Nobelpreis für Medizin:"Gegen ein Dogma angegangen"

Der Nobelpreis für Medizin geht an den deutschen Krebsforscher Harald zur Hausen sowie die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier.

Das Karolinska-Institut in Stockholm hat die diesjährigen Gewinner des Medizin-Nobelpreises bekanntgegeben.

Nobelpreis für Medizin: Zur Hausen feiert im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg die Auszeichnung mit dem Nobelpreis.

Zur Hausen feiert im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg die Auszeichnung mit dem Nobelpreis.

(Foto: Foto: ddp)

Der Preis geht an den Deutschen Harald zur Hausen sowie an die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung des Aids-Erregers HIV.

Das Karolinska-Institut würdigte den 72-jährigen zur Hausen für die Entdeckung der sogenannten Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen. Der Virologe, der 20 Jahre lang des Heidelberger Krebsforschungszentrum (DKFZ) geleitet und zu einer weltweit führenden Einrichtung gemacht hat, äußerte sich in einer ersten Reaktion völlig überrascht von der Auszeichnung.

"Ich bin nicht darauf vorbereitet. Wir trinken gerade ein Gläschen Sekt", sagte er. "Ich habe natürlich schon mal gelegentlich dran gedacht, weil ich wusste, dass ich öfter schon vorgeschlagen war. Aber erwartet hab ich's nicht." Heute werde es jedenfalls keine große Feier mehr geben.

Über den Preis sei er sehr glücklich. "Ich freue mich ganz unbändig darüber, das ist sicher wahr. Ich freue mich natürlich auch für meine Mitarbeiter, die ja alle in einem sehr großen Umfang mit dazu beigetragen haben." Er wisse auch noch gar nicht, was er mit dem Preisgeld machen wolle.

"Gegen ein verbreitetes Dogma angegangen"

Das Nobelpreis-Komitee würdigte die Arbeit zur Hausens, der "gegen ein verbreitetes Dogma angegangen" sei, als er die Bedeutung des Virus für die Entstehung des Gebärmutterhalskrebses und damit der zweithäufigsten Tumorerkrankung bei Frauen entdeckt habe.

Seine Entdeckung habe nicht nur die Beschreibung des Infektions- und Krankheitsverlaufs, sondern auch die Entwicklung von Impfstoffen gegen eine Ansteckung möglich gemacht, lobte das Karolinska-Institut.

"Seine entscheidende Leistung bestand in unerschütterlichem Glauben und beharrlicher Arbeit, um die eigene Hypothese zu beweisen", erklärte Nobel-Komiteemitglied Jan Andersson.

"Zur Hausen hat zu früheren Zeiten mit seinem Ansatz sehr kontrovers dagestanden und musste manches Gelächter einstecken", kommentierte die Virologin Karin Mölling vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin. "Er hat sich gegen alle Widerstände durchgekämpft."

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) würdigte zur Hausen, der am 11. März 1936 in Gelsenkirchen geboren wurde, als "außergewöhnlichen Wissenschaftler". Zugleich sei die Verleihung an den Virologen "eine großartige Auszeichnung für die deutsche Forschungslandschaft." Er bestätige die "Vorreiterrolle, die Deutschland und insbesondere das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg international einnehmen".

Die Generalsekretärin der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Jutta Schnitzer-Ungefug, sprach von einer "tollen Auszeichnung". Zur Hausen, der seit fünf Jahren Vizepräsident der Akademie ist, sei ein "ganz herausragender Virologe". Zum ersten Mal sei jemand dafür ausgezeichnet worden, an einer Impfung gegen Krebs mitgewirkt zu haben.

Die Entwicklung des inzwischen verfügbaren Impfstoffes ist allerdings nicht von zur Hausen und seinem Team vorgenommen worden, wie der Forscher selbst bedauernd erklärte. Er habe sich seinerzeit um eine solche Entwicklung bemüht. Das sei aber gescheitert, weil das beteiligte Pharmaunternehmen in einer Marktanalyse keine Chancen für das Produkt gesehen habe.

Zur Hausen selbst erreichte am Montag gegen 10:45 Uhr der Anruf aus Stockholm, wie er berichtete. Um 11:30 Uhr wurde er als Preisträger offiziell verkündet.

Bereits 1976 hatte zur Hausen die Hypothese veröffentlicht, derzufolge humane Papillomviren bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs eine wichtige Rolle spielen könnten. In den Jahren 1983 und 1984 konnten der Forscher und seine Mitarbeiter den Verdacht bestätigen. "Das liegt schon einige Zeit zurück", sagte zur Hausen jetzt. "Aber wir haben in der Folge sehr viel gearbeitet."

Seit fünf Jahren ist zur Hausen nun schon emeritiert. Aber er hat immer noch ein Büro und ein Labor im Heidelberger Krebsforschungszentrum. Dort erreichte ihn am Montag auch die Nachricht von der Ehrung. Zudem ist der auch zuvor schon vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler Chefredakteur der Fachzeitschrift International Journal of Cancer.

