Süddeutsche Zeitung

Ölförderung:Das Geschäft geht weiter

Taube Ohren: Während BP noch damit kämpft, das Leck der "Deepwater Horizon" zu schließen, gehen die Bohrungen an anderen Orten weiter: Ölkonzerne drängen ins tiefe Wasser, wo noch große Mengen Öl und Gas lagern.

Christopher Schrader

Vor einigen Tagen hatte der dänische Konzern Maersk eine gute Nachricht für die Welt. In der Tiefsee, 100 Kilometer vor der Küste Angolas, haben seine Mitarbeiter die Bohrung Chissonga-2 erfolgreich abgeschlossen. Unter 1355 Metern Wasser war der diamantbesetzte Bohrer noch 4697 Meter ins Erdreich vorgestoßen und hatte dort Öl gefunden.

Die Welt allerdings hat nicht zugehört. Seit 49 Tagen spuckt schließlich die Macondo genannte Quelle im Golf von Mexiko Rohöl ins Meer. Hier hatte der Konzern BP seit Oktober 2009 bei 1524 Metern Wassertiefe ein Loch gebohrt, Anfang April unter 5600 Metern Gestein eine reiche Lagerstätte entdeckt, aber beim Abdichten die Kontrolle verloren.

Die Umweltkatastrophe versetzt Amerika in einen Schock; Volk und Regierung verfolgen mit hilfloser Wut die Versuche von BP, das Leck zu stopfen. Die Welt schaut zu, sorgt sich um die Pelikane und betankt die Autos derweil mit Benzin, das zu einem großen Teil aus Bohrungen vor den Küsten stammt.

Schon darum ist nicht zu erwarten, dass die Suche nach Öl im Meer gestoppt wird. "Es geht hier um Bodenschätze im Wert von Billionen Dollar", erklärte Peter van Doren vom amerikanischen Thinktank Cato Institute der BBC, "da könnten 100 solche Unfälle passieren, bevor man anfängt nachzudenken."

Stattdessen sorgen sich die Experten, ob ein Moratorium bei Offshore-Bohrungen, wie es die Amerikaner verkündet haben, die Versorgung der Welt gefährdet. Fast eine Million Barrel pro Tag könnte 2015 fehlen, rechnet Nobuo Tanaka, Chef der Internationalen Energieagentur, im Wall Street Journal vor, wenn die Industrie gebremst wird. Das sei zwar nur ein Prozent des Verbrauchs, aber die Förderung lasse sich nur um sechs Millionen Barrel steigern. "Das darf man nicht ignorieren", warnt Tanaka.

Ölquelle "Goldenes Dreieck"

In Angola, wo Maersk mit den Großen der Branche um Claims gerungen hat, zweifelt niemand grundlegend an dem Geschäft. Das afrikanische Land gehört zu den Boomregionen: 2020, schätzt der Ölkonzern Shell, wird dort doppelt so viel Öl gefördert wie in Nigeria. Die produktivsten Förderanlagen, das gilt überall im "Goldenen Dreieck" zwischen Angola, Brasilien und dem Golf von Mexiko, stehen oder schwimmen weit draußen im Meer.

Offshore-Bohren ist ein gewaltiges Geschäft. 493 Milliarden Dollar, erwartet das britische Beratungsunternehmen Infield Systems, werden bis 2015 in Bohrungen, Plattformen und Pipelines vor den Küsten der Kontinente investiert. Besonders das tiefe Wasser von mehr als 400 oder 500 Metern Tiefe lockt die Ölfirmen. Die mittlere Wassertiefe ihrer neuen Anlagen hat inzwischen 954Meter erreicht, der Rekord steht bei 2852 Metern.

Längst vergleichen die konkurrierenden Firmen in Anzeigen und Präsentationen, wer am schnellsten bohrt. Der Rekord steht demnach bei etwa 150 Metern am Tag. Die Zahl der Offshore-Bohrungen und -Quellen ist in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen und liegt aktuell bei 3000, rechnen die Londoner Analysten vor.

