Forschung:Wie die Plattform "Octopus" die Forschung revolutionieren will

Lesezeit: 3 Min.

Wie wird Wissen veröffentlicht und gespeichert? Bibliothek der Universität Oxford. (Foto: Christopher Furlong/Getty Images)

Um Fehler und falsche Anreize zu vermeiden, werden Studien auf der Webseite "Octopus" ganz anders veröffentlicht als gewohnt. Doch lassen sich die Probleme in der Wissenschaft damit lösen?

Von Jan Schwenkenbecher

Die Wissenschaft korrigiert sich beständig selbst. Schreiben Forscher eine Studie, schauen da andere Forscher drauf, dann, wenn sie veröffentlicht wird, noch viel mehr. Was nicht richtig ist, kann korrigiert werden. Seit einigen Jahren arbeitet ein ganzer Strang der Wissenschaft auch daran, Vorschläge für ein neues Publikationswesen im Wissenschaftsbetrieb zu schaffen. Denn auch das enthält gewisse - die einen würden sagen "Fehler", andere vielleicht nur von "Fehlanreizen" sprechen. Dass es Verbesserungspotenziale gibt, da dürften sich alle einig sein. Nun hat das Joint Information Systems Committee (Jisc), eine britische Nichtregierungsorganisation, die neue Technologien für Forschung und Lehre entwickelt und fördert, eine "bahnbrechende offene Forschungsplattform" vorgestellt: Octopus.

Octopus, so das Versprechen, soll eine schnelle, kostenlose und faire Veröffentlichung von Forschungsergebnissen ermöglichen, die allen offen steht. Die Plattform solle nicht weniger als die gesamte Anreizstruktur in der Wissenschaft verändern, sagt Alexandra Freeman vom Winton Centre for Risk and Evidence Communication der Universität Cambridge, die Octopus leitet. Die Plattform beseitige das Problem, dass wissenschaftliche Arbeiten ausschließlich anhand ihrer Ergebnisse beurteilt würden, was dazu führen könne, dass Forscher beeindruckend klingenden Ergebnissen den Vorzug vor soliden Theorien und Methoden geben. "Sie wird Forscher dazu ermutigen, sich auf ihre Fähigkeiten als Theoretiker, Methodiker, Datensammler, Analytiker, Umsetzer oder Kritiker zu spezialisieren, anstatt zu versuchen, alles auf einmal zu machen", so Freeman. Forscher könnten sich so stärker auf die Qualität ihrer Arbeit konzentrieren.

Tatsächlich passt die Plattform damit zu einem Trend, der in der Open-Science-Szene seit einigen Jahren immer stärker zu beobachten ist: weg von der Ergebnis-Bewertung, hin zur Prozess-Bewertung. Gute Forschung statt guter Ergebnisse. Gute Forschung, das bedeutet in diesem Fall: sauber hergeleitete Hypothesen, eine ausreichende Zahl von Versuchspersonen, die passenden statistischen Verfahren, transparentes Berichten. Es ist nicht so, als würde der herkömmliche Publikationsbetrieb diese Schwerpunkt-Verschiebung vollends ignorieren. Auch dort gibt es Zeitschriften, die viel Wert auf die Methodik legen und zum Beispiel den Aufbau einer Studie schon vor der Datenerhebung prüfen. Es gibt Magazine, die Nullergebnisse veröffentlichen - also solche, die anders ausfallen, als man vorher angenommen hat - oder solche, die darauf achten, dass alle Daten mitveröffentlicht werden, damit Skeptiker nachrechnen können.

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Wieso sollte das Verfassen von Forschungsschnipseln nicht auch Zwängen unterliegen?

Doch Octopus will einen Schritt weitergehen und das klassische Artikel-Format - Einleitung, Methodenteil, Ergebnisse, Diskussion - in Einzelteile aufbrechen. Auf der Plattform können Forscher demnach kleine Einzelbeiträge in den Kategorien Problem, Peer Review, Hypothese, Protokoll, Ergebnis, Analyse, Interpretation und Anwendung veröffentlichen. Das eine große Paper, in dem das alles enthalten ist, gibt es nicht mehr. Die Einzelbeiträge können von anderen Forschern mit null bis fünf Sternen bewertet werden. Die Vorteile für die Forscher sollen darin liegen, dass sie ihre Beiträge schneller veröffentlichen können und nicht monatelang auf die Rückmeldung eines Magazins warten müssen. Außerdem können sie nur in den Bereichen veröffentlichen, in denen sie Experten sind: Der eine kennt sich vielleicht in Methoden besser aus, der nächste mit der Übertragbarkeit in den Alltag.

Doch ist das nun bahnbrechend? Einer, der das ganz gut einschätzen kann, ist Malte Elson, Junior-Professor für die Psychologie der Mensch-Technik-Interaktion an der Universität Bochum, er forscht viel über die Forschung selbst. "Die Seite beschreibt ein recht ambitioniertes Ziel, nämlich eine Alternative zum klassischen Paper zu bieten", sagt Elson. "Was für mich nicht ganz klar wird: Welches Problem löst es?"

Sicherlich könne es bei großen Forschungsprojekten sinnvoll sein, mit Veröffentlichungen nicht erst bis ganz zum Schluss zu warten. "Aber das ist bereits jetzt möglich, zum Beispiel in dezidierten Fachzeitschriften für Methoden", sagt Elson. "Der Nutzen einer frühen Veröffentlichung einer Hypothese - die beispielsweise in den Sozialwissenschaften oft nicht formalisiert sind, sondern nur aus ein paar Sätzen bestehen - losgelöst von jeglicher theoretischen oder empirischen Arbeit erschließt sich mir wiederum nicht auf den ersten Blick." Außerdem sei ihm nicht ganz klar, so Elson, "wieso das Verfassen von Forschungsschnipseln nicht genau den gleichen Zwängen unterliegt wie das Verfassen eines klassischen Aufsatzes".

Es ist also noch nicht ausgemacht, dass auch der Rest der Fachwelt das Projekt als so bahnbrechend einschätzen wird, wie die Octopus-Verantwortlichen das selbst tun, und dass Octopus das Publikationswesen revolutioniert. Aber vielleicht muss es das ja auch gar nicht. Ein paar Vorteile ergeben sich daraus nämlich auch so.

Der grundlegende Gedanke, Forschungsprozesse transparent zu machen, gefalle ihm gut, sagt Elson. "Die Öffentlichkeit kann so ganz anschaulich darüber informiert werden, wie Forschung von der ersten Idee bis hin zur Anwendung funktioniert." Und auch für die Weiterbildung der Forscher selbst und vor allem deren Nachwuchs sei das Projekt interessant. "Auch in der Lehre für angehende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen könnte ich mir den Einsatz gut vorstellen", sagt Elson.

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