Ökologie:Nur raus hier: Wie die EU gegen Invasoren kämpft

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Der Waschbär ist tatsächlich ein Einwanderer aus Kanada. Dass er Hunde beiße, ist ein Mythos. (Foto: Jochen Lübke/dpa)

Geschlechtertrennung für Schildkröten, Eierklau bei Ibissen. Eine Kampagne gegen invasive Tierarten hat auch für Zoos und Tierparks Folgen. Der Nutzen ist allerdings umstritten.

Von Mathias Tertilt

Noch fühlen sie sich wohl in Europa, die Waschbären, Grauhörnchen oder das chinesische Muntjak, das aussieht wie ein kleines Reh. Aber geht es nach der EU, soll sich das bald ändern: Seit Kurzem stehen diese und andere Arten auf einer Risikoliste von Tieren und Pflanzen, die in der EU natürlicherweise nicht vorkommen und deren Verbreitung gestoppt werden soll. Doch kaum war die Liste öffentlich, wurden schon Zweifel laut, ob das Ganze überhaupt etwas bringt.

Denn die Maßnahmen gegen die Invasoren, welche die EU vorsieht, bleiben zum großen Teil sehr vage. Und wo die Verordnung konkret wird, gibt es erst recht Kritik. Von den Zoos etwa: Waschbären, Kleine Mungos und die anderen Listen-Arten dürfen noch gehalten werden, aber sich nicht mehr in Gefangenschaft fortpflanzen. Grundsätzlich begrüße man ja, dass die EU gegen invasive Arten vorgehe, heißt es dazu von Tierpark und Zoo Berlin.

Aber Zoos seien nicht schuld an der Ausbreitung der Eindringlinge. Die Waschbären im Tierpark Berlin sind praktischerweise schon jenseits des reproduktionsfähigen Alters, aber bei den Heiligen Ibissen wird man etwas unternehmen müssen, die Eier wegnehmen zum Beispiel. Rotwangen-Schmuckschildkröten sollen künftig getrennt vom anderen Geschlecht gehalten werden. Im Zoo Berlin leben von den Chinesischen Muntjaks, Nasenbären und Nutrias ohnehin nur Weibchen, die Schwarzkopf-Ruderenten würden "an der Reproduktion gehindert".

Es kann teuer werden, wenn die Bahn die Armenische Brombeere entfernen muss

Auch Jan Bauer von der Deutschen Tierpark-Gesellschaft kritisiert die neue Regelung, von den Parks gehe keinerlei Gefahr aus. "Das Geschäftsmodell der Einrichtungen ist doch, dass die Tiere nicht entweichen. Die Parks haben doch einen pädagogischen Auftrag, Besucher für das Thema invasive Arten zu sensibilisieren", sagt er.

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Jenseits von Zoos und Parks aber sind Invasoren ein ernstes Problem. Die Arten auf der Liste dürfen nun nicht mehr gehandelt werden, und die EU-Staaten müssen Überwachungssysteme und Pläne entwickeln, um die Verbreitung wenigstens einzudämmen. Hat sich eine Art noch nicht etabliert, soll sie ganz beseitigt werden. Konkrete Maßnahmen dazu schreibt die EU-Verordnung nicht vor. Wie die Länder im Einzelnen vorgehen, entscheiden sie selbst.

Auch Pflanzen stehen auf der EU-Liste, die dickstielige Wasserhyazinthe zum Beispiel: Sie wuchert so schnell, dass sie in kurzer Zeit die Wasseroberfläche bedeckt. Organismen tiefer im Wasser ersticken, anderen fehlt das Sonnenlicht; das ökologische Gleichgewicht gerät durcheinander. Auch kann es sehr teuer werden, wenn etwa die Bahn auf ihrem Gelände die Armenische Brombeere oder den Bärenklau vernichten muss oder wenn invasive Arten die Ernte angreifen. Zudem kann etwa der Riesen-Bärenklau Allergien auslösen. In der EU-Liste kommt er indes nicht vor; laut EU-Kommission war die Risikobewertung nicht rechtzeitig abgeschlossen. Ein Update ist bereits in Arbeit, aber bislang stehen nur 37 Tier- und Pflanzenarten auf der Liste.

