Ötzi-Erbgut analysiert:Der Risikopatient aus dem Eis

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Eine Untersuchung von Ötzis Erbgut zeigt, dass der Mann aus dem Eis stark herzinfarktgefährdet war. Außerdem hatte er hohe Cholesterinwerte, litt unter Arteriosklerose und hatte sich mit Borreliose infiziert. Dass er nur 45 Jahre alt wurde, hatte jedoch andere Gründe.

Hubert Filser

Ötzi ist nur 45 Jahre alt geworden. Die Weltöffentlichkeit kennt die Geschichte, wie ihn seine Verfolger aufs Südtiroler Tisenjoch in 3200 Meter Höhe gejagt und dort, als er sich schon in Sicherheit wähnte, kaltblütig zur Strecke gebracht haben. Ein Pfeil durchtrennte vor 5300 Jahren seine Hauptschlagader, Schläge auf den Schädel waren ebenfalls tödlich.

Ötzi war herzinfarktgefährdet, litt an Laktose-Intoleranz und hatte Verwandte auf Sardinien. Darauf deutet eine Analyse seines Erbguts hin. (Foto: dpa)

Doch wer die aktuelle Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Nature Communications (online) liest, erkennt auch: Ötzi ist durch seinen gewaltsamen Tod einiges erspart geblieben. Er war offenbar stark herzinfarktgefährdet, und das nicht aufgrund mangelnder Bewegung oder schlechter Ernährungsgewohnheiten - sondern aufgrund seiner genetischen Veranlagung.

Ein 41-köpfiges Forscherteam hat erstmals Ötzis Erbgut aus der Kern-DNA sequenziert. Daraufhin formulierten die Forscher die nüchterne Analyse: Ötzi war eine Art Risikopatient. Gestützt auch auf frühere Untersuchungen, hatte er ein erhöhtes Infarktrisiko und hohe Cholesterinwerte. Anzeichen für Arteriosklerose waren an seiner verengten Bauchaorta zu erkennen. "Man möchte nicht mit ihm tauschen", sagt der Tübinger Molekulargenetiker Carsten Pusch, einer der beteiligten Forscher.

Zudem hatte sich Ötzi mit Lyme-Borreliose infiziert, wohl durch einen Zeckenbiss. Es ist der älteste dokumentierte Borreliose-Fall in der Menschheitsgeschichte, und der erste Nachweis in einem nicht mehr lebenden Individuum überhaupt. "Ötzi litt schon lange an Borreliose", sagt Pusch. "Wir haben den Erreger in seinen Knochen gefunden." Es gab also schon vor 5300 Jahren in den wärmeren, alpinen Talregionen Zecken mit dem Erreger Borrelia burgdorferi, der noch heute vor allem im Süden Deutschlands Probleme macht.

Müssen wir uns nun vom Bild des drahtigen Jägers Ötzi verabschieden, der in edler Kleidung die Alpenpässe überquert? Schließlich hatten Pathologen bei Ötzi schon früher weitere kleinere Gebrechen festgestellt wie Bandscheibenverschleiß, vom harten Getreide abgeriebene Zähne, Karies, leichte Parodontose und drei Gallensteine. Dazu kommt nun noch die laut Genanalyse vorhandene Laktoseintoleranz, er konnte also keine Milchprodukte verdauen.

Dennoch sagt Pusch: "Ötzi war ein strammer Bursche. Er hatte nur großes Pech, was seine genetische Veranlagung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen anbelangt. Die verschleppte Borreliose, die Gefäßverkalkungen unterstützt, hat das sicher negativ verstärkt." Doch angesichts seines gewaltsamen Todes hatte das keine Auswirkungen. Ötzi ist, wie Mediziner vielleicht sagen würden, nicht an, sondern mit seinen Erkrankungen gestorben.

Für die aktuellen Untersuchungen haben die Forscher 0,1 Gramm Knochen aus der linken Hüfte der Eismumie entnommen. Aus dieser winzigen Probe ließen sich nicht nur die medizinischen Fakten herauslesen oder Informationen über Ötzis Augenfarbe (braun) oder die Blutgruppe (0), sondern noch ein weiteres Detail: Ötzis Migrationshintergrund. Ötzi und die heutigen Bewohner im südlichen Korsika und nördlichen Sardinien haben gemeinsame Vorfahren.

Noch ist zu wenig über die Wanderbewegungen im Alpenraum und die Besiedlung der Inseln im Tyrrhenischen Meer im Neolithikum bekannt, als dass man sagen könnte, dass Ötzis Vorfahren Inselbewohner waren. Vermutlich ist ein Teil der Vorfahren erst später nach Sardinien und Korsika ausgewandert, und deshalb findet man heute Übereinstimmungen im Erbgut.

Ötzi selbst lebte, wie Isotopenanalysen zeigen, die meiste Zeit seines Lebens im Tiroler Eisacktal an der Alpensüdseite. Sein Leben beendete der Mann aus dem Eis unbelastet von den Vorhersagen der modernen Diagnostik. Ohne Wissen um Cholesterinspiegel und Arterienverkalkung gönnte er sich schließlich kurz vor seinem Tod bei seiner letzten Rast noch ein üppiges Stück Alpensteinbock-Fleisch.

© SZ vom 29.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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