Physik„Quantenphysik in Aktion“: Durch den Tunnel mit dem Supraleiter

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Nicht nur S-Bahnen, auch Quantenteilchen können durch Tunnel Barrieren überwinden.
Nicht nur S-Bahnen, auch Quantenteilchen können durch Tunnel Barrieren überwinden. (Foto: Jan Woitas/picture alliance/dpa)
  • John Clarke, Michel Devoret und John Martinis erhalten den Physik-Nobelpreis für ihre Entdeckungen zu Quanteneffekten in makroskopischen Systemen.
  • Die Forscher zeigten in den Achtzigerjahren mit Supraleitern, dass auch große Objekte Quanteneffekte wie den Tunneleffekt zeigen können.
  • Der Nobelpreis ist mit elf Millionen schwedischen Kronen dotiert und wird am 10. Dezember überreicht.
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John Clarke, Michel Devoret und John Martinis erhalten den diesjährigen Physik-Nobelpreis für Arbeiten, die das Verständnis der Quantenmechanik geprägt haben – und die Grundlage für heutige Quantencomputer schufen.

Von Marlene Weiß

Der diesjährige Nobelpreis in der Kategorie Physik geht an John Clarke (Großbritannien), Michel Devoret (Frankreich) und John Martinis (USA) für „ihre Entdeckung des makroskopischen quantenmechanischen Tunnelns und der Energiequantisierung in einem elektrischen Stromkreis“. Das teilte die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit. Die Experimente der Preisträger zeigten Quantenphysik in Aktion.

John Clarke, Michel Devoret und John Martinis.
John Clarke, Michel Devoret und John Martinis. (Foto: Ill. Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)

Die Quantenmechanik, vor hundert Jahren entwickelt, ist heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken: ohne sie kein Computer, kein Handy, praktisch keine moderne Technologie. Aber zentrale Fragen sind noch immer ungeklärt. Eine davon ist: Wie groß können Systeme sein, die die verblüffenden Effekte aus der Quantenwelt zeigen?

Normalerweise finden sie in der Welt des Kleinen und Kleinsten statt, Teilchen wie Elektronen können etwa in einem Schwebezustand an mehreren Orten zugleich sein. Von großen Objekten kennt man das nicht, Hausschlüssel etwa sind höchstens mal an mehreren Orten zugleich nicht anzufinden. Aber wo verläuft die Grenze, wie groß kann ein Objekt sein, das dennoch Quanteneffekte zeigt?

Die aktuellen Nobelpreisträger haben schon in den Achtzigerjahren gezeigt: unter Umständen groß genug, um es in die Hand zu nehmen.

Das Teilchen borgt sich quasi Energie aus und tunnelt in die Freiheit

Der Tunneleffekt, um den es in den nun ausgezeichneten Arbeiten geht, ist sozusagen ein Klassiker der Quantenmechanik. Schon 1928 erkannte der Physiker George Gamow, dass der radioaktive Alpha-Zerfall auf einem Tunnelprozess beruht: Der Kern eines radioaktiven Atoms stößt dabei einen kleineren Kern aus, bestehend aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Eigentlich wäre das gar nicht möglich, weil dieses Alphateilchen in seinem Heimatkern in einer Potentialbarriere gefangen ist.

Aber mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit entkommt es eben doch – es borgt sich quasi Energie aus und „tunnelt“ in die Freiheit. Dieses Tunneln durch Barrieren ist auch anderen Quantenteilchen möglich. Gamow bekam nie den Nobelpreis. Aber für andere Entdeckungen im Zusammenhang mit Tunneleffekten gab es eine ganze Reihe Nobel-Medaillen. Unter anderem erhielten Gerd Binnig und Heinrich Rohrer 1986 die Hälfte des Nobelpreises für das Rastertunnelmikroskop, das auf dem Effekt basiert.

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Für einzelne Teilchen war der Effekt bald verstanden. Aber was ist mit größeren Systemen? Hier kommen Supraleiter ins Spiel. In diesen erstaunlichen Materialien finden sich Elektronen bei sehr niedrigen Temperaturen jeweils zu zweit zu „Cooper-Paaren“ zusammen, dann fließt der Strom ohne Widerstand durch den Leiter. Fügt man zwei zusammen und trennt sie durch eine dünne, nichtleitende Barriere, erhält man einen sogenannten Josephson-Kontakt. Dort zeigen sich neue, faszinierende Quanteneffekte: Die Cooper-Paare tanzen im Gleichtakt, als seien sie ein einzelnes Teilchen.