Für seine Leistungen wurde Harald zur Hausen schon vor der Zuerkennung des Medizin-Nobelpreises 2008 mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, unter anderem erhielt er den Robert-Koch-Preis (1975), den Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis (1994), den Ernst-Jung-Preis (1996), den Charles-Rodolphe-Brupbacher-Preis (1999) sowie den Raymond Bourgine Award (2006). Dem Forscher wurden zudem mehrere Ehrendoktor-Würden und im April 2004 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen.

Auszeichnung für Aids-Forscher

Die französische Direktorin des Pariser Pasteur-Instituts, Barré-Sinoussi, und ihr Kollege Montagnier wurden für ihre Rolle bei der Entdeckung von HIV, des Aids auslösenden Virus, ausgezeichnet.

Ihnen war es nach den ersten Berichten über eine neue Immunkrankheit 1981 gelungen, aus den Lymphknoten eines Patienten Zellen zu isolieren und kultivieren, in denen sie Hinweise auf ein bislang unbekanntes Retrovirus fanden. Dies führte schließlich zur Entdeckung des Human Immunodeficiency Virus (HIV), den Erreger von Aids, den die Wissenschaftler bis 1984 isolieren konnten.

Ihre Arbeit, so heißt es in der Würdigung des Nobelpreis-Komitees, sei eine der Grundlagen für das heutige Wissen über Aids und seine Behandlungsformen gewesen. Nachdem es ihnen gelungen war, das HIV-1-Genom zu klonen, war es möglich, die Reproduktion des Virus und die Art, wie es mit seinem Wirt interagiert, zu verstehen. "Zudem führte ihre Arbeit zur Entdeckung von Diagnosemöglichkeiten bei infizierten Patienten", erklärte das Komitee weiter. Dies habe geholfen, "die Ausbreitung dieser Pandemie einzuschränken.

Zu Montagniers und Barré-Sinoussis Entdeckung hatten auch die Arbeiten des US-Forschers Robert Gallo beigetragen, der zweifelsfrei nachwies, dass das HI-Virus tatsächlich die Ursache der Immunschwächekrankheit Aids ist. Die Wissenschaftler stritten mehrere Jahre über die Frage, wer das Virus als erster entdeckte, der Zwist führte sogar zu diplomatischen Verwicklungen zwischen den Regierungen der USA und Frankreichs. Das Nobelkomitee erwähnte Gallo am Montag allerdings nicht.

Seit Anfang der achtziger Jahre sind 25 Millionen Menschen nach einer HIV-Infektion gestorben, 33 Millionen leben heute mit der Krankheit.

Montagnier hatte 1982 die Leitung der Virologischen Abteilung am Pasteur-Institut übernommen, wo er seit 1985 auch eine Professur bekleidete. Um der in Frankreich streng beachteten Altersgrenze bei Wissenschaftlern zu entgehen, übernahm er 1997 zusätzlich auch den Lehrstuhl für Aidsforschung am Queens College der City University of New York.

"Gegen ein Dogma angegangen"

Seit der Entdeckung des Aidsvirus lässt den Forscher die Arbeit nicht mehr los: "Ich laufe ständig der Zeit hinterher", sagt Montagnier, der weltweit Vorträge hält und diverse internationale Auszeichnungen bekam (Körber-Preis, Lasker-Preis).

Nobelpreis für Medizin: Françoise Barré-Sinoussi wurde 1947 in Paris geboren. Sie arbeitet am Institut Pasteur, Garches, Frankreich.

Françoise Barré-Sinoussi wurde 1947 in Paris geboren. Sie arbeitet am Institut Pasteur, Garches, Frankreich.

(Foto: Foto: AFP)

In seinem Buch "Von Viren und Menschen" beschreibt Montagnier die Entdeckung des Aidserregers - die zunächst in einem jahrelangen, erst 1994 beigelegten Streit mit seinem amerikanischen Kollegen Robert Gallo mündete: Montagnier hatte das Patent für den ersten Aidstest ein halbes Jahr vor Gallo beantragt, der es jedoch eher vom US-Patentamt bewilligt bekam.

Der Musikliebhaber Montagnier gründete 1993 seine bei der Unesco angesiedelte internationale Stiftung zur Aidsforschung und -vorsorge, die er auch leitet. Unermüdlich ist er seitdem für den Aufbau eines Netzwerkes von Aidszentren im Einsatz, die ein Bindeglied zwischen Praxis und Forschung herstellen sollen.

Einen endgültigen Sieg über die Immunschwächekrankheit sieht Montagnier, der bei neuen Entdeckungen meist vor verfrühtem Optimismus warnt, so schnell nicht voraus: "Wir werden keine magische Lösung finden. Wir brauchen viel Zeit, um in kleinen Schritten voranzukommen", sagte er etwa 2003 auf einem Kongress in Hamburg.

