Süddeutsche Zeitung

Nobelpreis in Physik:Zangen aus Licht

  • Den diesjährigen Physik-Nobelpreis teilen sich Arthur Ashkin, Gérard Mourou und Donna Strickland.
  • Sie haben gezeigt, wie man Licht als Werkzeug nutzen kann.
  • Ihre Arbeiten waren Grundlagen für Techniken, die heute millionenfach in Biologie, Medizin und anderen Wissenschaftszweigen angewendet werden.

Von Patrick Illinger

Am Anfang diente Licht vorwiegend zur Wahrnehmung der Welt, zur Beobachtung. Der Mensch erkundete seine Umwelt mit den Augen, später kamen Lupen, Fernrohre und Mikroskope hinzu. Man denke an die ersten Astronomen, die auf die Sterne blickten, oder den Delfter Tuchmacher Antoni van Leeuwenhoek, der mit seinen selbst gebauten Lichtmikroskopen die ersten Bakterien in seinem eigenen Zahnbelag erspähte.

Dass man Licht auch als Werkzeug nutzen kann, erkannten Physiker erst mit dem Aufkommen des Lasers im Jahr 1960. Bereits im legendären James-Bond-Film Goldfinger aus dem Jahr 1965 taucht ein Laser auf, mit dem sich Metall (und auch Geheimagenten) zerschneiden lassen. Doch die physikalischen Möglichkeiten des Lasers waren mit solchen Anwendungen keineswegs erschöpft.

Arthur Ashkin, einer der drei diesjährigen Physik-Nobelpreisträger, entwickelte auf der Basis von Laserlicht optische Zangen, mit denen sich mikroskopische Objekte, ja sogar Atome, wie mit einem Werkzeug manipulieren lassen. Auch Viren, Bakterien und andere lebende Zellen können heute mit Laserlicht fixiert, bewegt, gedreht werden, ohne diese zu zerstören.

Der heute 96-jährige Ashkin begann bereits kurz nach der Erfindung des Lasers mit seinen Experimenten. Sein Arbeitsplatz waren die Bell Laboratories in New York, wo im Laufe der Jahrzehnte bereits acht nobelpreiswürdige Entdeckungen gelangen, zum Beispiel die Erfindung des Transistors, ohne den es keine Computer geben würde, gewürdigt mit dem Physik-Nobelpreis 1956. Oder die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung, die wie ein Echo des Urknalls das Universum durchzieht, Nobelpreis Physik in 1978.

Ein Laser strahlt Photonen aus, also Lichtteilchen, welche zugleich Wellen- und Teilcheneigenschaften haben. Diese Photonen haben - anders als jene aus einer Glühbirne oder aus der Sonne - alle die exakt gleiche Wellenlänge (Farbe) und sie schwingen wie Soldaten im Gleichschritt.

Ashkin war fasziniert davon, dass dieses spezielle Licht winzige Gegenstände nicht nur beleuchten, sondern auch in Bewegung versetzen kann. Dabei fand er heraus, dass sich die angestoßenen Objekte in die Mitte des Laserstrahls bewegten, dorthin, wo das Laserlicht am intensivsten ist. Er begann, mikroskopische Objekte auf Laserlicht zu balancieren, so wie man einen Ball auf einem senkrecht nach oben gerichteten Wasserstrahl tanzen lassen kann. Schließlich gelang es ihm, mit optischen Linsen eine Licht-Zange zu schaffen. In den folgenden Jahrzehnten sollte das zu einem beliebten Instrument in all jenen Laboren werden, wo man die Untersuchungsobjekte nicht mit mechanischen Mitteln greifen kann, weil sie zu filigran sind - biologisches Material etwa, Viren oder Bakterien.

Allerdings musste Ashkin ein paar Hürden auf dem Weg dorthin überwinden. So stellte sich heraus, dass sein damals verwendeter grüner Laser Bakterien abtötet. Er musste sein Prinzip also auf der Basis von Infrarotlicht weiterentwickeln. Später gelang es, sogar in das Innere von Zellen einzugreifen, ohne die Zellwand zu zerstören - ein mit mechanischen Werkzeugen unmögliches Vorgehen. Heute nutzen tausende Labore weltweit Ashkins Grundprinzipien, um mit biologischem Material bis hin zu einzelnen Biomolekülen zu hantieren, wie ein Mechaniker mit einem Werkzeugkasten. Objekte werden heute nach Belieben festgeklammert, gedrückt, verschoben, gezogen und gedreht.

Mit der Manipulation von Licht hat auch die Entdeckung der beiden anderen Nobelpreis-Laureaten dieses Jahres zu tun. Die Kanadierin Donna Strickland ist dabei in mehrfacher Hinsicht eine leuchtende Ausnahme: Nicht nur ist sie die dritte Frau überhaupt, die mit dem Physik-Nobelpreis geehrt wird. Ihre bahnbrechende Publikation aus dem Jahr 1985 war ihre allererste wissenschaftliche Veröffentlichung, ein schönes Signal an heutige Nachwuchsforscherinnen.

Gemeinsam mit ihrem damaligen Doktorvater, dem Franzosen Gérard Mourou, war es ihr gelungen, kurze und energiereiche Laserimpulse zu verstärken. Zu jener Zeit waren Laserphysiker an ihre Grenzen gekommen. Die Erzeugung noch stärkerer Laserimpulse gelang ihnen nicht mehr, ohne die Geräte zu zerstören, in denen die Laser-Photonen erzeugt wurden. Strickland und Mourou kamen auf die Idee, die Laserimpulse außerhalb des Lasergeräts zu verstärken. Hierzu dehnten sie zunächst die Wellenlänge, was die Spitzenenergie des Pulses senkt, dann führten sie diesem gedehnten Lichtbündel Energie zu und quetschten es buchstäblich wieder zusammen. Damit erzeugten sie Laserimpulse mit Spitzenenergien, die kein Laserstrahler erzeugen konnte. Sie nannten es chirped pulse amplification, kurz CPA.

Das Dehnen und Stauchen von Licht klingt einfacher als es damals war. Tatsächlich dauerte es Jahre, bis die Trickserei mit Laserimpulsen zuverlässig gelang. Für die Dehnung des Laserimpulses wurde beispielsweise ein 1,4 Kilometer langes Glasfaserkabel verwendet. Heute jedoch ist CPA die Standardtechnik für alle Anwendungen, in denen extreme Laserimpulse benötigt werden, in der Medizin und Chemie zum Beispiel.

Eine Anwendung in der Grundlagenforschung ist die Beobachtung atomarer Vorgänge. Atomkino, heißt es heute gelegentlich. Da sich die Lichtimpulse auf Basis von Stricklands und Mourous Technik auf eine Dauer im Bereich einiger Billiardstel Sekunden (0,000000000000001 Sekunden) verkürzen lassen, können Forscher Vorgänge beobachten, die bis dahin scheinbar ohne Übergang passierten. Dazu zählten zum Beispiel die molekularen Abläufe, die sich während der Photosynthese in Blättern abspielen, mit denen Pflanzen Sonnenlicht in Zucker verwandeln.

Die intensiven Laserimpulse können auch als Werkzeug dienen. Nanotechniker nutzen sie, um Löcher zu bohren, die kaum größer sind als ein Atom. Und tausende Menschen unterziehen sich jeden Tag Augenoperationen, bei denen der Arzt intensive Laserimpulse benutzt, um die Fehlsichtigkeit zu korrigieren.

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