Nützliche Artenvielfalt:Medizin aus dem Frosch

Wenn Tiere aussterben, gehen oft auch wertvolle Heilmittel verloren, die in den Lebewesen zu finden wären. Der Erhalt der Artenvielfalt dient demnach auch unserer Gesundheit.

Martin Kotynek

Was an ihrem sonst unscheinbaren Äußeren auffiel, waren die Augen. Viel zu groß, viel zu eng beisammen und ungewöhnlich weit stachen sie aus dem flachen Gesicht hervor. Ein gräulicher Schimmer lag auf ihrer Haut. Ihre Stimme war laut und hoch. Als die Froschart der sogenannten Magenbrüter ausgestorben war, weinte ihr kein Mensch eine Träne nach - außer vielleicht jene Wissenschaftler, die hinter dem Geheimnis dieser Amphibien her waren.

Vergebliche Hoffnung auf Magenmittel

Im australischen Urwald hatten sie entdeckt, dass die Weibchen der Froschart ihre eigenen Eier verschluckten, sie in ihrem Magen ausbrüteten und den Nachwuchs anschließend wieder erbrachen.

Damit die jungen Kaulquappen nicht von der Mutter verdaut wurden, sonderten sie unbekannte Substanzen ab. Sie verhinderten, dass Magensäure erzeugt wurde. Damit hatten die Forscher möglicherweise ein Mittel gegen Magengeschwüre entdeckt, denn diese entstehen oft, weil zu viel Säure produziert wird.

Als die Wissenschaftler die Frösche weiter erforschen wollten, waren sie bereits ausgestorben - und mit ihr womöglich ein Medikament, das den rund 100.000 Menschen, die jährlich allein in Deutschland ein Magengeschwür entwickeln, hätte helfen können.

Es ist nur ein Beispiel von vielen, das die Harvard-Forscher Eric Chivian und Aaron Bernstein in dem neuen Buch "Sustaining Life" dokumentieren. Darin fassen mehr als 100 Forscher zusammen, welche Rolle Tiere und Pflanzen für die Gesundheit der Menschheit spielen. Dabei machen sie deutlich, dass sich der Verlust einer unscheinbaren Art fatal auswirken kann - und wie die Menschen mit der Natur verknüpft sind.

"Artenvielfalt spielt eine außerordentlich wichtige Rolle für die menschliche Gesundheit, in fast jeder nur erdenklichen Weise", schreibt der Zoologe Edward O. Wilson, der wohl bekannteste Artenforscher Amerikas, in dem Buch, das Mitte Mai erscheinen wird.

"Derzeit herrscht die Ansicht vor, dass die menschliche Gesundheit großteils eine innere Angelegenheit unserer Art ist", schreibt Wilson. "Doch die Menschheit ist im Netzwerk des Lebens entstanden und bleibt auch darin verstrickt." Die Erforschung der Auswirkungen der Artenvielfalt auf neue Medikamente werde zumeist ignoriert, schreibt Wilson.

Offenbar sind es gerade die Amphibien - also unter anderem Frösche, Salamander und Molche -, die den größten Schatz an potentiellen Wirkstoffen in sich tragen. Weil sie Wasser und Sauerstoff durch ihre Haut aufnehmen, müssen sie sich besonders wirkungsvoll vor Krankheitserregern schützen. Ihr Abwehrsystem ist hoch entwickelt.

Es erzeugt zahlreiche, heute noch unbekannte Substanzen, die - sofern sie entdeckt werden - bei der Bekämpfung menschlicher Erkrankungen helfen können. Gleichzeitig ist diese Tierklasse aber am stärksten gefährdet. Beinahe ein Drittel aller bekannten Amphibien ist vom Aussterben bedroht, 122 sind bereits ausgestorben. Mit jeder Art, die verschwindet, gehen möglicherweise lebensrettende Medikamente für immer verloren.

Der Mensch ist verantwortlich

Das Sterben der Amphibien ist laut Chivian und Bernstein direkt auf die Aktivität des Menschen zurückzuführen. Die meisten Arten haben sich an einen sehr speziellen Lebensraum angepasst. Wenn sich die Bedingungen darin so stark verändern, dass sich die Tiere nicht mehr anpassen können, kollabiert ihr Immunsystem. Dann sterben sie - wie HIV-infizierte Menschen - an sonst harmlosen Infekten.

