf die Söhne weitervererbt und kommt nur ein- bis zweimal unter 100.000 Einwohnern vor. Betroffene sind nicht in der Lage, langkettige Fettsäuren abzubauen.

Die aggressiven Lipide sammeln sich im Körper an und zerstören die Schutzhülle der Nerven. Die Folge sind neurologische Ausfälle, etwa Lähmungen, Blindheit, Taubheit und Krämpfe. Mit zunehmender Krankheitsdauer müssen viele Patienten beatmet und künstlich ernährt werden. Die Prognose ist schlecht. Lorenzos Eltern wurde bei der Diagnose 1984 mitgeteilt, dass ihr Sohn nur noch zwei Jahre zu leben habe.

Der Hollywood-Film hat zwar die wahre Geschichte von Lorenzo Odone zur Vorlage. Er überhöht aber zugleich den Kampf der Eltern.

Lorenzos Eltern haben in der Tat unermüdlich gegen Widerstände Konferenzen organisiert. Der Vater Augusto Odone recherchierte in Bibliotheken und kämpfte sich durch Fachartikel. Zudem kontaktierte er die wenigen Experten, die es für das rare Leiden gibt.

Den Eltern gelang es sogar, ein Gemisch aus kürzerkettigen ungesättigten Fettsäuren - Olein- und Erukasäure - als "Lorenzos Öl" herstellen zu lassen. Seitdem die Essenz vermarktet wurde, blieben aber Zweifel an der Wirksamkeit bestehen. Nach dem Tod des Namensgebers könnten sie wieder stärker werden.

"Er war trotzdem bei uns"

Als der Film in die Kinos kam, gab es empörte Reaktionen von Eltern, deren Kinder ebenfalls an ALD litten. Ihnen konnte durch "Lorenzos Öl" nicht geholfen werden, ihr Zustand verschlechterte sich sogar unter der Therapie.

Später wurden widersprüchliche Berichte über die Behandlung publiziert. In hochrangigen Fachmagazinen wie dem New England Journal of Medicine und Nature zeigten Forscher, dass sich der Gehalt langkettiger Fettsäuren im Blut unter der Öl-Therapie normalisierte. Ein Stillstand oder gar eine spürbare Linderung des Leidens gingen damit jedoch nicht einher.

Zwar gab es auch Studien, in denen das Öl den Ausbruch der Erkrankung zu verzögern schien. Insgesamt konnte ein Heilerfolg aber nicht bewiesen werden; auch kannten Ärzte zuvor schon Kinder, die mit der Krankheit länger als zehn Jahre überlebt hatten. Das Mittel ist weder als Arznei noch als Lebensmittel zugelassen. Im Frühjahr 2008 entschied das Bundessozialgericht, dass "Lorenzos Öl" nicht von den Krankenkassen erstattet werden muss.

Augusto Odone teilte am Wochenende mit, dass sein Sohn an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben ist, eine gefürchtete Komplikation bei bettlägerigen Patienten. Lorenzo Odone lag seit Jahren im Koma. "Er konnte nicht sehen oder kommunizieren, aber er war trotzdem bei uns", sagte der Vater. "Er hat nicht gelitten."

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Quelle:
SZ vom 03.06.2008/mcs
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