Ölkatastrophe im Golf von Mexiko:In der Tiefe des Golfs

Nach der Explosion der Bohrinsel "Deep Horizon" vermutete die US-Wissenschaftlerin Samantha Joye zu Recht, dass das Öl sich auch unter Wasser ausbreiten würde. Die Entdeckung hat ihr Leben verändert.

Erik Stokstad

Als das Bohrschiff Deepwater Horizon im Golf von Mexiko sank, hatte Samantha Joye eine Ahnung. Das bevorstehende Desaster würde anders ablaufen, als alle glaubten, sagte sich die Biogeochemikerin von der University of Georgia in Athens.

Dr Samantha Joye

Samantha Joye hat die Unterwasserschwaden im Golf von Mexiko entdeckt, die das Öl gebildet hat.

(Foto: Samantha Joye, Gulf Oil Blog)

Das Öl und Gas aus der leckgeschlagenen Bohrung tief unter dem Meeresspiegel würde nicht sofort zur Oberfläche steigen, sondern sich unter Wasser verbreiten. Damit sollte sie zwar recht behalten. Was sie aber nicht wusste, war, was ihre Ahnung für ihr Leben und ihre Karriere bedeuten sollte.

Seit die Funde Mitte Mai international Schlagzeilen machten, steht die Meeresforscherin unter ständiger Beobachtung durch die Medien. "Das übertrifft alles, was ich mir vorstellen konnte", sagt Joye. Die Artikel und Fernsehinterviews haben sie zu einer der führenden unabhängigen Expertinnen für die Katastrophe gemacht.

"Sie hat allen einen großen Dienst erwiesen, weil sie die Aufmerksamkeit auf Aspekte gelenkt hat, die sonst unter den Teppich gekehrt worden wären", sagt Jeffrey Short von der Umweltgruppe Oceana in Washington.

Die 44-jährige Samantha Joye hörte vom Unglück auf der Deepwater Horizon nicht aus den Nachrichten, sondern von Kollegen, die dicken Rauch aufsteigen sahen, als sie in der Nähe ihrer Forschung nachgingen. Als die Bohrplattform zwei Tage später sank, schickte Joye eine E-Mail an den Programm-Manager, der ihre lange geplante, kurz bevorstehende Fahrt mit der R/V Pelican organisierte; die Finanzierung dafür stammte von der amerikanischen Ozean- und Wetterbehörde Noaa.

"Da ist eine schockierende Menge Öl im tiefen Wasser"

Die Chemikerin wollte spontan das Programm der geplanten Messungen ändern und den Fokus auf die Folgen der Ölpest legen. Der Manager stimmte schnell zu.

Joye wusste einiges über die Ausbreitung der Chemikalien im Golf von Mexiko, die aus natürlichen Rissen im Meeresboden stammten. Darum vermutete sie, dass sich auch Öl und Gas aus der BP-Bohrung in den unteren Etagen der Wassersäule verteile. Rückenschmerzen hinderten sie dann zwar daran, an Bord der Pelican auszulaufen, aber sie koordinierte die Messungen und analysierte die frischen Daten von ihrem Büro aus.

Am 12. Mai sahen die Wissenschaftler in ihren Instrumenten eine ungewöhnliche Schicht von gelöster organischer Materie in 700 bis 1300 Metern Tiefe. Der Sauerstoffgehalt des Wassers war niedriger als normal, wahrscheinlich weil Bakterien begonnen hatten, Methangas zu verdauen.

Samantha Joye rief bei der New York Times an. Der Journalist beschrieb am Samstag, 15. Mai, neben ihren Funden auch die Besorgnis der Meeresforscherin: "Da ist eine schockierende Menge Öl im tiefen Wasser, gemessen an dem, was man an der Oberfläche sieht", hieß es in dem Artikel.

Andere Reporter gingen der Geschichte schnell nach. Samantha Joyes Telefon fing schon am Freitagabend an zu klingeln - zehn Minuten nachdem der Times-Artikel online erschienen war. So ging es bis zwei Uhr nachts, als die Meeresforscherin das Kabel aus der Buchse zog. Übertragungswagen der Fernsehstationen parkten inzwischen vor ihrem Büro in der Universität. "Ich hatte keine Minute Frieden mehr", sagt sie. "Es war absolut wahnsinnig."

