Ökologie:Das Wunder vom Fraser River

Unlängst noch befürchtete man in Kanada das Verschwinden der wilden Rotlachse. Zur Überraschung der Experten hat sich die Population jedoch erholt - angeblich dank eines Vulkanausbruchs.

Bernadette Calonego

Niemand hat das für möglich gehalten: In der kanadischen Provinz British Columbia beobachten Wissenschaftler ein Combeback der wilden Rotlachse (Oncorhynchus nerka), das manche als Wunder bezeichnen. Schließlich war man unlängst noch davon ausgegangen, dass die Tiere vom Untergang bedroht sind.

Lachse

Die Population der Rotlachse in British Columbia hat sich überraschend erholt.

(Foto: AP)

Erst vor einem Jahr hatten Experten vor einem Kollaps der Population an Kanadas Pazifikküste gewarnt. Jetzt sind diese auch Sockeye genannten Lachse in einer Rekordzahl aus dem Ozean in den Fluss Fraser zurückgeströmt, wie man es seit rund 100 Jahren nicht mehr gesehen hat.

Noch zerbrechen sich Forscher, Fischer und Regierungsexperten den Kopf über die phantastische Erholung der Population. Ein namhafter kanadischer Wissenschafter glaubt jedoch, die Ursache für dieses Phänomen zu kennen: kein Wunder, sondern ein Vulkanausbruch in Alaska im August 2008.

Timothy Parsons ist überzeugt davon, dass die Asche des Vulkans Kasatochi auf der gleichnamigen Aleuten-Insel im US-Bundesstaat Alaska hinter der Fisch-Vermehrung steckt. "Alles, was ich beobachtet habe, lässt diesen Schluss zu", sagt Parsons, der in Kanada eine Koryphäe ist: Ehrenprofessor an der University of British Columbia in der Westküstenstadt Vancouver und Forscher am Institut für Ozeanwissenschaften auf Vancouver Island. Die kanadische Regierung hat sogar eine Verdienstmedaille für Wissenschafter nach ihm benannt.

Parsons vermutet, dass die Vulkanasche den Pazifischen Ozean mit Eisen und Silizium angereichert hat. Dadurch hätten sich die Kieselalgen, Hauptbestandteil von marinem Phytoplankton, explosionsartig vermehrt. Normalerweise ist der Pazifik - im Gegensatz zum Atlantischen Ozean - sehr arm an Eisen. Die Zunahme an Kieselalgen kommt den größeren Krustentieren zugute, die sich im Pazifik von dem Plankton ernähren. Und von der Vermehrung der Krebse profitieren die Lachse. Denn die gedeihen besser, wenn ihre Nahrung aus größeren Krustentieren besteht, wie Parsons erklärt: "Es ist einfacher, sich von einem Kuchenstück zu ernähren als von winzigen Krumen, die man sich zusammensuchen muss."

Der Fraser River, den die Rotlachse hochwandern, um im Fluss oder in Seen zu laichen, ist der bedeutendste Geburtsort für Rotlachse in Kanada. Die Tiere kehren in die Flüsse zurück, nachdem sie sich im Schnitt drei Jahre im Pazifik aufgehalten haben. In den vergangenen fünfzehn Jahren hatten die Experten mit ihren Prognosen zur Zahl der zurückkehrenden Lachse stets weit danebengelegen. Im Jahr 2009 hatten sie mit elf Millionen Sockeyes gerechnet - es kamen nur 1,5 Millionen, die kleinste Menge aller Zeiten. Im Auftrag der Regierung war eigens eine Kommission gebildet worden, um diesen Rückgang zu untersuchen. Die kommerzielle Fischerei wurde für drei Jahre verboten.

In diesem Jahr mussten die überraschten Experten ihre erste Prognose auf 25 Millionen Lachse korrigieren, später auf 30 Millionen und dann auf 34,5 Millionen. Große Verwirrung herrscht. Jetzt darf wieder gefischt werden.

"Ein positives Rätsel"

"Es ist ein sehr positives Rätsel", sagt Brian Riddell von der Pacific Salmon Foundation, einer Organisation, die sich für den Lachs einsetzt. Laut Riddell weiß man zu wenig darüber, was mit den jungen Lachsen passiert, wenn sie einmal den Fluss verlassen hätten und in der vorgelagerten Meeresstraße Georgia Strait und im Pazifik seien. Dort müssten mehr Daten über die Überlebensrate der Lachse gesammelt werden. "Die ersten sechs bis acht Wochen im Ozean sind entscheidend", sagt Riddell. "Bislang haben wir keine stetigen jährlichen Beobachtungen, nur allgemeine biologische Informationen."

Oft wird das wärmere Wasser infolge der globalen Erwärmung als Grund für den Rückgang der Lachspopulationen genannt. Aber Riddell sagt, das allein könne nicht zu diesen gewaltigen Veränderungen führen. Experten untersuchen, wie sich die Windbewegungen im Spätwinter und Frühling in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren verändert haben. Diese Windbewegungen machten die oberen Schichten des Pazifiks instabiler und weniger Licht werde durchgelassen, was die Vermehrung von Plankton beeinträchtige, erklärt Riddell.

Doch Timothy Parsons ist überzeugt davon, dass seine Hypothese mit dem Vulkanausbruch die wahrscheinlichste Begründung für das phänomenale Wachstum der diesjährigen Rotlachspopulation sei, auch wenn er den absoluten Beweis dafür nicht habe. Ein deutlicher Hinweis ist für ihn aber ein Forschungsbericht von Roberta Hamme, Assistenzprofessorin an der University of Victoria in British Columbia.

Sie hatte in einer Untersuchung beschrieben, wie nach dem Vulkanausbruch auf Kasatochi ein Schauer von eisenhaltiger Asche in den Golf von Alaska gefallen war. Dieser Ascheregen habe in einer mehr als 1000 Kilometer breiten Zone ein explosionsartiges Wachstum beim Phytoplankton bewirkt.

Parsons selbst hatte in den siebziger Jahren in einem Experiment einen See auf Vancouver Island mit Nitraten und Phosphaten angereichert, um die Auswirkungen auf junge Rotlachse zu erforschen. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Fische wurden im Schnitt 35 Prozent größer als gewöhnlich. Und "anstelle von 52.000 Rotlachsen kehrten 375.000 in die Flüsse zurück", sagt Parsons.

Später studierte er die Nahrungsketten im Ozean und fand heraus, dass sich die Reproduktion der Lachse im Golf von Alaska markant verändert, je nach Art und Dichte des Phytoplanktons. Parsons hat nun seinen Bericht über den Vulkanausbruch und seine wahrscheinlichen Folgen dem Regierungsausschuss vorgelegt, der sich für einige Monate mit dem Schicksal des Rotlachses befasst. Einige Wissenschafter seien mit seinen Vermutungen einverstanden, sagt Parsons. "Manche sagen aber, es könnte eine andere Erklärung geben, aber sie nennen keine."

Hilfe tut für den Rotlachs so oder so not. Lachsexperte Jay Ritchlin von der Umweltorganisation David Suzuki Foundation in Vancouver, warnt, dass nur zwei von 40 unterschiedlichen Sockeye-Populationen im Fraser River für den Rekordansturm verantwortlich seien. Die wundersame Erholung des Rotlachses, so fordert Ritchlin, sollte Anlass sein, die Bestände nach einem 50-jährigen Abwärtstrend wieder aufzubauen. Man kann ja nicht Jahr für Jahr auf einen Vulkanausbruch hoffen.

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