Süddeutsche Zeitung

Ökologie und Ökonomie:Tote Haie, tote Muscheln

Die Muschelindustrie an der amerikanischen Ostküste liegt darnieder. Der Grund: Die Haie dort wurden überfischt. Ein Beispiel, wie Eingriffe des Menschen in die Natur auf ihn selbst zurückfallen.

Martin Kotynek

Vor 20 Jahren war die Muschel-Fischerei im US-Bundesstaat North Carolina noch ein Millionengeschäft. Doch heute liegt die gesamte Branche darnieder: "Seit 1996 sind die Erträge aus dem Muschelfang so stark zurückgegangen, dass wir die Fischerei vor drei Jahren aufgeben mussten", berichtet Tina Moore von der Fischereibehörde von North Carolina.

Der Grund dafür ist eine außergewöhnliche Rochenplage. "Die Rochen haben in den Buchten alle Muscheln gefressen, die ohnehin von mehreren Hurrikans und einer Algenplage geschwächt waren", sagt Moore.

Dieses ungewöhnlich starke Auftreten der Rochen weckte das Interesse von Ransom Myers, Fischereibiologe an der kanadischen Dalhousie Universität. Im Fachmagazin Science (Bd.315, S.1846, 2007) berichtet er, dass sich die Rochenpopulation entlang der amerikanischen Ostküste in den vergangenen 35 Jahren verzehnfacht hat und weiterhin um acht Prozent pro Jahr wächst.

Myers war verwundert: "Die Explosion der Rochenpopulation auf 40 Millionen Tiere entlang der Ostküste ist abnormal. Rochen pflanzen sich nur langsam fort, da sie erst spät geschlechtsreif werden und nicht sehr fruchtbar sind."

Der Biologe wollte den Auslöser für die starke Vermehrung der Rochen finden. Myers Hypothese: Jene Tiere, die bevorzugt Rochen fressen, dürften geschwächt sein und deshalb das Populationswachstum der Rochen nicht mehr kontrollieren. Die größten Fressfeinde der Rochen sind Haie.

Myers untersuchte daher die Entwicklung von elf Haiarten entlang der Ostküste seit 1972. Die Analyse ergab, dass sich die Populationsgrößen aller Arten stark verringert haben: Den geringsten Rückgang verzeichneten Sandbankhaie mit 87 Prozent, am stärksten betroffen waren Hammerhaie mit einem Minus von 99 Prozent.

Mehr Rochen fressen mehr Muscheln

"Die starken Rückgänge sind eigentlich keine Überraschung", so Julia Baum, die mit Myers den Fall untersuchte: "Große Haie wurden in den vergangenen Jahrzehnten extrem stark befischt, um die stetig wachsende Nachfrage nach Haiflossen und Fleisch zu befriedigen."

Die Forscher berechneten, dass die Überfischung von Haien indirekt zur Zerstörung der Muschelfischerei in North Carolina geführt hat: "Weniger Haie fressen weniger Rochen, wodurch sich deren Zahl stark erhöht hat. Mehr Rochen fressen mehr Muscheln, wodurch diese ausgerottet wurden", erläutert Myers.

Für Jürgen Geist, Leiter des Instituts für Fischereibiologe an der TU München, beweist diese Studie, wie eng verschiedene Arten miteinander vernetzt sind: "Dieses Feldexperiment zeigt, dass sich die Überfischung von Haien als Kaskade durch die ozeanischen Ökosysteme fortpflanzt und indirekt Schäden an anderen Fischereizweigen verursacht."

Nach Meinung von Dietrich Schnack, dem Vorsitzenden der Deutschen Wissenschaftlichen Kommission für Meeresforschung, unterstreicht die Studie die Bedeutung "indirekter Effekte, die die Überfischung einer Art, die an der Spitze der Nahrungskette steht, auf andere Arten ausübt". Bei der Festlegung der Fangquoten, so Schnack, berücksichtigt die EU daher verstärkt die Auswirkungen der Befischung auf das Gesamtsystem.

Gelegenheit dafür bietet sich beispielsweise im Mittelmeer, wo ein ähnliches Szenario droht wie in den USA: Blauflossen-Thunfische werden dort stark befischt.

Tintenfische, die bevorzugte Beute der Thunfische, vermehren sich dadurch rasant, warnt Karoline Schacht, Meeresbiologin bei der Umweltorganisation WWF: "Mehr Tintenfische fressen mehr Sardinen, wodurch die wirtschaftliche Grundlage der Sardinenfischer nach und nach verloren geht." Wenn der Thunfisch weiterhin überfischt werde, laufe die Sardinenfischerei Gefahr, zu kollabieren, so Schacht.

Der Fischereibehörde in North Carolina bleibt unterdessen nichts anderes übrig, als Zäune im Meer zu errichten: "Wir wollen die Muscheln in den Buchten nun neu aussetzen und vor den Rochen schützen", sagt Tina Moore: "Hoffentlich klappt das."

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Quelle:
SZ vom 30. März 2007
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