"Bei uns sind 90 Prozent der gebietsfremden Arten unproblematisch"

Das ist erstaunlich wenig, schließlich gibt das Europäische Netzwerk für Invasive Spezies (Nobanis) an, dass allein seit 2010 ungefähr 17 000 fremde Arten neu nach Europa eingeschleppt wurden. Allerdings ist nicht jede gebietsfremde Art sofort ein Schädling. "Bei uns sind 90 Prozent der gebietsfremden Arten unproblematisch, weil sie keine Krankheiten mit sich tragen oder andere Arten nicht beeinträchtigen", sagt Ingolf Kühn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.

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Aber auch bei einem Schädlingsanteil von zehn Prozent würden 37 Arten nicht annähernd ausreichen. "Die Liste ist eine Risikoliste für die kommenden Jahre, um die ganz großen Kosten zu vermeiden", sagt Kühn. "Um diese Arten muss man sich jetzt kümmern, damit sie in Zukunft keine Probleme machen." Die EU schätzt, dass invasive Arten heute Kosten von etwa zwölf Milliarden Euro jährlich verursachen. Stefan Nehring, beim Bundesamt für Naturschutz zuständig für invasive Arten, schätzt den Betrag für Deutschland grob auf etwa zwei Milliarden Euro. Sicher ist nur, dass Gegenmaßnahmen teurer werden, wenn die Eindringlinge sich verbreiten. Vor allem das soll die Liste daher verhindern. "Es muss das Ziel sein, solche Arten frühzeitig zu entdecken und zu bekämpfen", sagt Nehring. "Wenn sie sich erst einmal ausgebreitet haben, dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen."

Zum Beispiel das Grauhörnchen in Italien, das die einheimischen Eichhörnchen verdrängt. Als beschlossen wurde, die Tiere zu töten, gab es Bürgerproteste. Die Maßnahmen mussten gestoppt werden. Mittlerweile ist das Grauhörnchen in die Schweiz vorgedrungen und kaum noch aufzuhalten. Das Gleiche gilt für den Waschbären, der sich fast überall in Europa in Wäldern und Stadträndern durch Abfälle frisst.

Oft sind fremde Arten gar nicht die Ursache von Problemen. Sondern nur ein Symptom

"Das Beispiel zeigt uns, dass wir keine neuen invasiven Arten zulassen sollten, weil wir sie nicht kontrollieren können", sagt Nehring. Trotz EU-Liste ist es unwahrscheinlich, dass weitverbreitete Arten wie Waschbär oder Grauhörnchen ausgerottet werden. "Die EU-Verordnung kann das nicht aufhalten, sondern eher verlangsamen", sagt Nehring.

Die meisten Arten der Liste betreffen Deutschland noch nicht, wie etwa das Flutende oder das Großblütige Heusenkraut. "Das sind Beispiele, die man noch gut bekämpfen kann, die aber Probleme machen werden, wenn sie sich ausbreiten", sagt Botaniker Ingolf Kühn. Er vermutet, dass in Deutschland etwa 80 bis 100 Pflanzen- und Tierarten problematisch sind, von mehr als tausend Spezies, die hier ursprünglich nicht vorkommen. Welches Risiko von eingeschleppten Insekten, Würmern und Moosen ausgeht, ist noch nicht geklärt.

So eine Risikoanalyse wäre aber nötig, auch damit die EU-Liste aktualisiert werden kann. Es gibt jedoch keinen wissenschaftlichen Standard dafür. Ab wann gilt eine Art als invasiv? Bei welchen Schäden zieht man die Grenze? Lässt sich vorhersagen, ob sich Arten etablieren? Die European Plant Protection Organization (EPPO) hat zwar ein Screening entwickelt, mit dem das Risiko anhand von klaren Umweltkriterien europaweit einheitlich bewertet werden kann - aber eben nur bei Pflanzen.

"Ich glaube, da gibt es Nachholbedarf. Bis das Ganze mit Leben gefüllt ist, wird es noch große Probleme geben", sagt Kühn. Und nicht immer sind die Invasoren an allem schuld. "Häufig sind die gebietsfremden Arten gar nicht die Ursache für ökologische Veränderungen, sondern nur die Indikatoren", sagt Kühn. Erst zerstört der Mensch die Lebensräume, dann siedeln sich fremde Arten an. Gegen diese Zerstörung hilft die umfangreichste Liste nicht.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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