Neurologie:Zeitbombe im Kopf

Hirn-Operation oder nicht? Menschen mit Aneurysma müssen eine riskante Entscheidung treffen.

Dennis Ballwieser

Unerträgliche Kopfschmerzen kündigen das Unheil an. Sie wälzen sich vom Nacken kommend über den Kopf, der Schädel scheint jeden Moment zu zerspringen. So beschreiben Patienten die Erfahrung einer Hirnblutung - sofern sie diese sogenannte Subarachnoidalblutung überhaupt überlebt haben, und noch sprechen können.

Mehr als ein Zehntel der Betroffenen stirbt sofort, nur knapp zwei Drittel überleben den Hirnschlag längere Zeit. Und nur ein Drittel dieser Überlebenden wiederum wird weiterhin ein gänzlich unabhängiges Leben führen. Viele der Betroffenen leiden dauerhaft unter Lähmungen und Sprachstörungen.

Hirnblutungen treten auch bei jungen und scheinbar völlig gesunden Menschen auf. Die Ursache ist meist ein sogenanntes Aneurysma, die Aussackung einer Schlagader, die das Gehirn versorgt. Die Arterienwand wird mit den Jahren dünner, gibt dem Blutdruck zunehmend nach, beult sich aus, und irgendwann schließlich reißt sie ein. Dann wird das Blut mit großem Druck unter die Schädeldecke gepumpt; und das Gehirn ist ihm hilflos ausgeliefert - kein Bindegewebe, kein Knochen schützt die graue Masse.

Weil das Gehirn auf Druck empfindlich reagiert, fallen schnell lebenswichtige Funktionen aus: Der Patient sieht plötzlich Teile seiner Umgebung nicht mehr, seine Gesichtsmuskeln versagen, Arme und Beine hängen schlaff am Körper herab - kurz darauf wird der Patient bewusstlos. Steigt der Druck in seinem Kopf noch weiter an, stirbt er an einem Atemstillstand, sobald der Hirnstamm durch den großen Druck unter der Schädeldecke in jenem kleinen Loch eingeklemmt wird, durch das die Rückenmarkfasern zur Wirbelsäule verlaufen.

Ein Aneurysma ist nicht die einzige mögliche Ursache einer solchen Hirnblutung, aber sie ist eine der wenigen, die man bereits vor einer Blutung behandeln kann. Die Aussackungen sind nämlich auf Computertomographien und Kernspinaufnahmen der Hirngefäße zu erkennen. Bei manchen Patienten werden sie entdeckt, weil sie wegen immer wieder auftretender, unerklärlicher Kopfschmerzen in der neurologischen Praxis auftauchen. Bei anderen fällt ein Aneurysma eher zufällig auf, etwa wenn nach einem Verkehrsunfall vorsichtshalber der Kopf untersucht wird. Beim Großteil der Betroffenen macht sich das Aneurysma erst mit der Hirnblutung bemerkbar - für viele zu spät.

Doch dass Problem ist, dass auch die Therapie selbst nicht ungefährlich ist. Es existieren zwei Methoden, die beide ihre Vor- und Nachteile haben: Beim sogenannten Coiling führt ein Radiologe einen dünnen Schlauch von der Leiste bis in den Kopf des Patienten ein und stopft durch diesen Katheter winzige Platinspiralen ins Aneurysma. An den Spiralen, den Coils, gerinnt das Blut und das Aneurysma verschließt sich. Beim Clipping hingegen bringt ein Chirurg in einer Operation am offenen Gehirn von außen einen Clip an der Aussackung an und verschließt sie dauerhaft mit einem Clip.

Bei beiden Verfahren kann es jedoch zu Blutungen kommen, Plaques können sich lösen und Gefäßverschlüsse im Gehirn verursachen. Während Clips ein Aneurysma meist dauerhaft verschließen, kann nach dem Coiling das Aneurysma wieder aufgehen. In jedem Fall müssen die Patienten jahrelang zur Nachsorge beim Neurologen kommen, denn wer einmal ein Aneurysma hatte, bei dem ist das Risiko für ein zweites klar erhöht.

