Nobelpreisgewinner:Und jetzt?

Der Nobelpreis verändert das Leben jedes Forschers radikal - manche Laureaten drehen durch, andere wünschen sich, es wäre nichts geschehen. Beispiele in Bildern.

Katrin Blawat und Christian Weber

8 Bilder

Medizin-Nobelpreis an zwei Australier

Quelle: dpa

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Die Eitlen

"Ich habe über die Jahre ein gewisses Selbstvertrauen entwickelt." (Barry Marshall, Medizin-Nobelpreis 2005)

Der Anruf aus Stockholm. Das Klicken und Flackern Hunderter Fotoapparate, wenn man den Kopf neigt, um sich die goldene Medaille umhängen zu lassen: Einmalige Momente der Erhabenheit sind das - doch auch äußerst flüchtige. Laureaten wie Barry Marshall  (rechts) wissen, wie sich Ruhm und Aufmerksamkeit dauerhaft genießen lassen. Der australische Mediziner erhielt 2005 zusammen mit Robin Warren (links) den Nobelpreis für die Entdeckung, dass viele Magengeschwüre durch das Bakterium Helicobacter pylori ausgelöst werden.

Seitdem begegnet man in seinem Institut an der University of Western Australia in Perth immer wieder den gleichen zwei Wörtern: "Nobel Laureate" steht auf dem Schild neben seiner Bürotür, ebenso auf jedem Blatt Papier, das Marshall irgendwann einmal in den Händen gehalten hat. Auf dem institutseigenen Parkplatz sticht zwischen all den weißen Markierungen ein einziger Stellplatz hervor, der gelb umrandet ist. "Barry Marshall" prangt dort in gelber Schrift - oder soll es Gold sein? Darüber befindet sich ein Stern. Parkplätze scheinen auch anderswo ein beliebtes Statussymbol zu sein. Für die Nobel-Laureaten an der Universität Berkeley sind insgesamt acht Parkplätze reserviert.

Francis Crick, 1989

Quelle: AP

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Die Umsteiger

"Ein Sportler kann Weltmeister werden und sich den Titel nächstes Jahr wieder holen. Er kann immer das gleiche machen. Das ist bei uns sinnlos. Man muss sich von einem Gebiet verabschieden. Man muss wieder klein anfangen, wieder in die Schule gehen." (Gerd Binnig, Physik-Nobelpreis 1986)

Marie Curie hat es vorgemacht: Nachdem sie 1903 für ihre Untersuchungen von Strahlungsphänomenen den Physik-Nobelpreis erhalten hatte, ergatterte sie 1911 auch noch den Chemie-Nobelpreis unter anderem für die Entdeckung der Elemente Radium und Polonium. In ähnlicher Weise versuchen sich auch moderne Laureaten in neuen Forschungsgebieten. Der Erfinder des Rastertunnelmikroskops, Gerd Binnig, beschäftigte sich nach der Preisvergabe unter anderem mit Computersimulationen und der mathematischen Beschreibung evolutionärer Prozesse. Der kürzlich verstorbene US-Molekularbiologe Marshall Nirenberg (Medizin-Nobelpreis 1968 für Beiträge zur Entschlüsselung des genetischen Codes) sattelte auf Bewusstseinsforschung um, ebenso der Mitentdecker der Doppel-Helix Francis Crick (Bild, Medizin-Nobelpreis 1962). Doch keinem von ihnen gelangen in den neuen Arbeitsgebieten wirkliche Durchbrüche. Vielleicht sollten sie sich ein Vorbild an Roald Hoffmann nehmen, dem Chemie-Nobelpreisträger von 1981. Dieser schreibt Gedichte und Theaterstücke und zeigt dabei interdisziplinäre Demut: "Egal ob man ein Gewehr macht oder ein Molekül, ein Gemälde oder ein Gedicht, man sollte immer fragen: Könnte ich damit jemandem Schaden zufügen?"

WEINBERG MCDONALD OBSERVATORY TELESCOPE DEDICATION

Quelle: AP

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Die Weltweisen

"Damit aber gute Menschen Böses tun, dazu bedarf es der Religion." Steven Weinberg, Physik-Nobelpreis 1979)

Die Einsicht, dass die meisten Wissenschaftler heutzutage extrem spezialisiert sind, wird von der Öffentlichkeit bräsig ignoriert. Kaum hat ein Forscher einen Nobelpreis für die Beschreibung entlegener molekularer Prozesse oder physikalischer Strukturen bekommen, gilt er als Weltweiser, der sich kompetent zu allen Fragen des Lebens, des Universums und der Politik äußern kann. Petitionen glänzen erst dann richtig, wenn sie von Nobelpreisträgern unterschrieben wurden. "Teilweise wird erwartet, dass man für Gott und die Welt zuständig ist", schimpfte der deutsche Medizin-Nobelpreisträger Erwin Neher in einem Interview. "Ich wurde plötzlich zu Dingen gefragt, von denen ich nichts verstehe, und sollte mit Autorität antworten." Vielen Nobelpreisträgern ist diese Aufmerksamkeit unwillkommen, doch manche baden auch in ihr. So etwa der Physik-Nobelpreisträger von 1998, Robert Laughlin von der Stanford University. Er wurde für die Entdeckung einer neuen Art von Quantenflüssigkeit geehrt, äußert sich aber seitdem auf vielen Podien mit der Autorität des Laureaten auch über den Irrglauben an eine Weltformel, Wissenschaftstheorie, verbrecherisches Patentrecht, den Klimawandel, die Zukunft der Energie und einiges mehr. Besonders beliebt aber sind Physik-Nobelpreisträger, die im Alter zu Gott finden.

