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Nobelpreis für die Entwicklung blauer LEDs:"Es würde Alfred Nobel glücklich machen"

Die Geschichte der LED ist eine von Pannen, Pech und großer Sturheit - dafür erhalten drei Japaner nun den Nobelpreis für Physik. Ihre Methode, mit Leuchtdioden weißes Licht zu erzeugen, fängt gerade an die Welt zu verändern. Das ist ganz im Sinne des Erfinders.

Von Christopher Schrader und Alexander Stirn

Millionen Menschen haben vom Nobelpreis für Physik mittels genau der Erfindung erfahren, die am Dienstag in Stockholm geehrt wurde. Es geht vordergründig um die Entwicklung der blauen Leuchtdiode (LED) durch drei japanische oder japanisch-stämmige Elektroingenieure. Aber das eigentliche Thema ist weißes Licht, das sich mithilfe des elektronischen Bauteils erzeugen lässt: in den Bildschirmen von Smartphones, Computern und Fernsehern sowie in den Lampen, die in Büros oder Wohnungen bedruckte Papierseiten beleuchten.

Isamu Akasaki und Hiroshi Amano von der Universität Nagoya sowie Shuji Nakamura von der University of California in Santa Barbara haben die elektronischen Bauelemente Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre gegen viele Widerstände und mit großer Hartnäckigkeit entwickelt. Es sind kleine Bauteile aus ähnlichen Halbleiter-Materialien wie Transistoren in Radios und Chips in Computern. Etwa 30 Jahre lang waren Ingenieure an dem Vorhaben gescheitert. "Der Nobelpreis wird diesmal auch für Mut und Sturheit verliehen", sagt Nils Martensson vom schwedischen Nobelkomitee. "Er würde Alfred Nobel glücklich machen, weil die LED das Leben der Menschen spürbar verbessert."

Die blaue LED ermöglicht es, mit kleinen, flexiblen und hocheffizienten Bauelementen Licht aus wenig Strom zu erzeugen. Kombiniert mit den Farben rot und grün wird daraus eine weiß-leuchtende Diode, wie der Vorsitzende des Nobelkomitees, Per Delsing, bei der Bekanntgabe an einer Schreibtischlampe demonstrierte. Diese Technik dürfte das Bild der Erde bei Nacht komplett verändern, wie die Jury bei der Bekanntgabe der Preisträger erklärte, weil die dunklen Flecken in Ländern ohne elektrisches Netz allmählich verschwinden. Dort könnten 1,5 Milliarden Menschen mit einfachen Solarzellen tagsüber Strom erzeugen und ihn in Batterien speichern. Nachts erzeugen LEDs daraus Licht, unter dem Kinder Hausaufgaben machen und Erwachsene Ware für den Markt vorbereiten.

Licht des 21. Jahrhunderts

"Das 21. Jahrhundert wird von LEDs beleuchtet", schreiben die Juroren in ihrer Würdigung. Die Dioden erzeugen inzwischen zwanzigmal so viel Licht aus der gleichen Menge Strom wie Glühbirnen und viermal so viel wie Neonröhren und Energiesparlampen. Das ist ein großer Fortschritt, weil etwa 25 Prozent aller Elektrizität für Beleuchtung verbraucht wird, meist mit wenig effizienter Technik. Auch in Industrieländern "werden die Halbleiterelemente den Beleuchtungsmarkt komplett aufrollen", sagt Henning Riechert vom Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik in Berlin. Er kennt alle drei Preisträger seit vielen Jahren und hat selber 1996 als Siemensmitarbeiter die erste weiße LED in Europa mitentwickelt. "Ich kann die Leiden der Geehrten und ihren Triumph sehr gut nachvollziehen. Sie haben sich jahrelang mit dem Material gequält. Und heute stehen Straßenlaternen mit der Technik vor den Häusern."

Das Material, das die drei Preisträger bändigen mussten, heißt Gallium-Nitrid. Schon in den 1960er-Jahren, als rote und grüne LEDs entwickelt wurden, galt es als Kandidat für die blaue Lichtquelle. Aber der Werkstoff widersetzte sich der Kontrolle; viele Forscher an den Universitäten und in der Industrie gaben auf. Isamu Akasaki, Jahrgang 1929, hatte es seit 1974 versucht und blieb dran; er beschrieb sich selbst als "besessen". Den Durchbruch brachte für ihn die Zusammenarbeit mit seinem 31 Jahre jüngeren Meisterschüler, Hiroshi Amano. Zusammen schafften sie es endlich, glatte, saubere Schichten des Materials zu erzeugen, die wenig Fehlstellen enthielten.

