Ernährung:Dieses Gemüse ist gemein

Das Grünzeug auf dem Teller hat einen viel zu guten Ruf. Avocados verwüsten ganze Landstriche, Erdnüsse töten, Weißkohl traumatisiert Kinder. Eine kleine Ernährungsberatung.

Von Thorsten Glotzmann (Text) und Stefan Dimitrov (Illustrationen)

Gefahr in der Hülse

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Die Erdnuss ist im botanischen Sinn noch nicht mal eine Nuss, sondern eine Hülsenfrucht. Und das ist nur das erste Problem. Es besteht der dringende Verdacht, dass wir es mit einer Hochstaplerin zu tun haben, die sich als Heilsbringerin feiern lässt, um sich hinterrücks an Kindern zu vergehen. Was verspricht man sich nicht alles von der Erdnuss? Sie soll einen positiven Einfluss auf einen erhöhten Cholesterinspiegel haben, eine hervorragende Eiweiß-, Vitamin-B-, Vitamin-E- und Vitamin-sonstwas-Quelle sein, das Risiko verschiedener Krankheiten verringern und das Leben verlängern. Es würde nicht überraschen, wenn ihr Experten bald auch die Befriedung des Nahostkonflikts zutrauen würden. Doch was Obama nicht geschafft hat, das schafft auch die Erdnuss nicht. Dem Menschen ist sie vor allem eines: eine Gefahr. Schon winzige Spuren im Essen können bei Allergikern Hautausschlag, Atemnot oder Kreislaufzusammenbrüche verursachen. In westlichen Ländern sind heute bereits bis zu drei Prozent der Kinder von einer Erdnussallergie betroffen, offenbar doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Die Erdnuss verdient nur unsere Verachtung! Nach der Leitlinie eines US-amerikanischen Allergie-Instituts soll Kindern dennoch frühestmöglich erdnusshaltige Nahrung zugeführt werden - um einer Allergie vorzubeugen. Was aber ist erstrebenswert daran, Kinder mit einer Hülsenfrucht zu traumatisieren, die gerne Nuss wäre, aber eigentlich nur Erbse ist? Richtig. Gar nichts.

Zum Hassen

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Selten war die Bezeichnung einer Fruchtsorte so zutreffend: die Hass-Avocado. Benannt nach ihrem Entdecker, dem kalifornischen Briefträger Rudolph Hass, der vor mehr als 80 Jahren in seinem Garten mit verschiedenen Züchtungen experimentierte. Er hätte in seiner Freizeit lieber Briefmarken sammeln sollen. So aber brachte er ein großes Übel in die Welt. In Gestalt einer 400 Gramm schweren Beere, die an einem immergrünen Laubbaum wächst. Superfood, weil super gesund - mit vielen ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen. Aber auch super durstig. Ein Kilogramm, also drei bis vier Avocados verbrauchen rund 1000 Liter Wasser. In Worten: Eintausend Liter! Der Absatz im Jahr 2017 in Deutschland: 57 Millionen Kilo. Das ergibt einen Wasserverbrauch von 57 Milliarden Litern. Dabei wächst die Avocado in Ländern, die unter Trockenheit leiden. Im Supermarkt unseres Vertrauens befindet man sie dann entweder als zu hart oder als zu matschig. Hat man sie geöffnet, rutscht man mit dem Messer am harten Kern ab und durchtrennt Nerven. Ein britischer Chirurg fordert deshalb einen Warnaufkleber auf der Frucht. Wie wäre es mit einem Verbotsschild?

