Durch den Anschlag auf die Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee am 26. September 2022 sind etwa 465 000 Tonnen des Treibhausgases Methan in die Atmosphäre gelangt. Das berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in drei Studien in den Fachzeitschriften Nature und Nature Communications. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas und auf 20 Jahre gerechnet rund 85-mal so klimawirksam wie CO₂. Bei dem Anschlag wurden drei von insgesamt vier Pipelines beschädigt. Durch die Pipeline Nord Stream 1 floss zuvor russisches Erdgas nach Deutschland. Nord Stream 2 war mit Gas gefüllt, aber noch nicht in Betrieb.
Die von den Forschern ermittelte Menge ist mehr als viereinhalbmal so groß wie beim Aliso-Canyon-Gasleck 2015 in Kalifornien. Damals trat nach einer Bohrung Gas aus. Beide Vorfälle gelten als die größten Einzelereignisse, bei denen Methan durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre entwichen ist. Dennoch aber machten die Lecks 2022 nur 0,1 Prozent des Methanausstoßes aus, der insgesamt durch den Menschen verursacht wurde. „Die Auswirkungen der Lecks auf den globalen atmosphärischen Methan-Haushalt rücken die zahlreichen anderen anthropogenen Methanquellen in den Fokus, die weltweit eingedämmt werden müssen“, schreiben Forscher um Stephen Harris vom International Methane Emissions Observatory (Imeo) der Vereinten Nationen in Nature.

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Das Team berechnete die Methanmenge anhand von Daten des Pipeline-Betreibers und von Messungen unter anderem von Schiffen und Satelliten. Allerdings konnten die Messungen oft nur aus großer Entfernung und mit zeitlichem Abstand vorgenommen werden. Die Tage nach der Sprengung waren sehr bewölkt, es gab wenige verwertbare Satellitenaufnahmen. Harris und Kollegen arbeiteten deshalb mit Simulationen.
Die Methanwerte in Teilen der Ostsee waren vorübergehend fünfmal so hoch wie üblich
Forscher um Martin Mohrmann von der schwedischen Universität Göteborg konzentrierten sich dagegen auf das Methan, das sich im Ostseewasser löste. Wie sie in Nature Communications schreiben, waren die Methanwerte Anfang Januar 2023 in 14 Prozent der Ostsee fünfmal so hoch wie üblich. „Die Bilder des Nord-Stream-Vorfalls zeigen häufig Erdgas, das an der Meeresoberfläche austritt, sodass man allzu leicht vergisst, dass eine beträchtliche Menge im Meer verblieb; dieses gelöste Gas bleibt und breitet sich lange Zeit aus“, wird Mohrmann in einer Mitteilung seiner Universität zitiert.
Ein Team um Friedemann Reum vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen wiederum maß am 5. Oktober 2022 mithilfe einer Hubschrauber-Schleppsonde Methanausgasungen über dem Ort des Vorfalls. Wie das Team in Nature Communications berichtet, stiegen dort damals 19 bis 48 Tonnen Methan pro Stunde aus dem Ostseewasser in die Atmosphäre auf. „Was wir sahen, war Methan, das sich zunächst an den Leckstellen im Meerwasser der Ostsee gelöst hatte. Von da an wurde es von den Meeresströmungen weiter transportiert, bevor es in die Luft gelangte“, sagte Reum.