"Noahs Hütte":Wo die Welt versunken ist

Seit einigen Jahren wird vermutet, dass das Schwarze Meer Schauplatz der biblischen Sintflut war. Doch nun wankt die Theorie: Die Katastrophe könnte sich in Israel ereignet haben.

Axel Bojanowski

An den Ufern des Schwarzen Meeres ging vor etwa 8000 Jahren die Welt unter. Meter für Meter stieg das Wasser. In kürzester Zeit verschwanden 100.000 Quadratkilometer Ackerland - mehr als die doppelte Fläche der Schweiz.

"Noahs Hütte": Wo heute Frachtschiffe in Sichtweite von Istanbuls Blauer Moschee vorbeiziehen, trennte wohl einst ein natürlicher Damm das Mittelmeer vom Schwarzen Meer. Kam es zur Sintflut, als diese Barriere brach?

Wo heute Frachtschiffe in Sichtweite von Istanbuls Blauer Moschee vorbeiziehen, trennte wohl einst ein natürlicher Damm das Mittelmeer vom Schwarzen Meer. Kam es zur Sintflut, als diese Barriere brach?

(Foto: Foto: AP)

Die Anwohner flüchteten in Panik. Viele ertranken. So habe sich das Unglück zugetragen, das hinter dem Bericht der biblischen Sintflut steckt, glauben die Meeresgeologen Walter Pitman und William Ryan vom Lamont-Doherty Earth Observatory in Palisades, USA.

Das Inferno habe seinen Ursprung am Bosporus genommen, der Meerenge zwischen Europa und Asien. Dort sei ein natürlicher Damm gebrochen. Die Sturzflut habe sich mit der 200-fachen Wucht der Niagarafälle aus dem Marmarameer ins Schwarze Meer ergossen, damals vermutlich ein Binnensee, der 150 Meter tiefer lag.

Nachdem vor acht Jahren der Archäologe Robert Ballard Überreste eines Lehmhauses am Grund des Schwarzen Meeres in 170 Meter Tiefe entdeckt haben wollte, erlangte die Sintflut-Theorie von Pitman und Ryan Weltruhm. "Noahs Haus entdeckt", meldete etwa der Daily Telegraph.

Doch nun wankt die Theorie. Stattdessen stellen Forscher ein anderes Szenario in Aussicht: Die Sintflut könnte sich in Israel ereignet haben.

Das Sintflut-Szenario am Schwarzen Meer erscheint jedoch durchaus plausibel. Denn die postulierte Mega-Flut fällt in die Zeit einer weltweiten Klimaänderung: Nach dem Ende der jüngsten Eiszeit schmolzen die Gletscher, die damals weite Teile der Erde bedeckten.

Das Schmelzwasser ließ die Pegel der Ozeane um 130 Meter ansteigen, acht Prozent der Landfläche versanken. Irgendwann muss das Mittelmeer soweit angestiegen sein, dass sein Wasser ins Marmarameer und später ins Schwarze Meer überlief.

Das Buch "The Black Sea Flood Question" versammelt jetzt 35 aktuelle Studien zur Schwarzmeerthese. Die Ergebnisse der meisten Arbeiten schwankten in ihrer Einschätzung zwischen fragwürdig und ablehnend, erklärt Victor Baker von der University of Arizona im Vorwort.

Süßwasser im Schwarzen Meer

Doch Ryan und Pitman beharren auf ihrer These. Ihre wichtigsten Beweisstücke sind zwei verschiedene Muscheltypen vom Grund des Schwarzen Meeres. Die einen hatten vor etwa 8000 Jahren in Süßwasser gelebt, die anderen 500 Jahre vorher im Salzwasser. Die Folgerung: Salzwasser muss ins Schwarze Meer eingedrungen sein.

Prinzipiell könne das zwar stimmen, räumen die kanadischen Geologen Ali Aksu und Rick Hiscott von der Memorial University of Newfoundland ein. Allerdings liege das Ereignis wohl weiter zurück, und vor allem sei es dabei bedeutend beschaulicher zugegangen, als Ryan Pitman behaupteten (Quaternary International, Bd. 167/168, 2007). Das Schwarze Meer habe sich langsam gefüllt, von einer Sintflut könne keine Rede sein.

Aksu hat bei einer Bohrung am Grund des Schwarzen Meeres Sedimente entdeckt, die sich eindeutig in tiefem Wasser abgelagert haben - an einem Ort, der zur fraglichen Zeit noch hätte trocken gewesen sein müssen. Auch Valentina Yonko-Hombach vom Avalon Institute of Applied Science in Kanada fand am Meeresgrund Ablagerungen, die zeigten, dass das Schwarze Meer schon bis vor 10.000 Jahren stetig auf 50 Meter unter den heutigen Stand angestiegen sei.

