Süddeutsche Zeitung

Neurologie:Von allem abgeschnitten

Wenn bei völliger Dunkelheit alle Reize ausbleiben, herrscht im menschlichen Gehirn Ausnahmezustand. Oft flüchtet es sich in optische und akustische Halluzinationen.

Von Sebastian Herrmann

Das Gehirn benimmt sich im Grund wie ein zappeliges Kleinkind. Da ist dieser Drang, ständig auf irgendwelche Reize zu reagieren. Fehlt der Input, dann weiß das Hirn nicht, wohin mit sich. Was dann passiert, haben Wissenschaftler in Versuchen mit Menschen beobachtet, die in vollkommener Dunkelheit und Stille eingesperrt waren und mehrere Tage ausharren mussten. Wenn das Gehirn eine solche "sensorische Deprivation" ertragen musste, dann feuern die Neuronen gewissermaßen ins Leere: Abgeschnitten von jeglichen Reizen entstehen oft akustische und auch optische Halluzinationen im Geiste desjenigen, der in einem Verlies aus Dunkelheit sitzt und seine Orientierung in Zeit und Raum einbüßt. Aus dem Koreakrieg ist etwa bekannt, dass Isolationshaft in vollkommener Dunkelheit und Stille Kriegsgefangene zerbrechen lässt. Gefangene gestanden alles, was ihnen im Verhör in den Mund gelegt wurde - weil ihr Gehirn vollkommen durcheinander war und weil sie unter allen Umständen die Folter alles verschlingender Dunkelheit nicht abermals ertragen wollten.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2016
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