Ästhetische Verbrechen

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Tomaten sind eigentlich nur in einem einzigen Zustand erträglich. In Gestalt frischer Cherrytomaten nämlich, etwas süßlich im Geschmack, auf dem eigenen Balkon anbaubar und keiner weiteren Zubereitung bedürftig, da sie Mutter Natur für ihre hungrigen Menschenkinder bereits mundgerecht geformt hat. In jeder, ja wirklich jeder anderen Gestalt sind Tomaten unzumutbar. Finden Sie nicht? Dann sehen Sie sich bitte Strauch- und Fleischtomaten an! Ästhetische Verbrechen! Schon der Name "Fleischtomate" verrät alles über ihre Bauerntölpelhaftigkeit. Unter den Nachtschattengewächsen ist sie so etwas wie das RTL-II-Nachmittagsprogramm. Einst irreführend als "Liebesapfel" bezeichnet, dabei so einladend wie Monis Sexkino kurz vor Ladenschluss. Irgendwie abstoßend auch ihr Geschmack, den sie im Kühlschrank gänzlich verliert, da bei längerer Kühlung weniger Aromastoffe produziert werden und die sogenannten "flüchtigen Verbindungen", die das Aroma wesentlich mitbeeinflussen, über den Stielansatz entweichen können. Ideal sei deswegen eine Temperatur um 15 Grad, weshalb man sie am besten im Keller aufbewahre, was wiederum bedeutet, dass man für dieses blasse Stück Gemüse auch noch Treppen steigen soll. Empfohlen wird überdies, die reife Tomate in ein weiches Tuch zu betten, um Druckstellen zu verhindern. Was bitte soll diese Prinzessinnenattitüde? Es ist, als bilde sich eine mittelmäßig begabte Provinzschauspielerin ein, Marilyn Monroe zu sein. Lächerlich! Aber für Tomatensoßen sei sie doch recht brauchbar? Nun ja, immerhin ereilt sie dann das Schicksal, das sie verdient: zerquetscht und zerstampft zu werden. Doch letztlich ist auch die Tomatensoße ein Eingeständnis von kulinarischem Dilettantismus. Wer seine Pasta darin ertränkt, leidet unter chronischer Einfallslosigkeit. Mal ganz abgesehen davon, dass die wasserhaltige Frucht schimmelanfällig ist und zum Sammelbecken für Mykotoxine werden kann, die so giftig sind, wie sie klingen. Ist die Tomate grün und unreif, enthält sie ein anderes Gift, Solanin nämlich, das sie gegen Fressfeinde schützen soll. Besonders am Stielansatz, der deshalb immer mühsam herausgeschnitten werden muss. Was für sich genommen schon ein guter Grund wäre, sie zu ignorieren. Deshalb: Fressfeinde aller Länder, vereinigt euch! Macht der Tomate endlich den Garaus!

Massaker im Regenwald

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Vorneweg: Gegen die Sojabohne ist per se nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Dank der mineralstoff- und proteinreichen Hülsenfrucht werden Fleischgerichte mehr und mehr zu einer blassen Erinnerung an eine ferne Zeit, in der der Mensch noch Massentiermörder war. Das Problem ist, dass auch etwas Gutes wie die Sojabohne Furchtbares anrichten kann: Dem stetig wachsenden Anbau von Soja sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Millionen Hektar Grasland und Regenwald zum Opfer gefallen, vor allem in Südamerika. Schuld daran ist allerdings nicht das viel belächelte Vegetarier-Veganer-Gutmenschentum, das sich Sojadrinks und Tofu einverleibt. Lebensmittel für den Menschen machen nur sechs Prozent der Produktion aus. Etwa 80 Prozent des importierten Sojas fließen in die Fütterung von Schlachttieren. Laut WWF wird fast ein Kilo Soja benötigt, um ein Kilo Geflügelfleisch zu erzeugen. Es ist also nicht die Sojabohne, die unseren Planeten zerstört, auch nicht der Soja-Latte-Macchiato trinkende Prenzlauer-Berg-Papa in Elternzeit, der nach Büttenrednerin Annegret Kramp-Karrenbauer auch eine Toilette für das dritte Geschlecht einführen will. Es ist viel eher die Art von Mensch, die das AKK-Prüfsiegel des "echten Mannes" verdient: der Fleischesser, Schlächter unschuldigen Lebens, barbarisches Biest.

