Ölkatastrophe:Spachtelmasse für die Tiefsee

Chemiker haben eine Zementmischung entwickelt, die das Bohrloch im Golf von Mexiko endgültig schließen soll. Die Chancen sind offenbar gut.

Christopher Schrader

In der seit 104 Tagen andauernden Tragödie "BP und der Golf" beginnt mit dieser Woche ein weiterer Akt. Das Publikum, reichlich mitgenommen von den bisherigen Wendungen des Spektakels, hofft, dass es der letzte Akt sein möge. Und die Experten, die den Kampf gegen die Ölpest koordinieren und kommentieren, zeigen sich zuversichtlich, die Macondo genannte Bohrung stopfen zu können.

The new containment capping stack is pictured in this image captured from a BP live video feed from the Gulf of Mexico

Die Macondo-Bohrung ist sein gut zwei Wochen von einem dreifachen Ventilaufsatz verschlossen. Nun soll Zement in das Bohrloch gepresst werden, um es permanent abzudichten.

(Foto: Reuters)

"Wir sind optimistisch, dass wir das hinkriegen", sagte der Leiter des Noteinsatzes, der Küstenwachen-Admiral Thad Allen, Ende vergangener Woche. Dem stimmt Johann Plank von der Technischen Universität München zu, einer der weltweit führenden Experten für das Verschließen von Tiefbohrungen: "Die Chancen sind jetzt sehr gut, wenn BP und Behörden alles richtig machen."

Planks Fachgebiet ist die Bau-Chemie. Er erforscht die Zusatzstoffe, mit denen Zement zu einem geeigneten Material wird, um Bohrungen abzudichten, die fünf Kilometer unter dem Meeresboden liegen, in denen es bis zu 250 Grad Celsius warm ist und wo ein Druck von 900 bar herrscht - das entspricht etwa dem Wasserdruck in den tiefsten Tiefen des Ozeans, zum Beispiel im Mariannengraben.

Trotzdem soll der Zement unter diesen Bedingungen flüssig bleiben und erst nach einer definierten Zeit abbinden. "Das ist eine faszinierende Chemie", schwärmt Plank, der etliche der Zusatzstoffe erfunden und patentiert hat. "Die Ölfirmen benutzen teure Additive und exotische Polymere, um die gewünschten Effekte zu erzielen."

Anders als Maurer ihren Mörtel oder Heimwerker die Spachtelmasse mischen die Experten auf Bohrinseln ihren Zement aus vielen Zutaten zusammen. Zunächst benutzen sie viel weniger Wasser als beim Hausbau. Dafür kommen Zusatzmittel hinzu, die die Masse trotzdem dünnflüssig und pumpfähig machen. Entschäumer verhindern die Blasenbildung, Polymere halten das Wasser auch in Kontakt mit porösem Gestein in der Mischung, Eisenoxide regulieren das spezifische Gewicht der Mischung, und Verzögerer regulieren die Zeitdauer bis zum Abbinden. "Was da unten nach vier Stunden fest wird, würde unter Raumbedingungen mindestens zwei Wochen brauchen, bis es überhaupt anfängt abzubinden", sagt Plank.

Der Bau-Chemiker hat das Schauspiel am Golf wie ein erfahrener Theaterkritiker verfolgt, der einer Laientruppe zuschaut. Immer wieder hat er sich mit Kollegen in Texas beraten, und sie haben gemeinsam den Kopf geschüttelt. "BP hatte in dem Bohrloch alles auf Kante genäht", sagt Plank. "Da durfte nichts schiefgehen - aber wie wir wissen, ist viel schiefgegangen." Nur treffe die Ölgesellschaft die Schuld nicht allein: "Der amerikanischen Genehmigungsbehörde MMS fehlte es offenbar an grundlegender Kompetenz. Die haben ja nicht einmal gemerkt, wenn sie BP etwas genehmigten, was ganz klar ihren eigenen Regeln widersprach."