Es war ein klassisches Beispiel für Thinking-out-of-the-box, also für unkonventionelle, kreative Ideen. Die beiden versuchten nicht mehr, die aktiven, hauchdünnen Gallium-Nitrid-Schichten mit ihren genau dosierten Zusatzstoffen auf eine passive Basis des gleichen Werkstoffs aufzubringen. Stattdessen legten sie eine Schicht des Edelsteins Saphir als Träger in die Laborapparate, und plötzlich klappte es. Die ersten weißen LEDs auf dem Markt hatten darum noch einen Hauch Edelstein in sich, bevor die Industrie lernte, die Saphirbasis zu entfernen, erzählt Martensson.

Die beiden Forscher aus Nagoya lösten dann auch ein zweites Problem mit dem Werkstoff, diesmal aus Zufall. Sie mussten es so mit Fremdatomen behandeln (in der Fachsprache: dotieren), dass freie positive Ladungsträger entstanden. Festkörperphysiker nennen sie Löcher, es sind Fehlstellen im Kristallgitter, die durch Umlagern der Atome weiter hüpfen können. Fällt ein negativer Ladungsträger hinein, also ein Elektron, gibt der Kristall ein blaues Lichtquant ab. Aber Gallium-Nitrid ließ sich nicht positiv dotieren, bis Akasaki und Amano eine Probe so lange unter dem Elektronenmikroskop liegen ließen, dass sie sich stark erwärmte, erzählt Henning Riechert. Und wieder: Plötzlich klappte es.

Diesen Durchbruch in der akademischen Welt nahm dann der 1954 geborene Shuji Nakamura für die Industrie auf. Er arbeitete damals bei der japanischen Chemiefirma Nichia, die Leuchtstoffe herstellte. Das sind Chemikalien, die Licht absorbieren und in einer anderen Farbe wieder abstrahlen. Sie werden heute auch in LEDs verwendet, um einen Teil des blauen Lichts in Gelb zu verwandeln, sodass in der Mischung wieder Weiß entsteht.

"Ich glaube nicht, dass Nakamuras Chef damals wusste, was genau er machte", erzählt Riechert. Der Japaner war jedenfalls unglaublich fleißig. Er erklärte Zusammenhänge, verbesserte und vereinfachte Verfahren. Später schied er allerdings im Streit um Patenteinkünfte von seinem Arbeitgeber, den er zum Weltmarktführer für LED gemacht hatte. Seither lehrt er in Kalifornien und ist Amerikaner geworden.

Nakamura sei damals von seinen Kollegen aus aller Welt bestaunt worden, wenn er auf Konferenzen immer wieder neue unglaubliche Zahlen präsentiert habe, sagt der deutsche Physiker. Gefragt, wie er das schaffe, habe er nur gelacht. "Gute Beleuchtung", soll Nakamura später gesagt haben, "kann alles buchstäblich in einem anderen Licht erscheinen lassen." Offenbar hatte der japanische Ingenieur ein Händchen dafür, immer wieder Wege um Probleme herum zu finden; sehr pragmatisch und oft, ohne sich mit der wissenschaftlichen Klärung der Phänomene aufzuhalten.

Auch Klaus Streubel, heute Forschungschef beim Lichthersteller Osram, hat Shuji Nakamura damals auf Konferenzen erlebt. "Das war ein Schock für die Fachwelt", als der Japaner seine Entwicklung vorstellte, erinnert Streubel sich. "Zuvor waren sich alle einig, dass so etwas nicht machbar sein wird." Lange Jahre konnte niemand den Nichia-Ingenieur einholen. "Es ist eine einzigartige Geschichte, dass ein Mann die gesamte Fachwelt überrascht und seinen Vorsprung über so viele Jahre hält."

Noch aber bleibt viel zu tun. Die größte technische Herausforderung besteht laut dem Osram-Manager derzeit darin, die hohe Effizienz der blauen und damit der weißen LEDs bei immer höheren Strömen zu sichern. Die Bauteile leuchten dann zwar auch immer heller, sie verbrauchen aber überproportional viel Strom - ein Effekt, den Physiker noch nicht genau verstanden haben. Außerdem, ergänzt Henning Riechert, wollen Forscher den Werkstoff Gallium-Nitrid noch weiter zähmen, um ihn für Leistungselektronik verwenden zu können. Da geht es dann nicht mehr um einzelne Watt, die in einer LED ein Zimmer erhellen, sondern um die Kilowatt, mit denen Elektroautos lautlos von der Ampel wegsprinten.

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SZ vom 08.10.2014/chrb
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