Nobelpreis für Chemie:Werkstatt für stabiles Leben

DNA-Doppelhelix

Das Modell eines DNA-Strangs

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Die DNA hat Forschern viele Rätsel aufgegeben. Eines der größten hieß: Wie kann ein so sensibles Molekül stabil bleiben? Ein Türke, ein Schwede und ein Amerikaner haben die Antwort gefunden.

Von Kathrin Zinkant

Es ging ein Raunen durch den Saal, als die Vorsitzende des Nobelpreiskomitees für Chemie, Sara Snogerup Linse, den Deckel des schwarzen Zylinders lüftete. Zum Vorschein kam das Plastikmodell eines Moleküls, das heute fast jeder schon an seiner Form erkennt. Und das wie kein anderes die vergangenen 60 Jahre der Lebenswissenschaften geprägt hat: Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA. Jenes Molekül, das in jeder Zelle praktisch alle Informationen für die Entstehung von Geschöpfen birgt - den Code des Lebens.

Doch so faszinierend und elementar diese Blaupause ist, so fragil ist sie auch. Letztlich handelt es sich um eine chemische Substanz, die wie ein Stück Zeitungspapier im Licht allmählich verwittert. Ohne Unterlass schleichen sich daher Fehler in die DNA ein, nagen Zeit, Strahlung und Schadstoffe an dem insgesamt zwei Meter langen Bauplan. Und jeder Patzer kann Folgen haben: Krebs, Erbleiden, vorzeitige Alterung. Würden die zahlreichen Schäden nicht stetig korrigiert, die DNA versänke kurzerhand im Chaos.

Mindestens genauso faszinierend wie die DNA selbst ist deshalb die enorme, hochkomplexe Reparaturmaschinerie aus Enzymen, die in jeder Zelle eines Lebewesens am Erbgut all die Fehler wieder ausbessert. Und weil sie die zentralen Mechanismen dieses biochemischen Klempner-Wunders aufklären konnten, haben nun ein Amerikaner, ein Schwede und erstmals in der Geschichte auch ein Türke den diesjährigen Nobelpreis für Chemie erhalten.

Lindahl entdeckte bereits Anfang der 1970er Jahre ein Enzym

Die höchste Auszeichnung des Fachs geht zu gleichen Teilen an Paul Modrich vom Howard Hughes Medical Institute in Durham, Tomas Lindahl, der bis 2009 am Francis Crick Institut in London forschte, und an Aziz Sancar von der University of North Carolina. Jeder der drei Wissenschaftler hat - unabhängig von den anderen - einen der Prozesse erforscht, die für die Integrität der DNA und damit für die Existenz des Lebens unabdingbar sind.

So stieß der 1938 in Stockholm geborene Lindahl bereits Anfang der 1970er-Jahre in Bakterien auf ein Enzym, das einen häufigen Schreibfehler in der DNA korrigiert: Im berühmten Vier-Basen-Code aus Adenosin, Cytosin, Guanin und Thymin (kurz: A, C, G und T) ist das Cytosin nämlich besonders instabil. Es kann sich spontan verändern und bindet dann nicht mehr seinen natürlichen Code-Partner Guanin, sondern den falschen, das Adenosin.

Die Folge wäre ein Übersetzungsfehler, eine Mutation, sobald die DNA während einer Zellteilung kopiert wird. Doch der von Lindahl entdeckte Enzymapparat spürt die Fehler rechtzeitig auf, schneidet die kaputte Base heraus und fügt ein neues, intaktes C in die DNA ein. Von den Einzellern bis zum Menschen ist der Mechanismus dieser ausgesprochen wichtigen Reparatur in der Evolution immer gleich geblieben.

Grundlagenforschung, die für die Medizin eine große Rolle spielt

Nach einem ganz ähnlichen Prinzip funktionieren die Reparatur-Kits, die von Modrich und Sancar entdeckt wurden. Der 1946 geborene Paul Modrich hatte bereits als Teenager von seinem Vater den Rat erhalten, sich mit "diesem DNA-Zeug" zu befassen, für das Francis Crick und James Watson kurz zuvor den Nobelpreis erhalten hatten. Modrich konnte später zeigen, wie von vornherein falsch gepaarte Basen aus der DNA in großzügigen Stücken entfernt und durch den korrekten Code ersetzt werden.

Sancar hatte vor allem die Folgen äußerer Einflüsse erforscht, insbesondere von UV-Strahlung oder chemischen Substanzen aus dem Zigarettenrauch. Sie führen zu chemischen Verklebungen der Basen im genetischen Code. Auch sie werden durch einen chirurgischen Eingriff spezialisierter Enzyme herausgeschnitten und erneuert.

Obwohl noch zahlreiche weitere Prozesse an der Reparatur der DNA beteiligt sind, die von vielen Wissenschaftlern bis heute erforscht werden, besteht am Verdienst der nun ausgezeichneten Wissenschaftler kaum Zweifel. "Das ist perfekt, DNA-Reparatur ist ein ausgesprochen wichtiges Thema, und diese drei Forscher haben die Mechanismen als erste beschrieben", sagt der Nukleinsäureexperte Thomas Carell von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Sancars Erfolgsgeschichte wäre ohne enormen Fleiß kaum möglich

Carell hat später die Struktur jenes Enzyms aufgeklärt, das Sancar in den 1970er-Jahren erforschte. Er freut sich nicht nur deshalb ganz besonders über die Auszeichnung Sancars. Dieser habe nicht immer die Anerkennung erhalten, die er verdiene.

Dabei steht gerade der Türke für eine Erfolgsgeschichte, die ohne enormen Fleiß und Willen kaum möglich gewesen wäre. Als siebentes von acht Kindern und zudem noch als Sohn von Analphabeten hat Sancar viel harte Arbeit investieren müssen, um es überhaupt in ein Labor zu schaffen. Noch am Anfang seiner Karriere soll ihm ein Kollege geraten haben, das mit der Laborarbeit doch besser zu lassen, wegen fehlenden Talents. Glücklicherweise ließ sich der 1946 Geborene nicht beirren.

Wirkstoffe für die Therapie gegen Brustkrebs

"Dass Lindahl irgendwann den Nobelpreis bekommen würde, das hatte man erwartet", sagt der Altersforscher Björn Schumacher von der Universität in Köln. Er verweist zudem darauf, dass die drei Laureaten mit ihrer Arbeit über Jahrzehnte auch eine wesentliche Grundlage für Therapien geschaffen hätten - und zwar ohne dass es absehbar gewesen sei. "Es ist ein wirklich interessantes Beispiel dafür, wie absolute Grundlagenforschung, die rein akademisch war, heute in der Medizin eine Rolle spielt."

Als Beispiel nennt Schumacher Wirkstoffe, die in der Therapie einiger Brustkrebsarten zum Einsatz kommen. Hier lässt sich das Wissen um die Reparaturmechanismen nutzen, um Zellen nicht zu retten, sondern gezielt zu zerstören. Auch Paul Modrich unterstreicht die Bedeutung von Grundlagenforschung. Eine allein von Neugier getriebene Wissenschaft sei sehr wichtig, auch wenn erst viel später klar wird, was für die menschliche Gesundheit dabei herauskommt. "Man weiß nie, wohin es führt. Und ein bisschen Glück hilft auch."

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