Süddeutsche Zeitung

Nordwestpassage:Tödliche Schwäche in der Arktis

  • Die Besatzung der dritten Franklin-Expedition in die Arktis könnte laut einer neuen Studie an Mangelernährung gestorben sein.
  • Bislang vermutete man eine Bleivergiftung der Mannschaft.
  • Die neue Analyse legt nahe, dass Vitaminmangel die Seeleute schwächte und ihr Körper sich nicht mehr gegen Krankheitserreger zur Wehr setzen konnte.

Von Kathrin Zinkant

Kanadische Wissenschaftler stellen die bislang anerkannte Theorie zum Schicksal der dritten Franklin-Expedition infrage: Demnach starben die fast 130 Teilnehmer der Forschungsreise vor 170 Jahren nicht an einer Bleivergiftung, sondern schlicht an extremer Mangelernährung.

Der Polarforscher John Franklin war 1845 mit zwei Schiffen in See gestochen, um einen nördlichen Seeweg von der Ostküste Kanadas durch die Arktis in den indischen Ozean zu erschließen. Die HMS Terror blieb jedoch, wie ihr Schwesterschiff Erebus, im Eis des arktischen Winters von 1846 stecken und wurde auch im folgenden, kalten Sommer nicht wieder befreit.

Was aus der Besatzung wurde, hat seither zahlreiche Forscher beschäftigt und fast so viele Hypothesen zur Todesursache der Männer hervorgebracht wie Romane. In Sten Nadolnys "Die Entdeckung der Langsamkeit" von 1983 stirbt John Franklin an einem Schlaganfall. Der Rest der 129-köpfigen Mannschaft fällt in den folgenden Monaten dem Hunger zum Opfer. Was einleuchtet, befand sich die Expedition damals doch mitten in einer Eiswüste.

Doch die zahllosen Expeditionen, die wenige Jahre nach Franklins Aufbruch in die Arktis und bis ins aktuelle Jahrzehnt nach Spuren im Eis suchten, förderten neben den beiden Schiffen, mehreren Camps und zahlreichen menschlichen Überresten widersprüchliche Hinweise zutage. Zwar bestätigte sich, dass Franklin sehr plötzlich gestorben sein muss. Säuberlich zersägte Knochen einzelner Crewmitglieder sprachen für Kannibalismus. Andererseits zeigte sich, dass die Mannschaft noch über Vorräte verfügte.

Einige Forscher vermuteten daher, dass Skorbut - also ein schwerer Vitamin-C-Mangel - die Männer geschwächt habe. Anderseits hatte die Expedition mehrere Tonnen Zitronensaft mitgeführt, um den Mangel zu vermeiden. Erste Analysen lieferten Ende der 1980er Jahre schließlich eine mögliche Erklärung: Demnach hatten die schlecht verlöteten Konservendosen die Männer mit Blei vergiftet. Extreme Konzentrationen des Schwermetalls fanden sich in den Haaren mehrerer Leichen.

Die Forscher um Hing Man Chan von der Universität in Ottawa widersprechen dieser populären These jetzt: Sie haben einen Daumen- und einen Zehennagel des Leichnams von John Hartnell untersucht. Hartnell war eines der ersten Opfer der Expedition. Zwar war zuvor auch in seinen Haaren eine hohe Bleikonzentration gefunden worden. Chans Team konnte aber zeigen, dass die Belastung mit dem Schwermetall im Laufe der Expedition sogar abgenommen hatte. Stattdessen weist die Nagel-Analyse auf einen extremen Mangel an Zink hin. Zink ist, wie auch Vitamin C, essenziell für die Abwehrkräfte des menschlichen Körpers. Hartnell war vermutlich an dem Unvermögen zugrunde gegangen, sich noch gegen Krankheitserreger zur Wehr zu setzen.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2016
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