Die Aidsforscherin Françoise Barré-Sinoussi kann sich rühmen, Erstautorin des wissenschaftlichen Beitrags zu sein, in dem die Entdeckung des Aidserregers HIV beschrieben ist. Der Öffentlichkeit ist sie bislang jedoch weitgehend unbekannt.

Seit 1988 leitet die Wissenschaftlerin ein eigenes Labor am Pariser Grundlagenforschungszentrum Institut Pasteur. Als Direktorin der Forschungsabteilung "Regulierung von retroviralen Infektionen" beschäftigt sie sich nach wie vor mit Studien zu HIV-Infektionen.

Barré-Sinoussi verfasste als Autorin und Co-Autorin mehr als 220 wissenschaftliche Aufsätze und 120 Beiträge für Bücher. Für ihre Forschungen bekam sie bereits vor dem Nobelpreis etliche Auszeichnungen - unter anderem den Förderpreis für die Europäische Wissenschaft der Körber-Stiftung (1986). Zwischen 1988 und 1998 arbeitete Barré-Sinoussi an der - bislang erfolglosen - Suche nach einem Impfstoff gegen HIV mit.

Im vergangenen Jahr hatten die US-Genetiker Mario Capecchi und Oliver Smithies sowie der Brite Sir Martin Evans den Preis erhalten. Sie hatten eine Technik entwickelt, um Versuchsmäuse mit menschlichen Krankheiten zu schaffen. Die Tiere dienen der Suche nach Therapien gegen Leiden wie Bluthochdruck oder Diabetes.

Am Dienstag und Mittwoch gibt die schwedische Wissenschaftsakademie die Träger des Physik- und des Chemie-Nobelpreises bekannt. Im vergangenen Jahr gehörten mit dem Berliner Chemiker Gerhard Ertl, 71, und dem Physiker Peter Grünberg, 69, aus Jülich auch zwei Deutsche zu den Preisträgern in den naturwissenschaftlichen Kategorien.

"Gegen ein Dogma angegangen"

Nobelpreis für Medizin: Luc Montagnier wurde 1932 in Chabris,  Frankreich, geboren. Er ist emeritierter Professor der Universität Paris und Direktor der World Foundation for AIDS Research and Prevention.

Luc Montagnier wurde 1932 in Chabris, Frankreich, geboren. Er ist emeritierter Professor der Universität Paris und Direktor der World Foundation for AIDS Research and Prevention.

(Foto: Foto: AFP)

Kurz vor der Vergabe des Literatur-Nobelpreises am Donnerstag hat der schwedische Jury-Chef Horace Engdahl in einem Interview pauschale Kritik an der US-Literatur geübt, zu der mehrere der aussichtsreichsten Anwärter gehören. Der Ständige Sekretär der Stockholmer Jury erklärte, Europa sei nach wie vor das "literarische Zentrum der Welt" und die US-Literatur "zu isoliert". Letztere verliere qualitativ durch starke Orientierung am Massengeschmack.

Einzige Frau neben insgesamt zehn männlichen Preisträgern war 2007 die britische Schriftstellerin Doris Lessing, 88, die mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Zu den Favoriten für die diesjährige Auszeichnung werden unter anderem die US-Autoren Thomas Pynchon, 71, und Don DeLillo, 71, sowie Margaret Atwood, 68, aus Kanada gerechnet.

Aus Europa gelten der Italiener Claudio Magris, 69, und der portugiesische Romancier António Lobo Antunes, 66, als aussichtsreiche Kandidaten.

Für den Friedensnobelpreis aus Oslo, der am Freitag verkündet wird, werden die russische Menschenrechtlerin Lida Jusopowa und der in China inhaftierte Dissident Hu Jia als aussichtsreiche Anwärter unter knapp 200 offiziell nominierten Kandidaten genannt. Seit Jahren immer wieder vorgeschlagen ist auch Akltkanzler Helmut Kohl ,78 (CDU). Im vergangenen Jahr teilten sich der frühere US-Vizepräsident Al Gore, 60, und der UN-Klimarat IPCC die Auszeichnung wegen ihrer Aufklärungsarbeit zum globalen Klimawandel.

Die Nobelpreise sind mit zehn Millionen Schwedische Kronen (eine Millionen Euro) je Sparte dotiert.

Den Abschluss der Preisvergaben bildet am Montag, den 13. Oktober, die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften. Dieser "Preis zum Andenken an Alfred Nobel" wurde 1968 erst nachträglich von Schwedens Reichsbank gestiftet und gilt auch nach dem Verständnis der Stockholmer Nobelstiftung nicht als vollwertiger Nobelpreis. Verliehen werden alle Auszeichnungen traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des 1896 gestorbenen Stifters.

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