Süddeutsche Zeitung

Neurologie:Im Nebel

Lesezeit: 4 min

Regelmäßig müssen Forscher Studien zu Alzheimer-Medikamenten ergebnislos abbrechen. Es bleibt die Hoffnung, im Scheitern den entscheidenden Hinweis auf den richtigen Weg zu entdecken.

Von Anke Fossgreen

Schon wieder haben zwei Pharmafirmen bekannt geben müssen, dass ein Medikament gegen die Alzheimerkrankheit die Hoffnungen nicht erfüllt. Kürzlich teilten Roche und AC Immune mit, dass zwei Studien mit insgesamt 1500 Patienten nicht weitergeführt werden. Der getestete Wirkstoff Crenezumab zeigte keine Verbesserungen bei den Patienten. "Wir sind sehr enttäuscht", sagt Andreas Monsch. Die Memory Clinic, die Monsch an der Universitären Altersmedizin des Felix-Platter-Spitals in Basel leitet, war mit einigen Patienten an der Studie beteiligt. Derartige Meldungen sind seit einigen Jahren die Regel, wenn es um neue Alzheimermedikamente geht. Zahlreiche Studien mit mehr als getesteten 100 Substanzen scheiterten. Dabei ist das Ziel der Forscher seit einigen Jahren nichts weniger, als an der Ursache der Krankheit anzusetzen und erstmals nicht mehr nur die Symptome zu behandeln, sondern das Nervensterben und das fortschreitende Vergessen aufzuhalten.

Die meisten dieser geprüften Wirkstoffe zielen auf ein Proteinbruchstück, das im Gehirn der Alzheimerpatienten verklumpt und sich in charakteristischen Plaques ablagert, das sogenannte Beta-Amyloid. Dass Forscher und Pharmafirmen dieses Bruchstück als geeigneten Angriffspunkt sehen, hat eine lange Geschichte. Ein Beispiel: Zwar tritt in mehr als 95 Prozent der Fälle die Alzheimerkrankheit altersbedingt auf, etwa vom 60. Lebensjahr an. Sehr selten kann sich das krankhafte Nervensterben aber auch vererben. Alle bisher entdeckten genetischen Veränderungen in den betroffenen Familien bewirken, dass mehr Beta-Amyloid entsteht oder sich solches bildet, das sich verstärkt verklumpt und ablagert.

Anfang der 2000er-Jahre waren Forscher geradezu euphorisch, als es ihnen erstmals gelungen war, Antikörper gegen Beta-Amyloid zu entwickeln. Die Substanzen sollten die schädlichen Bruchstücke aus dem Gehirn fischen. Einige Antikörper haben zwar gezeigt, dass sie durchaus Beta-Amyloid entfernen können - aber den Krankheitsverlauf konnte keine Substanz aufhalten und schon gar nicht den Patienten ihr Denkvermögen zurückgeben.

"Inzwischen muss man sich fragen, ob Beta-Amyloid tatsächlich so relevant im Krankheitsverlauf ist, wie bisher gedacht", sagt Monsch. Derzeit laufen noch einige Studien, in denen weitere Wirkstoffe beweisen könnten, ob es sich lohnt, Beta-Amyloid anzugreifen. Monsch schätzt die Chancen, dass sie positive Ergebnisse zeigen, auf "50 zu 50".

Wie genau die Krankheit entsteht, hat die Wissenschaft noch nicht entschlüsselt

Die große Zuversicht, dass es mittelfristig gelingt, die Ursache der Krankheit zu bekämpfen, ist aber verflogen. Die Experten sind sich heute einig: "Wir kennen den genauen Mechanismus, wie die Alzheimerkrankheit entsteht, nicht", sagt Monsch. Sein US-Kollege Jeffrey Cummings stimmt ihm zu. Dennoch ist der Alzheimerexperte von der Cleveland Clinic Lou Ruvo Center for Brain Health in Las Vegas optimistisch. Cummings verfolgt zusammen mit Kollegen seit Jahren akribisch, welche Substanzen sich in der Pipeline der Pharmafirmen befinden und wie sie in den diversen Studien abgeschnitten haben. Das Team hat im vergangenen Jahr in einer Übersicht sämtliche Studien zusammengefasst, die im staatlichen Register der USA (clinicaltrials.gov) aufgelistet sind.

Die Wissenschaftler haben die Daten in der Fachzeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht. Darin enthalten sind auch die Studien mit dem Wirkstoff Crenezumab von Roche und AC Immune. Demnach waren vor einem Jahr 112 Substanzen in Tests an Menschen eingesetzt. Davon 26 in Phase-3-Studien, das heißt, an durchschnittlich 860 Patienten, 63 Substanzen in Phase-2-Studien mit gut 150 Teilnehmern und 23 in ersten Verträglichkeitsstudien mit jeweils bis zu 12 Freiwilligen. Fazit: Es laufen also derzeit noch einige wichtige Studien mit neuen Wirkstoffen, und es kommen weitere Substanzen hinzu. So die positive Botschaft.