Zum Kotzen

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Ja, die Durian stinkt. Sie stinkt so bestialisch, dass immer wieder ganze Flugzeuge geräumt und gelüftet werden müssen - und ihr Verzehr in thailändischen Hotels und U-Bahnen verboten ist. Sie stinkt wie eine Mischung aus verschwitzten Sportsocken, vergorenem Kohl, verfaultem Müll und verrottetem Fleisch. Verantwortlich dafür ist die Kombination zweier chemischer Verbindungen, wie Forscher herausgefunden haben: "fruchtiges Ethyl-2-methylbutanoat und zwiebeliges 1-(Ethylsulfanyl)ethanthiol". Trotzdem gilt die stachelige, kokosnussgroße Frucht in Südostasien als Delikatesse - wegen ihres gelben vanilleähnlichen Fleisches. Der eigentliche Grund aber, weshalb die Durian unbedingt abgeschafft werden muss, ist nicht ihr Gestank. Noch unerträglicher ist das in ihr steckende Challenge-Potenzial, das man in Dschungelcamp- und Youtuber-Kreisen für sich entdeckt hat. Die Durian generiert zuverlässig Aufmerksamkeit und Klicks - nach dem Prinzip: "Das hier ist eine Kotzfrucht, sie stinkt nach einem Furz - und ich esse sie jetzt! Hihihi." Schaut man sich derartig belangloses Bewegtbild-Entertainment an, wünscht man sich nur eines: Wäre die Durian doch giftig!

Teufelskraut

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Als Dante Alighieri in seiner "Göttlichen Komödie" die Hölle beschrieben hat, tat er das mit großer Fantasie. Er hat aber eines vergessen: zu welcher Speise die Verdammten in den neun Höllenkreisen verurteilt sind. Man liest seine Verse und fragt sich: Was bitte kommt bei Luzifer auf den Tisch? Denn bei aller Quälerei in kochendem Pech, saurem Rauch und brennender Flammenwand - gegessen werden muss doch auch einmal. Wenn man dann so an das Höllengemüse der eigenen Kindheit zurückdenkt, ahnt man: Es muss Kohl gewesen sein. Genauer: Weißkohl. Pfui, Teufel - im wahrsten Sinn des Wortes. Unkombinierbar, ungenießbar. Während also Luzifer die Brudermörder und Freundesverräter zermalmt, stopft er ihnen gewiss Weiß- oder halbverdorbenen Stängelkohl ins Maul, dabei unablässig die gesundheitlichen Vorteile des Krauts preisend, in etwa so: "Hmmm, Vitamin-C-reich ... beugt Erkältungen vor ... na, Mund auf! Enthält Milchsäurebakterien für den Darm und Isothiocyanate ... weißt du, wofür die gut sind? Ach, schrei doch nicht so! Die bremsen das Wachstum von Krebszellen. Und Kalium, gut fürs Herz. Und Kalzium für gesunde Knochen und Zähne ... aber die sind ja ohnehin schon gebrochen. Hahaha!" Vor einer jeden Kohlzubereitung gilt deshalb das, was auf dem Tor zur Hölle geschrieben steht, aus der Göttlichen Komödie drittem Gesang: "Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!"

Grüne Gefahr

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Man stelle sich das vor: Da ist man mal ganz Kleingärtner und züchtet sich eine Zucchini, so ein krummes grünes Ding, das es natürlich auch in jedem Super- oder meinetwegen Biomarkt gibt, aber gut, man ist ja Selbstversorger. Und dann erntet man das und macht sich so einen leckeren Zucchini-Eintopf und freut sich, dass man da etwas in sich hineinlöffelt, das man mit den eigenen Händen angebaut hat. Wie ein echter Kleingärtner eben. Es schmeckt nur ein bisschen bitter, aber was soll's, wäre ja schade um die Mühe. Tja, und dann fällt man tot um. Natürlich nicht gleich, erst fühlt man sich unwohl, dann wird einem übel und dann hat man Durchfall. Und wenn's blöd läuft, wird das Ganze blutig. Und dann zack, bumm, tot. Alles nicht erfunden, alles schon passiert. In Heidenheim im Jahr 2015, wenn Sie es genau wissen wollen. Der Mann war 79. Schuld an der Auflösung seiner Magen-Darm-Schleimhaut war der giftige Bitterstoff Cucurbitacin, der aus Kürbisgewächsen eigentlich herausgezüchtet wurde. In Einzelfällen kann es zu Rückmutationen kommen. Das Hauptrisiko liege im Kleingärtnerbereich. Für den armen Mann kam die Warnung zu spät. Bitter.

