Süddeutsche Zeitung

Batterien:Ein Nobelpreis zu Ehren der Mobilität

  • John Goodenough, Stanley Whittingham und Akira Yoshino erhalten die höchste wissenschaftliche Auszeichnung im Fach Chemie.
  • Die drei Forscher haben unabhängig voneinander drei zentrale Probleme der Lithiumbatterie gelöst.
  • Das Nobelpreiskomitee betont vor allem die Bedeutung der Akkus für den Klimaschutz.

Von Kathrin Zinkant

Chemienobelpreise haben in der Regel eine kleines Problem: Das, wofür sie vergeben werden, klingt realitätsfern, ist höllenkompliziert - und entbehrt auch meist den Zauber großer Durchbrüche, wie in der Physik. Was sollen Normalsterbliche schon mit Methathese oder Multiskalenmodellen anfangen? Und trotzdem ist alles Chemie und Chemie ist überall - kein Nobelpreis der jüngeren Zeit macht das auf so anschauliche Weise deutlich wie der diesjährige.

Der Amerikaner John Goodenough, der Brite Stanley Whittingham und der Japaner Akira Yoshino werden für ihre grundlegenden Beiträge zur Entwicklung des Lithium-Ionen-Akkus ausgezeichnet - einer Technologie, die zumindest in den Industrienationen heute fast jeder Mensch in seiner Hosen- oder Handtasche mit sich herumschleppt. Smartphones, Laptops und auch sogenannte Powerbanks zum steckdosenfreien Aufladen wären ohne die Forschung der drei Preisträger in ihrer heutigen Form undenkbar, erst ihre Erkenntnisse haben elektrische Geräte wahrhaft mobil und für die Menschheit zum alltäglichen Begleiter gemacht.

Lithium hat gegenüber vielen anderen Materialen einen großen Vorteil: Es ist unschlagbar leicht

Dabei ist es alles andere als leicht, eine Batterie zu entwickeln, wie das Nobelpreiskomitee am Mittwoch in Stockholm betonte. Einige der noch immer gebräuchlichen Akkus sind uralt, Autobatterien mit Blei und Säure etwa stammen technologisch gesehen aus dem 19. Jahrhundert. Auch später entwickelte Batterien waren entweder sehr groß, schwer, nicht leistungsfähig genug, giftig oder alles zusammen. Lithium galt deshalb als attraktives Material, es ist das leichteste Metall überhaupt und gibt als sogenannte Anode bereitwillig negativ geladene Teilchen, Elektronen, für den elektrischen Stromfluss ab. Stanley Whittingham, der heute an der Binghamton University im US-Bundesstaat New York forscht, gelang es in den 1970er Jahren, einen passenden Gegenspieler zu finden, der die Elektronen auf der anderen Seite der Batterie, der Kathode, aufnimmt: Titansulfat.

Diese Kombination belegte im Sinne des Wortes erstmals das große Potenzial der Lithiumtechnologie, die erzeugte Spannung war mit zwei Volt größer als bei allen damals bekannten Batterien. Es ging aber noch mehr: John Goodenough erkannte rund zehn Jahre später, dass Metalloxide bessere Partner für Lithium sind, er entwickelte die ersten Lithiumbatterien mit Kobaltoxid als Kathode, die sensationelle vier Volt Spannung lieferten. Das in diesen Batterien enthaltene elementare Lithium ist allerdings ziemlich reaktionsfreudig, zum Beispiel mit Wasser. Die ersten Lithiumionenbatterien scheiterten an dem Risiko, zu explodieren. Erst Akira Yoshino gelang es schließlich, auch dieses Problem zu lösen: Er verpackte das Lithium in Petrolkoks, ein Material aus Kohlenstoff, das die Reaktivität des Metall bändigt. Das war 1985. Sechs Jahre später waren die ersten Lithium-Ionen-Akkus kommerziell erhältlich.

"Diese Technologie hat die Welt, in der wir leben, grundlegend verändert", sagt Stefano Passerini vom Helmholtz-Institut in Ulm. Zwar seien mobile Geräte schon mit Nickel-Metallhydrid-Akkus möglich und auch erhältlich gewesen. "Aber Lithium hat die Leistungsfähigkeit der Batterien noch einmal verdreifacht und das Gewicht sehr deutlich reduziert", sagt der Elektrochemiker und erinnert an die Handys der Neunziger Jahre, die noch groß waren und kaum Elektrizität verbrauchen durften. Passerini hatte am Mittwoch die Gelegenheit, mit Stanley Whittingham in Ulm persönlich zu feiern, der 77-jährige Preisträger hielt am Vormittag einen Vortrag am Institut. "Er ist ein neugieriger, ausgesprochen freundlicher und bodenständiger Mensch, der noch immer sehr viel forscht", sagt Passerinis Institutskollege, der Festkörperchemiker Maximilian Fichtner.

Bis heute sind Lithium-Akkus die beste Möglichkeit, Strom aus erneuerbaren Quellen zu speichern

Auch Goodenough forscht noch immer an der University of Texas at Austin, und tauscht sich mit Kollegen aus - wie im vergangenen Jahr in Jena, seiner Geburtsstadt. Der Chemiker ist im Juli 97 Jahre alt geworden und damit nun der älteste Preisträger in der Geschichte der Nobelpreise. Viele Mitstreiter, die ihrerseits an der Lithiumionentechnologie gearbeitet und wichtige Beiträge geleistet haben, leben nicht mehr - oder sind nicht berücksichtigt worden, wie Experten anmerken. Passerini nennt etwa den Franzosen Michel Armand und den Italiener Bruno Scrosati. "Aber es können eben nur drei Forscher ausgezeichnet werden", sagt er. Und verdient haben den Preis nach Meinung der Fachleute alle drei Laureaten.

"Was diese drei Forscher geleistet haben, liegt zwar Jahrzehnte zurück", sagt der Batterieexperte Ulrich Schubert von der Universität Jena. "Aber ihre Arbeit ist der Meilenstein, auf den die gesamte moderne Batterieforschung aufbaut." Bis heute seien Lithium-Akkus die beste Möglichkeit, Strom aus erneuerbaren Ressourcen zu speichern und zu nutzen. Auch das Nobelpreiskomitee in Stockholm weist auf die Rolle der Akkus für den Klimaschutz hin, gerade in Elektroautos. "Volkswagen hat schon das Ende seiner Forschung an Verbrennungsmotoren angekündigt", sagt auch Passerini. In den kommenden zehn bis 15 Jahren werde der Markt für Lithiumbatterien definitiv weiter wachsen.

Viele Forscher arbeiten inzwischen jedoch an Akkumulatoren auf verbesserter oder anderer chemischer Basis als die nun preisgekrönten Lithium-Akkus, die bei allem Fortschritt, den sie noch immer bringen, nicht unproblematisch sind. "Es ist keine perfekte Technologie", sagt Schubert. Die Gewinnung von Lithium aus salzhaltigem Grundwasser, insbesondere in Südamerika, trocknet Land dramatisch aus, die Gewinnung von Kobalt im größten Fördergebiet in der Demokratischen Republik Kongo steht wegen Kinderarbeit in der Kritik. Für beide chemischen Elemente wird deshalb nach weniger problematischen und preiswerteren Alternativen gesucht - vor allem, wenn es um Stromspeicher für den Haushalt geht, etwa im Zusammenhang mit Solarzellen auf Dächern. Vielleicht war es daher wirklich höchste Zeit, für die heute allgegenwärtige Technologie einen Nobelpreis zu vergeben. In naher Zukunft könnte sie schon von gestern sein.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2019
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