Myron S. Scholes, 1997

Quelle: AP

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Die Unternehmer

"Das Leben wäre etwas langweilig, wenn es kein Risiko gäbe." (Myron Scholes, Wirtschafts-Nobelpreis 1997)

Von wegen abgehobene Forschung. Aus mancher mit dem Nobelpreis prämierten Idee lassen sich richtige Produkte entwickeln. Kary Mullis etwa, Chemie-Nobelpreisträger von 1993, gründete das Unternehmen Star Gene, mit dem er die Gene verstorbener Prominenter vermarkten will. Ein Spitzenprodukt war eine vergoldete Taschenuhr, auf deren Zifferblatt ein DNS-Schnipsel des US-Präsidenten Abraham Lincoln appliziert war. Dieses hatte Mullis mit Hilfe des von ihm entwickelten genetischen Kopierverfahrens - der PCR - aus einer Haarsträhne gewonnen, die Lincoln auf dem Totenbett abgeschnitten worden war. Preis: 195 Dollar.

In anderen finanziellen Dimensionen bewegen sich die zwei Kapitalmarktforscher Robert Merton und Myron Scholes (Bild), die für die Entwicklung neuer mathematischer Methoden zur Risikobewertung von Derivaten ausgezeichnet wurden. Sie waren unter anderem Mitgründer des Hedge Fonds LTCM, bei dem sie ihre Kenntnisse unmittelbar anwenden konnten. Anfangs funktionierte die Mathematik, der Fond baute Verpflichtungen von über einer Billion Dollar auf und die Anleger konnten sich über Renditen von 40 Prozent freuen. Doch im Zuge von Fehlspekulationen infolge von Finanzkrisen in Russland und Ostasien verbrannte LTCM im Herbst 1998 in wenigen Monaten fast fünf Milliarden Dollar. Der Fond und damit das Weltfinanzsystem konnte nur durch eine konzertierte Aktion der größten Investmentbanken gerettet werden.

BLOBEL

Quelle: AP

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Die Weltverbesserer

"Die gentechnische Produktion von Medikamenten arbeitet mit einem Verfahren, das ich entdeckt habe. Hätte ich mir das damals patentieren lassen, ich könnte ganz Dresden wieder aufbauen." (Günter Blobel, Medizin-Nobelpreis 1999)

Besonders sympathisch erscheinen diejenigen Nobelpreisträger, die ihr Prestige oder Preisgeld nutzen, um ganz konkret die Welt im kleinen oder größeren zu verbessern. So spendete der deutschstämmige Günter Blobel (Bild)  820.000 Euro seines Preisgeldes für den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden. Christiane Nüsslein-Volhard (Medizin-Nobelpreis 1995) gründete eine Stiftung, die begabte junge Wissenschaftlerinnen mit Kindern unterstützt. Am weitesten hat es der Physiker Steven Chu (Nobelpreis 1997) gebracht. Er übernahm am 20. Januar 2009 das Amt des Energieministers in den USA und versucht, die Forschung im Bereich der regenerativen Energien zu fördern und das Bewusstsein für den Klimawandel zu schärfen.

US-Nobelpreisträger Watson wegen rassistischer Äußerungen entlassen

Quelle: ZB

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Die Manager

"Das Führen eines wissenschaftlichen Teams ist, wie ein Opernhaus mit lauter Pavarottis zu leiten." (Carlo Rubbia, Physik-Nobelpreis 1984)

Als Nobelpreisträger fühle er den Druck, keine Fehler mehr machen zu dürfen, sagte Carlo Rubbia einmal. Weil dieser Druck "einen negativen Effekt auf die wissenschaftliche Produktivität" habe, wandte sich Rubbia fünf Jahre nach der Auszeichnung einem neuen Aufgabengebiet zu. Rubbia, von seinen Kollegen als brillanter Physiker verehrt und wegen seiner Launen und Arroganz gefürchtet, amtierte bis 1993 als Generaldirektor des Cern. Das Projekt verglich er mit einem Hausbau, bei dem jeder Backstein an seinem Platz nötig sei; sich selbst bezeichnete er als "Missionar". Seine Kollegen sahen das möglicherweise anders. Der Physiker Alan Norton, kommentierte den Führungsstil Rubbias so: "Es war eine Diktatur."

