Neurowissenschaften:Stromschläge für das Hirn

Wenn die Medikamente versagen: Parkinson oder psychiatrische Leiden können auch mit implantierten Elektroden bekämpft werden.

Katrin Blawat

Vorträge hält Helmut Dubiel nur noch auf Knopfdruck. Über eine Fernbedienung steuert der emeritierte Soziologieprofessor die Vorgänge in seinem Gehirn so, dass ihm die Worte verständlich aus dem Mund kommen.

Hirnschrittmacher, dpa

Beim Einpflanzen eines Hirnschrittmachers kann ein halber Millimeter über den Erfolg des Eingriffs entscheiden.

(Foto: Foto: dpa)

In diesem Moment kann er dann zwar nicht mehr laufen, aber als Parkinson-Patient ist Dubiel es gewöhnt, Kompromisse mit seinem Körper zu schließen.

1993 erkrankte Helmut Dubiel im Alter von nur 46 Jahren an Parkinson. Gern hätte er sich gesehen als einen "lebenstüchtigen Mann, der zu den Sternen aufblickt und doch mit beiden Beinen auf der Erde steht", schreibt Dubiel in seinem Buch "Tief im Hirn".

Stattdessen ist Dubiel einer jener Parkinson-Patienten, denen auch Medikamente die Kontrolle über ihre Beine nicht zurückgeben konnten, und bei denen es Ärzte daher mit einer anderen Therapie versuchen: der sogenannten Tiefenhirnstimulation (THS).

Dabei werden dem Patienten etwa einen Millimeter dicke Elektroden ins Gehirn gepflanzt. Zu sehen sind die Sonden später nicht mehr. Dünne Kabel verbinden die Elektroden mit einer Art Dose, die der Patient auf Höhe des Schlüsselbeins unter der Haut trägt.

130 Stromimpulse pro Sekunde

Diese Dose, der Schrittmacher, soll wieder Ordnung herstellen in dem Hirnareal, das durch eine Krankheit wie Parkinson aus dem Takt gekommen ist. 130 Mal pro Sekunde schickt der Schrittmacher schwache Stromimpulse über die Elektroden ins Hirn des Patienten.

Für den Chirurgen bedeutet das Präzisionsarbeit beim Einpflanzen der Sonden, ein halber Millimeter kann über den Erfolg des Eingriffs entscheiden.

Bei Parkinson-Patienten werden die Elektroden meist in einem erbsengroßen Stück des sogenannten subthalamischen Nucleus positioniert.

Dort hemmen die Stromschläge vom Schrittmacher krankhaft überaktive Nervenzellen, die das fein tarierte Zusammenspiel der anderen Neuronen durcheinanderbringen. Den Schrittmacher können die Patienten in geringem Umfang auch manuell steuern.

Etwa 600 Menschen bekommen jedes Jahr in Deutschland THS-Elektroden eingepflanzt. Am häufigsten wird die Therapie bei Parkinson-Patienten angewandt, für die sie Anfang der 1990er-Jahre entwickelt wurde.

Die Lebensqualität hat sich verbessert

Laut einer Studie im Fachblatt Lancet Neurology (online) vom heutigen Donnerstag hilft die THS in Kombination mit Medikamenten Patienten, die seit mehreren Jahren unter einer schweren Form der Krankheit leiden, oft deutlich besser als die Arzneimittel allein.

Neurochirurgen um den britischen Arzt Adrian Williams untersuchten 178 Parkinson-Patienten, denen Elektroden ins Hirn eingepflanzt wurden, und verglichen sie mit 183 Probanden, die ausschließlich Medikamente nahmen.

Nach ihren eigenen Angaben hatten sich Lebensqualität, Beweglichkeit und allgemeines körperliches Wohlbefinden der operierten Patienten deutlich stärker verbessert als bei den Patienten ohne Hirnschrittmacher.

Aufnahmen vom Gehrin werden immer besser

Nicht nur für Parkinson-Patienten ist die THS oft die letzte Hoffnung, wenn keine andere Therapie mehr hilft. Weil Ärzte in immer höherer Auflösung Bilder vom Gehirn anfertigen können, erkennen sie auch immer besser, welche Hirnareale bei welcher Krankheit betroffen sind und wo sie demnach die Elektroden platzieren müssen.

