Süddeutsche Zeitung

New York:Gewicht von Wolkenkratzern lässt Manhattan absinken

Während der Meeresspiegel steigt, bewegt sich New York allmählich nach unten. Geht die Stadt zu sorglos mit dem Überschwemmungsrisiko um?

Von Marie Christin Essert

New York könnte künftig stärker von Überflutungen betroffen sein als andere Küstenstädte der USA. Zum Anstieg des Meeresspiegels durch den Klimawandel kommt ein Absinken des Untergrunds um durchschnittlich ein bis zwei Millimeter pro Jahr. Die mittlerweile über eine Million Gebäude in New York City tragen dazu bei, dass der Stadt ein ähnliches Schicksal droht wie Venedig, Rotterdam und Jakarta. Während die auf Felsgestein gegründeten Wolkenkratzer kaum absinken, sind küstennähere Bereiche mit weicherem Untergrund deutlich stärker betroffen. Das berechnete eine Gruppe um den Geophysiker Tom Parsons vom United States Geological Survey in Menlo Park, Kalifornien, im Fachjournal Earth's Future.

Das vierköpfige Team schätzt, dass sich das Gewicht der Gebäude auf etwa 764 Millionen Tonnen beläuft. Für das Absinken der Stadt ist neben dem Gewicht auch die Bodenart verantwortlich. "Die Oberflächengeologie von New York City ist sehr komplex", schreiben die Autoren, "da sie aus verschiedenen Einheiten besteht, darunter Sand- und Strandablagerungen, Geschiebelehm und Grundgestein." All diese Bodenarten weisen ein anderes Setzverhalten auf. Vor allem lehmhaltige Böden und künstliche Aufschüttungen, wie sie unter anderem in Brooklyn häufig vorkommen, sind für Setzungen anfällig.

Die Wissenschaftler warnen vor einem sorglosen Umgang bei der Entwicklung der Stadt

Lehmböden und künstlich aufgefüllte Flächen hätten ein Absenkungspotenzial durch die Bebauung von 7,5 bis 60 Zentimetern, mit einem Mittelwert von gut 29 Zentimetern, schätzen Parsons und Kollegen. Andere Böden sind weniger anfällig, der Auflast nachzugeben, mit Mittelwerten von 6 bis 12 Zentimetern. Für Felsgestein ermittelten die Forscher ein Absenkungspotenzial von 0 bis 0,5 Zentimetern.

Und während die Stadt sich langsam nach unten bewegt, steigt der Meeresspiegel an. Seit 1950 ist der Wasserspiegel an der Küste des Bundesstaates New York um knapp 23 Zentimeter gestiegen. Insgesamt ist die Bedrohung eines steigenden Meeresspiegels entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika etwa drei bis vier mal höher als im globalen Durchschnitt.

Das kann in Kombination mit dem sinkenden Grund und der immer höher werdenden Intensität von Hurrikans zu starken Überschwemmungen führen. Erst 2021 hat Hurrikan Ida und der damit einhergehende starke Regenfall gezeigt, dass es die Abflusssysteme der Stadt nicht mit diesen enormen Wassermengen aufnehmen können. Wenn nicht dafür ausgelegte Gebäude wiederholt mit Salzwasser in Berührung kommen, werden die Materialien wie Stahl und Beton mit der Zeit strukturell geschwächt.

Die Wissenschaftler warnen vor einem sorglosen Umgang bei der Entwicklung der Stadt. So seien nach dem Wirbelsturm Sandy 90 Prozent der Gebäude in überschwemmungsgefährdeten Gebieten nicht nach den Standards für Überschwemmungsgebiete gebaut worden. Die Entnahme von Grundwasser könne zu weiteren Absenkungen führen. Zudem bringen der East River und der Harlem River kaum noch Sedimente in den Hafen von New York. Das mache die Stadt anfälliger für Überflutungen durch Nordostwinde und Wirbelstürme, schreiben die Geologen. Betroffen sein dürfte vor allem Lower Manhattan: Die Südspitze des zentralen Bezirks liegt gerade einmal ein bis zwei Meter über dem Meeresspiegel.

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