Und die Lebensräume der Amphibien ändern sich derzeit drastisch: Fremde Fische werden eingeführt und fressen die Kaulquappen; durch den Klimawandel regnet es vielerorts seltener und in den Tümpeln steht weniger Wasser. Durch die geringere Wassertiefe wird weniger ultraviolette Strahlung von der Sonne gefiltert, was die Eier schädigt; und schließlich werden die Froschbestände schlicht aus kulinarischen Gründen ausgebeutet - jährlich werden zehn Millionen Frösche gegessen.

Medizin aus dem Frosch

Dabei spielen Amphibien gerade bei der Suche nach Antibiotika eine wichtige Rolle. Immer mehr Krankheitserreger werden gegen bekannte Medikamente immun. Bis zu 1500 Menschen sterben jährlich in Deutschland an einer Infektion mit dem Bakterium Staphylococcus aureus, das gegen wichtige Antibiotika resistent ist.

Im Verdauungstrakt des Krallenfroschs wurde aber eine antibakteriell wirkende Substanz gefunden, die die Zellmembranen derartiger Mikroben durchlöchert. Gegen menschliche Zellen wirkt sie nur, wenn es sich um Krebszellen handelt. Unter der Bezeichnung "Pexiganan" wird der Wirkstoff derzeit in klinischen Studien geprüft und könnte bald auf den Markt kommen. Bei der Behandlung von offenen Beinen bei Diabetikern war der Stoff bereits erfolgreich.

Bereits auf dem Markt ist das Medikament "Prialt", das die Droge Ziconotide enthält. Es ist fast tausendmal so wirkungsvoll wie Morphium und lindert bei Krebs- und Aids-Patienten starke chronische Schmerzen. Der Wirkstoff wurde im Gift der Kegelschnecke Conus magus entdeckt. 70 Prozent der Kegelschnecken leben in Korallenriffen - ein Lebensraum, der durch den Klimawandel stark bedroht ist.

Hilfe vom Bären

Doch auch bei Säugetieren sind Wissenschaftler auf mögliche neue Medikamente gestoßen. Unter dem Markennamen "Ursofalk" wird ein Wirkstoff verkauft, der in der Galle von Bären entdeckt wurde. Er kann Gallensteine auflösen, Verdauungsbeschwerden lindern und hilft Kranken, die auf eine Leber-Transplantation warten, zu überleben.

Die Erforschung weiterer Wirkstoffe wird jedoch erschwert, da viele Bärenarten vom Aussterben bedroht sind - darunter der Schwarzbär. Er ist für die Medizin von großem Wert, da eine Substanz in seinem Körper während des Winterschlafs verhindert, dass Knochenmasse abgebaut wird.

Menschen, die fünf Monate lang bettlägerig sind, verlieren bis zu einem Drittel ihrer Knochenmasse. Zudem sterben jährlich etwa 740.000 Menschen an den Folgen von Hüftfrakturen, der Großteil davon ist durch Knochenschwund bedingt.

"Die unüberlegte Zerstörung von Ökosystemen rund um die Welt kann die Ausbreitung menschlicher Infektionskrankheiten beschleunigen", schreibt der amerikanische Zoologe Edward Wilson in dem Buch der Harvard-Forscher. Besonders die Entwicklungsländer seien davon betroffen. Wilson fordert dazu auf, die Artenvielfalt "nicht zuletzt für unser eigenes Wohlergehen" stärker zu schützen. Gelegenheit dazu böte sich bereits Mitte Mai, wenn in Bonn die Weltartenschutzkonferenz stattfindet.

"Wir brauchen einen Durchbruch in Bonn", sagt Achim Steiner, der Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, das die Konferenz organisiert. "Der Verlust der Lebensräume, die Zerstörung und Schwächung der Ökosysteme, Umweltverschmutzung, Ausbeutung und der Klimawandel zehren am Naturkapital des Planeten, einschließlich der medizinischen Schatzkiste, die in der Artenvielfalt verborgen liegt", sagt Unep-Chef Steiner.

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