Seit etwa zehn Jahren werden auch Patienten mit schweren Formen von Epilepsie, Muskelverkrampfungen und sogenannten Clusterkopfschmerzen mit der THS-Methode behandelt. Etwas jünger ist die Idee, Hirnschrittmacher auch Menschen mit psychiatrischen Krankheiten einzusetzen.

Bislang legen die Studienergebnisse nahe, dass die THS diese Leiden um bis zu 70 Prozent lindern kann, wie ein Autorenteam um Jens Kuhn von der Kölner Universitätsklinik für Psychiatrie vor kurzem in einer Übersichtsarbeit feststellte.

Allerdings hätten an den meisten Studien jeweils nur wenige Probanden teilgenommen. Im Deutschen Ärzteblatt bezeichnen Kuhn und seine Kollegen die Tiefenhirnstimulation als "neue Option bei psychiatrischen, therapieresistenten Krankheiten" wie schweren Angst- und Zwangserkrankungen, depressiven Störungen und dem Tourette-Syndrom, bei dem Betroffene unkontrolliert fluchen und unter körperlichen Tics leiden.

Dem vorsichtigen Optimismus der Mediziner zum Trotz haben viele Menschen noch Bedenken gegenüber der THS als Therapie für psychiatrische Erkrankungen.

"Die Gründe sind leicht zu ersehen", schreibt der Tübinger Medizinethiker Urban Wiesing in einem begleitenden Kommentar. Zum einen sind da schwere Nebenwirkungen, die vor allem bei Parkinson-Patienten gut belegt sind.

Am häufigsten kämpfen die Patienten mit Operations-bedingten Infektionen. So litten auch 36 der 178 operierten Parkinson-Patienten aus der aktuellen Lancet-Studie im Verlauf eines Jahres unter schweren Nebenwirkungen, zumeist unter Infektionen.

"Trotzdem bleibt ein Risiko"

Aber auch Persönlichkeitsveränderungen wie manische Phasen oder Depressionen, die bis zum Suizid führen können, haben Ärzte mehrfach als Folge der THS beobachtet.

"Ein kritischer Punkt ist es, die Medikamente nach der Operation richtig einzustellen", sagt Volker Sturm, Neurochirurg an der Kölner Universitätsklinik. "Sonst kommt es zu Entzugserscheinungen, die sich als Depressionen äußern können."

Da man außerdem das Muster, mit dem der Schrittmacher seine Impulse an die Elektroden sendet, nachträglich anpassen könne, träten die psychiatrischen Nebenwirkungen meist jedoch nur für kurze Zeit auf. "Trotzdem bleibt ein Risiko, und die THS darf allein jenen Patienten zugute kommen, denen keine andere Therapie mehr helfen kann", fordert Sturm, einer der Pioniere der THS in Deutschland.

"Manipuliert werden die Patienten durch ihre Krankheit"

Patienten, für die Elektroden im Gehirn die einzige Chance auf Besserung darstellen, machen sich meist wenig Gedanken über die ethische Dimension der tiefen Hirnstimulation.

Doch die Frage bleibt: Degradiert diese Therapie den Menschen zum bloßen Befehlsausführer, der nicht anders kann, als sich dem Takt einer kleinen ovalen Dose zu beugen, wie Kritiker argumentieren?

Volker Sturm hat solche Fragen schon oft gehört, und er antwortet sehr entschieden: "Manipuliert werden die Patienten durch ihre Krankheit und nicht durch die Hirnstimulation. Im Gegenteil, damit versuchen wir, Patienten wieder Freiheit zu ermöglichen."

Eine Freiheit, die auch gesunde Menschen bald einfordern könnten. Zumindest theoretisch könnte die THS auch dazu dienen, die Gedächtnisleistungen Gesunder zu steigern. Vor sieben Jahren implantierten kanadische Ärzte einem extrem übergewichtigen Patienten Elektroden in den Hypothalamus, um seinen Gewichtsverlust zu beschleunigen.

Das funktionierte nicht. Stattdessen erinnerte sich der Mann plötzlich wieder an Ereignisse, die Jahrzehnte zurücklagen - eine Erfahrung, die sich womöglich viele Menschen wünschen. Sich Stromschläge ins Gehirn geben zu lassen, um besser denken zu können: Vollkommen abwegig ist diese Idee nicht mehr. Volker Sturm ist dennoch entsetzt: "Für mich ist es eine Horrorvorstellung, Gesunden Elektroden ins Gehirn einzupflanzen."

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