Aber in den kommenden Jahren sollen sie auf 5000 steigen. Noch im Jahr der Finanzkrise 2009 wurden 242 neue Plattformen auf hoher See installiert. Das war allerdings ein historisches Tief, schon in diesem Jahr soll die Zahl wieder 350 betragen.

Unter dem Meer gibt es eben sehr viel Öl. Nach Angaben der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) liegen ein gutes Drittel der bekannten Gasreserven und ein Viertel der Ölreserven offshore.

Im Jahr 2007 stammten 37 Prozent des geförderten Öls und 28 Prozent des Gases aus Anlagen im Meer. Diese Proportionen verschieben sich ständig. Seit zehn Jahren stammt mehr als die Hälfte der neu entdeckten Mengen aus maritimen Bohrungen, sagen die Energiefachleute der Beraterfirma IHS in Houston, Texas.

2009 zum Beispiel lagen 35 Prozent der Funde an Land, 20 Prozent im flachen Wasser und 45 Prozent im tiefen Wasser. Hier finden die Teams pro Bohrung zudem im Mittel sechsmal so viele Rohstoffe wie an Land.

Der Drang ins tiefe Wasser zeigt sich auch bei der Zahl der aktiv produzierenden Ölfelder. Für das Jahr 2007 zählten die Fachleute des BGR 157 Felder in Wassertiefen von 500 Metern und mehr; auf gut 100 davon haben Konzerne seit dem Jahr 2000 im Goldenen Dreieck die Produktion aufgenommen. Sehr aktiv sind die Öl- und Gasleute auch vor den Küsten Chinas und Indonesiens.

Viele der Bohrschiffe, die ihre Arbeit wegen des amerikanischen Moratoriums für Tiefseeerkundung einstellen mussten, dürften nun in die Boomregionen dampfen - dort werden sie - durch lange Verträge gebunden - den amerikanischen Firmen fehlen, wenn sie weitermachen dürfen. Der Bedarf wächst ständig, die Spezialschiffe sind regelmäßig zu Tagespreisen von 600.000 Dollar und mehr auf Jahre ausgebucht - bevor sie vom Stapel laufen.

Das gilt auch für die Deepwater Champion, die die Schweizer Firma Transocean in Südkorea bauen lässt. Das neue Schiff kann sich am Einsatzort mit Motorkraft und Strahlrudern selbst in neun Meter hohen Wellen und bei 60 Knoten Wind (110 Kilometer pro Stunde) auf Position halten und zwei unabhängige Bohrungen ins Gestein treiben.

BP soll geschlampt haben

Dort kann der Bohrkopf abbiegen und Kurven um Hindernisse nehmen falls nötig - das ist längst Standard der Industrie. Einsatzort der Deepwater Champion soll das Schwarze Meer werden; Exxon-Mobil hat sie langfristig gebucht.

Solche Bohrschiffe räumen das Feld, sobald die Ölquelle angezapft ist. Sie verschließen die Bohrung und fahren weiter. Bei diesen Arbeiten, so werfen jetzt amerikanische Abgeordnete BP vor, habe der Konzern geschlampt und sei vermeidbare Risiken eingegangen, um Geld zu sparen.

In fast allen anderen Fällen aber konnten später die Förderplattformen die verschlossene Bohrung störungsfrei öffnen. Von diesen Anlagen gibt es viele verschiedenen Typen, etliche kosten einige Milliarden Dollar. Sie bleiben Jahrzehnte über einer Öl- oder Gasquelle, bis sich die weitere Ausbeutung nicht mehr lohnt.

In flacherem Wasser stellen die Ölkonzerne noch feste Türme auf den Meeresboden, aber bei Tiefen von mehr als 600 Metern werden schwimmende Anlagen am Meeresboden verankert. Die größte davon, Shells Perdido-Plattform im Golf von Mexiko, schwimmt auf einem 170 Meter langen Stahlzylinder.Mit den Aufbauten ist die Anlage fast so hoch wie der Eifelturm. Sie soll Öl und Gas aus 35 Quellen in einem Umkreis von 48 Kilometern aufnehmen und durch Pipelines an Land pumpen.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2010/cosa
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