Damit der nächste Akt wirklich der letzte wird, sagt Plank, braucht dieser zwei Aufzüge. Auch die Helfer um Thad Allen und die Krisen-Manager von BP planen einen doppelten Angriff auf die Bohrung, die seit nunmehr gut zwei Wochen von einem dreifachen Ventilaufsatz verschlossen ist: Oben und unten wollen sie Zement in das Bohrloch pressen und es so permanent abdichten. Zunächst kommt der Versuch oben, den die Fachleute "Static Kill" nennen.

Durch Leitungen in dem Ventilaufsatz pumpt die Crew eines Spezialschiffes zunächst schwere Bohrflüssigkeit in das Loch. Das hatten die Helfer im Mai schon einmal bei der Operation "Top Kill" versucht, aber damals sprudelte die Ölquelle noch. Jetzt müssen sie nicht mehr gegen den Fluss von Öl ankommen, sondern haben statische Verhältnisse (daher der Name). Außerdem kennen sie den Druck sehr genau, den sie überwinden müssen. Thad Allen nennt ihn bei jeder Pressekonferenz, am Sonntag betrug er 481 bar. Zunächst werden die Helfer mit Tests beginnen und ein Barrel (159 Liter) von der auch "Mud" (Schlamm) genannten Bohrflüssigkeit pro Minute in das Macondo-Loch pressen. Das würde das Öl um jeweils ein bis zwei Meter in die Tiefe drücken.

"Sie könnten sich das, irgendwie während des Augusts noch anschauen"

Wenn die Helfer dann die Menge erhöhen und der Druck trotzdem nicht über 550 bar steigt und auch sonst keine unerwarteten Werte zeigt, könnte nach einigen Stunden eine Trennflüssigkeit und dann Zement folgen. Mindestens 500 Fuß (150 Meter) soll der Propfen im Bohrloch dann in die Tiefe ragen. "Am besten presst man so viel rein wie nur möglich", sagt Johann Plank. "Ich würde es mit mindestens 500 Metern versuchen." Ob das gelingt, klärt sich frühestens am Dienstag amerikanischer Ortszeit.

Von oben zugänglich ist aber nur das zentrale Rohr, das im Bohrloch hängt. BP hatte es schon zur Vorbereitung der späteren Förderung installiert. Weiterhin ist aber unklar, ob nicht zwischen diesem sogenannten Longstring und der Verrohrung des Bohrlochs oder sogar zwischen Verrohrung und Gestein Öl nach oben drückt. Die Verrohrung ähnelt entfernt einer Teleskopantenne. Beim Bohren schieben die Arbeiter lange Stahlrohre ins Loch und zementieren diese in Abständen fest, um den Fortschritt zu sichern. Mit jedem Schritt brauchen sie dann etwas dünnere Rohre.

Um an die Zwischenräume beiderseits der Verrohrung heranzukommen, soll etwa zehn Tage nach dem Static Kill die Entlastungsbohrung das Macondo-Loch anstechen - vier Kilometer unter dem Meeresboden und direkt oberhalb der Grenze zur Lagerstätte. Der diamantbesetzte Bohrkopf stößt dann zunächst in den sogenannten Ringraum zwischen Gestein und Verrohrung vor und presst erst Schlamm, dann Zement hinein - wiederum "so viel wie nur geht", sagt Plank. "Wenn nur 50 Kubikmeter hineinpassen, ist das ein gute Nachricht, weil das Bohrloch an sich dicht ist."

Hat der Zement in der Tiefe nach einigen Tagen sicher abgebunden, ersetzen die Arbeiter ihren Bohrkopf durch eine Fräse, die einen langen, senkrechten Schlitz in den Propfen und die darin eingeschlossene Verrohrung samt Longstring schneidet. Durch diese Öffnung wird dann wieder Bohrflüssigkeit und schließlich Zement gepresst, der das Loch von unten her endgültig abdichtet.

Bis also der Vorhang der Tragödie endgültig fällt, könnten noch Wochen vergehen. BP-Manager Kent Wells sagte dazu Reportern in einer seiner Pressekonferenzen: "Also, Sie könnten hier sitzen und sich das, naja, irgendwie während des Augusts noch anschauen."

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