"Nach einer akuten Blutung sehen viele Experten beim Coiling mit dem Katheter Vorteile", sagt Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Technischen Universität München. "Es gibt zwar nicht wesentlich weniger direkte Komplikationen als bei der offenen Operation, aber das Gehirn scheint direkt nach einer Blutung anfälliger zu sein, wenn offen operiert wird." Bei beiden Methoden liegt das Risiko für Zwischenfälle bei mindestens vier Prozent. Je nach Lage und Größe des Aneurysmas, weiteren Krankheiten, Lebensgewohnheiten und dem Alter des Patienten kann es auch deutlich höher liegen.

Zudem geben Form und Lage des Aneurysmas häufig vor, was getan werden muss: Aussackungen mit besonders breitem Hals können mit Coils nicht ausreichend sicher verstopft werden, an manche versteckte Hirnarterie wiederum kommt der Chirurg mit seinem Katheter nicht heran. "Wofür man sich entscheidet, hängt nicht zuletzt auch von der Kompetenz vor Ort ab", sagt Jürgen Meixensberger, Chef der Neurochirurgie an der Universität Leipzig und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie. Je nach Klinik-Standort wird in Deutschland etwa die Hälfte der Fälle operiert beziehungsweise mit dem Katheter gecoilt."

Besonders schwer fällt die Entscheidung zum Eingriff, wenn ein Aneurysma zwar klar auf dem Röntgenbild zu erkennen ist, der Betroffene aber keine Beschwerden hat. "Wenn ein Patient geblutet hat, dann muss er behandelt werden, das ist klar", sagt Neurochirug Meyer, wenn aber nicht, müsse man abwägen.

"Die Patienten sind in einer sehr schwierigen Situation, wenn sie die Entscheidung für oder wider eine Behandlung treffen sollen", bestätigt Helmuth Steinmetz, Direktor des Zentrums für Neurologie und Neurochirurgie der Universität Frankfurt. "Aneurysmen kommen bei bis zu drei Prozent der Bevölkerung vor, das sind knapp 2,4 Millionen Menschen in Deutschland. Von diesen blutet aber nur bei einer Minderheit jemals das Aneurysma." So wissen Ärzte aus einer großen Studie, dass weniger als sieben Millimeter große Aneurysmen in der Praxis nur selten reißen. Allerdings diskutieren Experten über diese Grenze, weil sie auch immer wieder Ausnahmen von dieser Regel beobachten.

Weil die Gesamteinschätzung so kompliziert ist, sollte nicht ein Arzt alleine die Entscheidung fällen. "Die Entscheidung für oder gegen eine vorbeugende Behandlung sollte immer gemeinsam zwischen Neuroradiologen, Neurologen, Neurochirurgen und Patienten getroffen werden. Das Ziel muss eine einvernehmliche Entscheidung mit dem gut informierten, mündigen Patienten sein", sagt Jürgen Meixensberger aus Leipzig.

Es bleibt daher dabei, dass die Betroffenen in einem Dilemma stecken: Sie wissen, dass sie eine Zeitbombe im Kopf tragen, doch es könnte sein, dass ausgerechnet der Versuch der Entschärfung zur tödlichen Explosion führt. Den betroffenen Patienten bleibt nur, dass sie auf die Vorbeugung achten. Die wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für eine Aneurysma-Blutung sind ein schlecht eingestellter, zu hoher Blutdruck, Rauchen und Alkoholmissbrauch.

In einer aktuellen Studie ( Stroke , Bd. 42, S. 1878, 2011) fanden Forscher um Monique Vlak von der niederländischen Universität Utrecht zudem weitere, auf den ersten Blick recht banale Faktoren, die das Risiko einer Blutung erhöhen: extremer Sport, Naseputzen mit hohem Druck, Sex, starkes Pressen beim Stuhlgang, psychische Erregung und Ärger; ja selbst der übermäßige Genuss von Kaffee und Coca Cola wird verdächtigt.

"Wenn man weiß, dass man ein Aneurysma in seinem Kopf hat und nicht operiert werden kann oder will, kann man wenigstens an einigen dieser Punkte arbeiten", sagt Vlak. Keinen Sinn hat es, da sind sich die Experten einig, Menschen ohne Beschwerden auf ein mögliches Aneurysma hin zu untersuchen. Lediglich Menschen, bei denen mehrere Blutsverwandte einen Hirnschlag erlitten haben, sollten mit einem Neurologen über eine vorsorgliche Untersuchung sprechen.

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