In den Achtzigerjahren war John Clarke Professor an der University of California in Berkeley. Michel Devoret war Postdoc in seiner Gruppe, und John Martinis Doktorand. In mühevoller Feinarbeit bei extrem niedrigen Temperaturen machten sie Experimente, in denen sie einen schwachen Strom an einen Josephson-Kontakt anlegten. Anfangs zeigte sich am Kontakt keine Spannung, weil das quantenmechanische System in einem Zustand war, der keine Spannung zulässt. Aber dann tunnelte es aus diesem Zustand heraus, und eine Spannung entstand. Damit konnten die Forscher einen Quanteneffekt an einem System zeigen, das viel größer als ein einzelnes Teilchen ist.

Obendrein konnten die Forscher nachweisen, dass ihr Stromkreis sich so verhält, wie man es von quantenmechanischen Objekten kennt: Mit Mikrowellenstrahlung demonstrierten sie, dass er Energie nur in bestimmten Mengen absorbieren oder emittieren kann, „quantisiert“ also.

Das ist einerseits Grundlagenforschung, wichtig für das Verständnis der Quantenmechanik. Bis heute stellt sich die Frage, wie groß Systeme sein können, die Quanteneffekte zeigen. Veranschaulicht wird das oft mit Schrödingers berühmter Katze. Sperrt man das Tier in eine Kiste mit einer radioaktiven Substanz, die bei einem –quantenmechanischen – Zerfall ein Gift freisetzt: Ist dann auch die Katze in einem Quantenzustand, in dem sich „tot“ und „lebendig“ überlagern? Ist überhaupt jedes System ein Quantensystem? Moderne Experimente, etwa von Markus Arndt an der Universität Wien, zeigen Quanteneffekte an immer größeren Systemen, unter anderem an Nanopartikeln mit mehr als 7000 Atomen.

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Hinzu kommt aber auch die technische Bedeutung der Arbeiten, die sich erst später vollständig gezeigt hat. „In den Neunzigerjahren bekam das Feld mehr Interesse, weil man sich fragte, ob man mit solchen Josephson-Kontakten Quantencomputer bauen kann“, sagt Andreas Wallraff, Festkörperphysiker an der ETH Zürich. Die heutigen Qubits für Quantencomputer basieren teils auf dieser Technik.

So ist Michel Devoret heute nicht nur Professor in Yale und an der University of California in Santa Barbara, sondern ist auch für Google in der Entwicklung von Quantencomputern tätig. Auch Martinis, ebenfalls Professor an der University of California in Santa Barbara, war lange bei Google an der Entwicklung von Quantencomputern beteiligt.

Wallraff hat selbst in Yale mit Devoret zusammengearbeitet, er kennt auch Clarke gut: „John Clarke war immer sehr zugänglich und hat seine Mitarbeiter stark gefördert, auch Michel Devoret diskutiert viel und hat ein unheimliches Wissen, das er gerne teilt.“ Martinis habe später einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Quanten-Computing gehabt. Die drei hätten sich als Team gut ergänzt: „Sie haben damals einfach die besten Experimente gemacht.“

Die Nobelpreise gehen auf den schwedischen Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833–1896) zurück. Sie sollen laut Nobels Testament diejenigen bekommen, die der Menschheit im vergangenen Jahr in den einzelnen Preiskategorien den größten Nutzen erwiesen haben. Die Kategorie Physik ist dabei die erste, die Nobel in seinem Testament erwähnte. Feierlich überreicht werden die Preise dann traditionell an seinem Todestag, dem 10. Dezember.

Am Montag hatte das Stockholmer Karolinska-Institut bereits drei Preisträger für den diesjährigen Medizin-Nobelpreis auserkoren: Mary Brunkow und Fred Ramsdell aus den USA sowie der Japaner Shimon Sakaguchi erhalten die prestigeträchtige Auszeichnung für ihre Entdeckungen zur sogenannten peripheren Immuntoleranz, die verhindert, dass das Immunsystem dem Körper schadet.

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