Die Manager-Karriere des Nobelpreisträgers James Watson (Bild), 1962 zusammen mit Francis Crick für die Entdeckung der DNS-Doppelhelix ausgezeichnet, endete mit einem Skandal: Von 1968 bis 1994 war Watson Direktor, dann sieben Jahre Präsident und schließlich vier Jahre Kanzler des Cold Spring Harbor Labors auf Long Island nahe New York. Watson machte Cold Spring Harbor nicht nur zur Wirkungsstätte führender Krebsforscher, sondern auch zu einem Ort, an dem regelmäßig Kulturveranstaltungen stattfanden. Mit anderen Kulturen hatte er offenbar Probleme. Vor drei Jahren bezweifelte er in einem Zeitungsinterview, dass Schwarze ebenso intelligent seien wie Weiße. Wenig später trat er als Kanzler zurück - der Manager wurde Rentner.

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Quelle: AFP

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Die Durchgeknallten

"Manchmal bin ich in einem Zustand, in dem besondere Dinge passieren können." (Brian Josephson, Physik-Nobelpreis 1973)

Endlich dürfen sie. So mögen jene Laureaten denken, die nach der Auszeichnung allerlei Theorien aufstellen, die andere Wissenschaftler als bizarr empfinden. Bei Luc Montagnier (Bild) war es 2008 soweit, nachdem er zusammen mit Françoise Barré-Sinoussi den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung des HI-Virus erhalten hatte. Seitdem meldet Montagnier sich regelmäßig mit kruden Ideen, die seine Kollegen von Jahr zu Jahr stärker irritieren. Aids ließe sich allein mit einem guten Immunsystem bekämpfen, behauptete Montagnier im vergangenen Jahr. In diesem Sommer publizierte er eine Studie, in der er eine bislang unbekannte Eigenschaft der DNS belegt haben will: Die Erbgut-Substanz - allerdings nur die von krankmachenden Bakterien und Viren - induziere elektromagnetische Wellen, wenn man die Lösung mit der DNS stark verdünne. Wobei stark bedeutet: So sehr verdünnt, dass sich im Wasser kein einziges DNS-Molekül mehr befinden kann. Was aber laut Montagnier nichts macht, weil sich das Wasser an die DNS-Moleküle erinnern kann - Homöopathie-Anhänger sind begeistert.

Unterstützung erhalten sie von einem weiteren Laureaten: Der Physiker Brian Josephson ist inzwischen gefragter Redner auf Esoterik-Kongressen, Parapsychologe mit Hang zur Telepathie und Inhaber eines Lehrstuhls für theoretische Festkörperphysik an der Universität Cambridge, dem sämtliche Forschungsgelder gestrichen wurden. Auch Linus Pauling, Träger des Chemie- (1954) und des Friedens-Nobelpreises (1962), propagierte im Alter eine bizarre Idee. Ihn interessierte nur noch, wie sich die Menschheit von Allergien, Krebs, Infektionen und anderen Leiden befreien ließe. Paulings Antwort: Vitamin C. Gesunden Menschen empfahl der Nobelpreisträger, einer der größten Chemiker seines Jahrhunderts, zehn Gramm davon täglich, Krebskranken die fünffache Menge - so viel, wie in mehr als 100 Kilo Orangen enthalten ist. Kurz vor seinem Tod versprach er, dass sich so die Lebenszeit um ein Vierteljahrhundert verlängern ließe.

Theodor Hänsch erhält den Nobelpreis für Physik, 2005

Quelle: Getty Images

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Die Weitermacher

"Eine Kreuzfahrt habe ich nicht gemacht, nur weil ich den Nobelpreis gewonnen habe. Mal ganz ehrlich: So schwierig ist es auch nicht, mit einem Nobelpreis zu leben." (Reinhard Selten, Wirtschafts-Nobelpreis 1994)

Zwei Stunden bevor der Münchener Quantenoptiker Theodor Hänsch (Bild) am 5.Oktober 2005 zu einer Wissenschaftskonferenz in den USA abreisen wollte, kam ihm ein Anruf aus Stockholm dazwischen. Er war dann erleichtert, als er es nach einer improvisierten Pressekonferenz doch noch ins Flugzeug schaffte. "In Berkeley auf der Konferenz waren glaub' ich 19 Nobelpreisträger anwesend, da hat einer mehr oder weniger nicht so viel Unterschied gemacht." Hänsch ist der Prototyp des Wissenschaftlers, der nur für seine Forschung lebt und ansonsten einen eher bescheidenen Lebensstil mit wenig anderen Interessen pflegt und auch nach dem Nobelpreis bis heute konsequent weiter forscht.

Dank einer Ausnahmeregelung musste er auch nach Erreichen der Altersgrenze sein Labor nicht räumen. Dennoch ist er froh, dass er bei der Verleihung des Nobelpreises bereits 64 Jahre alt war: "Es ist vielleicht besser, wenn man ihn nicht zu früh bekommt", sagte Hänsch in einem Interview. "Ich kenne Nobelpreisträger, die danach praktisch aufgehört haben zu forschen." Auch dem deutschen Spieltheoretiker Reinhard Selten ist es gelungen, weiter zu arbeiten. Der 80-Jährige leitet immer noch ein Akademieprojekt der Nordhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften mit dem Titel: "Rationalität im Lichte der experimentellen Wirtschaftsforschung".

© SZ vom 9./10.10.2010/mcs
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