Bereits vor 9500 Jahren sei dann Mittelmeerwasser eingeströmt und habe den Spiegel des Schwarzen Meeres "sehr langsam" angehoben - um drei Zentimeter pro Jahrhundert. Die Sintflut-Theorie sei "ein Mythos", sagt Yonko-Hombach.

Lehmhaus oder Lehmklumpen?

Andere Forscher wie Dwight Coleman von der University of Rhode Island und Oya Algan von der Universität Istanbul jedoch stützen die Sintflut-These. Sie fanden Hinweise, dass die Ufer der Region tatsächlich rasch geflutet wurden: Am Grund des Schwarzen Meeres entdeckten sie alte Küstenlinien, etwa untergegangene Strände, die aus der Zeit stammten, als das Schwarze Meer noch ein Süßwassersee war.

Der Pegel des Schwarzen Meeres müsse lange vor dem mutmaßlichen Sintflut-Datum von Ryan und Pitman gestiegen sein, meinen jedoch Aksu und seine Kollegen. Denn auf dem Grund des Marmarameers am südlichen Ausgang des Bosporus hätten sie Ablagerungen entdeckt, die zeigten, dass vor 10.000 Jahren Wasser aus dem Schwarzen Meer durch den Bosporus geflossen sein müsse - also in umgekehrte Richtung, als von den Sintflut-Anhängern angenommen.

Ein Trugschluss, widersprechen William Ryan und einige andere Geologen in der September-Ausgabe des Magazins Marine Geology (Bd. 243, S. 57, 2007). Die betreffenden Ablagerungen stammten nicht aus dem Schwarzen Meer, sondern aus einem Fluss.

Wo die Welt versunken ist

Doch auch die vermeintlichen Siedlungsspuren erwiesen sich offenbar als Irrtum: Bei dem Lehmhaus am Meeresboden handele es sich vermutlich schlicht um Gestein und Holz, das zufällig der Form eines Gebäudes ähnelte, erklärt Allan Gilbert von der Fordham University in New York City.

Archäologen und Sprachwissenschaftler versetzen der Theorie von Pitman und Ryan weitere Dämpfer: Es gebe keine Hinweise dafür, dass Menschen vor rund 8000 Jahren vor einer Katastrophe aus der Schwarzmeer-Region geflohen seien, schreibt Valentina Yanko-Hombach. Vertreter der Schwarzmeertheorie beriefen sich bislang auf Flutsagen aus Rumänien, Griechenland und Anatolien:

Doch brauchbare Belege dafür gebe es nicht, schreibt die Linguistin Johanna Nichols von der University of California in Berkeley. Es gäbe sogar Hinweise dafür, dass vor 8000 Jahren vermehrt Menschen am Schwarzen Meer gesiedelt hätten, berichtet Allan Gilbert.

Doch zumindest die geologischen Daten der Sintflut-Gegner sind umstritten. Sie stammen zumeist aus russischen Laboren. Erst vor kurzem wurden die Arbeiten aus der Zeit der Sowjetunion ausgewertet. Insbesondere die Altersbestimmungen der Meeresablagerungen sollten mit Vorsicht bewertet werden, sagt der Geologe Liviu Giosan von der Woods Hole Oceanographic Institution.

So ist es kein Wunder, dass William Ryan seine Theorie noch nicht verlorengibt. Er verfüge über unveröffentlichte Daten, die zeigten, dass die Sintflut tatsächlich vor etwa 8000 Jahren am Schwarzen Meer stattgefunden habe, erklärte er im Wissenschaftsblatt Science.

Ryan suche seine Spuren jedoch auf der falschen Seite des Meeresbeckens, meint Rick Hiscott. Möglicherweise habe sich die Sintflut tatsächlich am Schwarzen Meer ereignet - jedoch im Norden und viele tausend Jahre früher. Kurz nach dem Ende der Eiszeit hätten die Flüsse Dnjepr, Don, Wolga und Dnjestr vermutlich gewaltige Mengen Schmelzwasser ins Schwarze Meer ergossen und möglicherweise Siedler vertrieben.

Während sich die Forscherwelt aufs Schwarze Meer konzentriert, verfolgen italienische Vulkanologen eine neue Spur: Vor 8300 Jahren hätten Tsunamis Dörfer an der Küste Israels ausgelöscht, berichten Maria Teresa Pareschi und ihre Kollegen vom Institut für Geophysik und Vulkanologie in Pisa nun im Fachblatt Geophysical Research Letters (Bd.34, S. L16317, 2007). Lag dort der Schauplatz der Sintflut?

"Wir glauben schon", sagt Pareschi - und sie fügt hinzu: "Aber wir haben noch nicht alle notwendigen Informationen zusammen, um die Frage eindeutig beantworten zu können."

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