Keine voreiligen Schlüsse

Der Wirbel in den Medien entging auch den Verantwortlichen bei der Noaa nicht. Am Montagmorgen, 17. Mai, gab die Leiterin der Behörde, Jane Lubchenco, eine vorsichtige Erklärung heraus und betonte, dass die Fahrt der Pelican die Ölschwaden noch nicht bestätigt hätte. In einem späteren Vortrag auf einer Wissenschaftskonferenz warnte Lubchenco das Publikum: "Wenn wir voreilige Schlüsse ziehen, dient das der Wissenschaft nicht. Ich würde auf Bestätigung, nicht auf Vermutungen drängen."

Ölkatastrophe im Golf von Mexiko: Wenn das Öl an die Wasseroberfläche gelangt, lässt sich die Verschmutzung nicht mehr leugnen. Doch auch tief im Wasser befinden sich Ölschwaden.

Wenn das Öl an die Wasseroberfläche gelangt, lässt sich die Verschmutzung nicht mehr leugnen. Doch auch tief im Wasser befinden sich Ölschwaden.

(Foto: AP)

Joye und ihre Kollegen wunderten sich. "Viele Forscher waren vom Verhalten der Noaa überrascht", sagt Ernst Peebles von der University of South Florida in St. Petersburg, der auch Unterwasser-Schwaden gefunden hatte.

Ian MacDonald von der Florida State University in Tallahassee hatte gar das Gefühl, "dass die Noaa die Daten von Samantha Joye anzweifelte". Vertreter der Behörde hingegen sagten, sie wollten nur missverständliche Berichte in Nachrichten-Medien korrigieren. "Wir wollten tatsächliches Wissen von Spekulation abgrenzen", sagt Steve Murawski von der Noaa.

Diesem Anspruch wird die Noaa nun auf neue Art gerecht. Auf ihrer Webseite stehen regelmäßig auch vorläufige Resultate von Forschungsfahrten. "Die Noaa hat als Folge der Pelican-Messungen ihre Politik verändert, und zwar zum Guten", sagt Peebles. Zweifel an Joyes Daten gibt es keine mehr: Der jüngste Bericht der Behörde, veröffentlicht in der vergangenen Woche, bestätigt erneut die Existenz der Schwaden.

Samantha Joye hat die Debatte zum Teil vom Wasser aus verfolgt. Das Forschungsschiff F.G.Walton Smith der Universität Miami war plötzlich frei geworden, aber die Chemikerin hatte nur vier Tage, die Fahrt zu organisieren - für diese Aufgabe braucht man sonst zwei Monate.

Schmerzpillen, die sonst ihr Pferd bekommt

"Es war nicht die komfortabelste Reise, aber ich musste einfach da raus", sagt sie. Gegen ihre Rückenprobleme nahm sie Schmerztabletten - besonders große Pillen, die sonst ihr Pferd bekommt. Auf dieser Fahrt arbeiteten elf Wissenschaftler von vier Hochschulen zwei Wochen lang rund um die Uhr.

Joye führte zudem ein Internet-Tagebuch (gulfblog.uga.edu). Ein Fernsehteam charterte ein Boot, um die Wissenschaftler auf See zu besuchen; weitere warteten am Dock, als das Team zurückkehrte.

Samantha Joye haben die vielen Gespräche mit Journalisten einen Motivationsschub gegeben. Sie nutzt ihre neue Rolle, um für mehr Forschung einzutreten. Sie hat sogar vor dem Kongress auf Washingtons Capitol Hill ausgesagt.

Das Hauptinteresse der Chemikerin aber gilt den Mikroben im Wasser: Verdauen sie mehr Öl oder mehr Gas? Welche Nährstoffe begrenzen ihre Ausbreitung? Von den Antworten auf diese Fragen hängt es ab, wie viel Sauerstoff die Bakterien verbrauchenund was das für Fische, Schalentiere und Korallen bedeutet.

Im August möchte Joye wieder hinausfahren und am liebsten per U-Boot durch eine der Schwaden tauchen. "Ich liebe den Golf von Mexiko", sagt sie. "Ich werde tun, was nötig ist, um herauszufinden, was da passiert."

Dieser Artikel ist im Original in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.sciencemag.org, www.aaas.org. Dt. Bearbeitung: cris

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