Süddeutsche Zeitung

Neurowissenschaft:Im Schlaf lernen

Lesezeit: 2 min

Wird ein alter Traum Wahrheit? Psychologen aus der Schweiz ist es gelungen, schlafenden Menschen die Bedeutung von zuvor unbekannten Begriffen beizubringen. Werden Schüler also künftig nachts im Bett Vokabeln lernen?

Von Christian Gschwendtner

Glaubt man den Ratgeberbüchern, dann lässt sich der perfekte Schlaf vor allem an seiner Dauer bestimmen. Zu wenig ist ungesund, das wissen inzwischen auch Spitzenmanager. Aber mindestens genauso schädlich ist angeblich eine zu lange Nachtruhe. Wer zu viele Stunden in der Waagrechten verbringt, verpasst das Leben. Oder noch schlimmer: ist unproduktiv. Die Wissenschaft ist da längst weiter. Zahlreiche Studien belegen, dass die Zeit im Bett für keinen Menschen verlorene Zeit ist. Seit längerem weiß man, dass erlerntes Wissen im Schlaf verarbeitet und gefestigt wird. Wissenschaftler von der Universität Bern gehen nun einen Schritt weiter. In einer Studie im Fachblatt Current Biology liefern sie Indizien dafür, dass Menschen sich im Tiefschlaf neues Wissen aneignen können: Lernen im Schlaf - ein Traum, der wahr geworden ist?

Konkret unterzog die Psychologieprofessorin Katharina Henke zusammen mit ihren Kollegen Marc Züst und Simon Ruch 41 schlafende Versuchspersonen einem Vokabeltraining. Über Kopfhörer wurden die Teilnehmer mehrmals mit Fantasiewörtern beschallt, denen verschiedene Bedeutungen zugeordnet waren. Der Begriff "Guga" wurde etwa entweder mit "Vogel" oder mit "Elefant" übersetzt. Dann sollten die Probanden in wachem Zustand beantworten, was für ein Ding sie mit "Guga" in Verbindung bringen: eines, das größer oder kleiner als eine Schuhschachtel ist?

Womöglich können Menschen mit Lernbehinderung von diesem Gedächtnistraining profitieren

"Die Leute haben nichts vom Vokabeltraining gemerkt", sagt der Psychologe Simon Ruch. Trotzdem beantworteten sie die Frage in 60 Prozent der Fälle richtig, also entsprechend der Bedeutung, die sie im Schlaf gehört hatten. Unter einer Bedingung: Die Vokabeln mussten zur richtigen Zeit im Tiefschlaf vorgespielt werden - während der sogenannten Up-state-Phase. Sie wechselt sich fast sekündlich mit passiven Phasen ab, in denen nicht alle Gehirnzellen aktiv sind. In welcher Phase sich ein schlafender Mensch gerade befindet, lässt sich an einem EEG-Gerät ablesen. Vieles deutet demnach darauf hin, dass die Gedächtnisbildung im Gehirn sowohl im bewussten als auch im unbewussten Zustand funktioniert.

Unklar ist aber, ob sich die Ergebnisse der Schweizer Forscher ohne weiteres auf die Nachtruhe übertragen lassen, weil dann andere chemische Prozesse im Gehirn ablaufen als tagsüber. In der aktuellen Studie fand das Gedächtnistraining der Schlafenden am frühen Nachmittag statt . Die jungen Probanden durften in der Nacht davor nicht mehr als vier Stunden schlafen und bekamen mittags ein herzhaftes Essen serviert. Anschließend legten sie sich im Labor in einen fensterlosen Raum mit weiß gestrichenen Wänden. "Der sieht ein bisschen aus wie ein Riesenkühlschrank", sagt Ruch.

Spannend ist auch die Frage, ob das Lernen im Schlaf eine nachteilige Auswirkung auf die Konsolidierung von bereits Gelerntem hat oder diese hingegen begünstigt. Das sei bisher noch in keiner wissenschaftlichen Studie untersucht worden, schreiben die Autoren. Genauso wenig, welchen Einfluss individuelle Faktoren auf das Lernen im Ruhemodus ausüben. Gut möglich ist zum Beispiel, dass Menschen mit einem gesunden Schlafrhythmus und hoher verbaler Intelligenz sich mit dem Lernen in der Ruhephase leichter tun.

Die Forscher schließen nicht aus, dass das Gedächtnistraining im Schlaf einmal zur Therapie von Menschen mit starker Lernbehinderung eingesetzt werden könnte. Geeignet sei die Methode auch für Menschen mit einer Phobie, sagt der Psychologe Ruch. Wer Angst vor Spinnen hat, könnte sich dann im Schlaf an die Tiere gewöhnen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikel haben wir fälschlicherweise berichtet, dass das Wissenschaftler-Team von der Universität Basel sei. Korrekt ist, dass die Autoren der Studie an der Universität Bern forschen.

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SZ vom 01.02.2019
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