Konfetti to go

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Es gibt viele Gründe, den Konsumirrsinn zu verdammen. Ein oft vergessener ist die Existenz von Tütensalat. Er suggeriert anstrengungslosen Genuss: vorgeschnittene, gewaschene Salatblätter, in Plastikbeutel eingeschweißt. Die Illusion verzehrfertiger Gesundheit. Im abgepackten Salatkonfetti to go zeigt sich, wie sehr der verwöhnte Mensch zum unmündigen Ignoranten degeneriert ist - auf den das zutrifft, was Kant über den Faulen geschrieben hat: "Es ist so bequem, unmündig zu sein ... Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann." Doch Faulheit ist eine Todsünde und rächt sich schon im Diesseits. Tütensalat ist derart keimbelastet, dass man das Dressing dazu auch in einem öffentlichen Pissoir anrühren könnte. Der aus den Schnittkanten austretende Pflanzensaft begünstigt das Bakterienwachstum. Salmonellen und E.-coli-Erreger gedeihen darin prächtig. In einer Packung Meeresalgen-Salat wurden schon Hepatitis-E-Viren nachgewiesen. Dabei sind Salatblätter noch nicht einmal vitaminreich, sie bestehen zu 95 Prozent aus Wasser. Wer es nicht schafft, sie selbst zu schneiden und zu waschen, der verdient, daran zugrunde zu gehen.

Unheilbringer

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Mal angenommen, die Herren Trump, Erdoğan, Bolsonaro und Kim Jong-un würden sich zu einem Brainstorming zusammensetzen - Darth Vader, Sauron und Lord Voldemort wären zu Impulsvorträgen geladen, um darüber zu beraten, mit welcher Frucht sich das größtmögliche Unheil über die Menschheit bringen ließe. Ihre Wahl fiele auf die Ölpalme. Sie ist die schlechteste aller Ideen in der schlechtesten aller Welten. Nicht nur für die Orang-Utans und Borneo-Zwergelefanten, deren Regenwaldheimat die Ölpalme vernichtet. Auch für das Klima. Die Abwässer einer südostasiatischen Palmölplantage setzen pro Jahr mehrere Tausend Tonnen des Treibhausgases Methan frei. Um sich weltweit auf bis zu 19 Millionen Hektar Land ausbreiten zu können, kommt die Ölpalme in verführerischem Gewand daher: Ihr Anbau ist effizient, ihr Fett hitzebeständig, haltbar und billig. Der Kapitalist in uns reibt sich die Hände und ballert 50 Liter palmölhaltigen Biodiesel in seinen SUV. Doch auch ihn wird die Frucht niederringen: Wenn er eines Morgens mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung vom Stuhl kippt, dann ist auch daran womöglich die Ölpalme schuld.

Vielflieger

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Von Karl Lagerfelds Katze Choupette heißt es, sie habe zwei Dienstmädchen und fliege im eigenen Privatjet um die Welt. Wer das für ein Zeichen spätrömischer Dekadenz hält und den verstorbenen Modezar für einen unverantwortlichen Schnösel, der das Klima durch die Flugreisen eines Haustiers belaste, der halte im Supermarkt Abstand von der Flugmango. Sie trägt diesen Namen nicht etwa deshalb, weil sie irgendwie flugbegabt wäre, sondern schlicht und einfach, weil sie im Flugzeug aus Amerika, Afrika, Asien oder Australien nach Europa eskortiert wird. Als eine Art Mango-Premiumvariante für angebliche Gourmets, die im Grunde nichts anderes als ignorante Umweltsünder mit zu dickem Geldbeutel sind. Sie sagen, die edle Flugmango sei im Vergleich zur Pöbel-Mango, die mit ihren Proletenfreunden auf dem gemeinen Schiffsweg reise, geschmackvoller, weil sie länger am Baum hängen könne, von einer Tüte gegen zu viel Sonne geschützt, um nach drei Monaten reif gepflückt und in den Mund eines Feinschmeckers transportiert zu werden. Dabei belastet sie die Umwelt ungefähr zehn Mal so stark - für ein Kilogramm Flugmango wird sogar 170-mal mehr Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre gepustet. Es werde ja aber nicht extra für sie geflogen, sagen ihre Verteidiger, sie fliege auf Passagierflügen im unteren Teil der Maschine mit. Eine Mango hat aber gar nicht zu fliegen, ebenso wenig wie Birma-Katzen, egal, wie süß und flauschig sie sind. Sorry, Choupette!

© SZ vom 8.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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