"Wir haben aber auch aus den gescheiterten Studien viel gelernt", sagt Cummings. Deshalb hält er den Ansatz, Beta-Amyloid zu bekämpfen, noch nicht für erledigt. Er sei aber "sehr begeistert", dass sich in derzeit laufenden Studien zumindest sechs neue Substanzen gegen ein anderes Molekül richten, genannt Tau. Damit konzentrieren sich einige neue Ansätze auf ein weiteres Krankheitsmerkmal im Gehirn von Alzheimerkranken. Das Protein Tau stabilisiert in den Nerven das Zellskelett, die sogenannten Mikrotubuli. Wenn Tau-Proteine krankhaft verändert sind, können sie sich in der Nervenzelle zusammenlagern. Dabei schädigen die sogenannten Neurofibrillenbündel die Zelle, und auch die Mikrotubuli werden instabil. Die Nervenzelle stirbt, und die freigesetzten Tau-Aggregate befallen weitere Nervenzellen.

"Je mehr Tau-Ablagerungen im Gehirn zu finden sind, umso stärker sind die Gedächtnisausfälle", sagt Cummings. Die Tau-Pathologie ist allerdings nicht spezifisch für die Alzheimerkrankheit - sie tritt auch bei Parkinson und anderen Formen von Demenz auf. Deshalb vermuten Forscher, sie könne nicht die Hauptursache für die Alzheimerkrankheit sein.

"In der Krebsforschung hat es auch 40 Jahre lang gedauert."

"Die erste Phase-3-Studie mit einem Anti-Tau-Präparat ist allerdings kürzlich ebenfalls gescheitert", sagt Cummings. Der Wirkstoff, der die Aggregation von Tau verhindern sollte, ist Methylenblau, ein altbekannter Farbstoff, der zur Therapie von Malaria eingesetzt wurde. Auch damit sowie anderen Anti-Tau-Substanzen werden weitere Studien folgen.

Ein anderer Ansatz sind die entzündlichen Prozesse im Gehirn, an denen die Mikrogliazellen beteiligt sind, die wie Immunzellen funktionieren. Cummings könnte sich vorstellen, dass es einmal für ein sehr frühes Stadium einer Alzheimerkrankheit sinnvoll sein könnte, Medikamente gegen Beta-Amyloid einzusetzen. Präparate gegen Tau und entzündliche Prozesse könnten zum Einsatz kommen, sobald erste Symptome wie Vergesslichkeit einsetzen.

Der US-Wissenschaftler appelliert aber auch an die Pharmafirmen, weiterhin Medikamente zu entwickeln, welche die Symptome der Alzheimerkrankheit bekämpfen. Bisher gibt es nur eine Handvoll Substanzen mit nur zwei Wirkmechanismen. Es ist 15 Jahre her, seit das letzte Präparat zur Behandlung der Alzheimerkrankheit zugelassen wurde - "weltweit", betont Cummings; das war das Memantin.

In diesem Jahr könnte ein weiteres hinzukommen. Eine Substanz mit dem sperrigen Namen GV-971 durchläuft derzeit das Zulassungsverfahren in China. Die Firma Green Valley Pharmaceutical aus Shanghai hat Ende des vergangenen Jahres die Ergebnisse einer erfolgreichen Zulassungsstudie an 818 Patienten auf einem Kongress in Barcelona präsentiert. Demnach konnte der Wirkstoff den geistigen Verfall bremsen - zumindest während des Untersuchungszeitraumes von 36 Wochen. Wo die Substanz, ein Vielfachzucker, allerdings im Gehirn ansetzt, wissen die Entwickler nicht. Projektleiter Meiyu Geng vom Shanghai Institute of Materia Medica der chinesischen Wissenschaftsakademie vermutet einen Einfluss auf die "Amyloid-Bildung, die Entzündungsreaktionen im Gehirn und auf die Darmmikroben".

Längst ist klar, dass es nicht eine einzige Substanz oder eine einzige Strategie sein wird, die in Zukunft Alzheimerkranken helfen könnte. Wissenschaftler und Patienten benötigen viel Geduld. Hinzu kommt, dass noch nicht verstanden ist, welche Veränderungen im Gehirn von der Alzheimerkrankheit kommen und welche lediglich normale Alterungsprozesse sind. Dort will Andreas Monsch von der Memory Clinic ansetzen. Sein Team ist dabei, die gesunden Alterungsprozesse zu untersuchen.

"Generell sind die Erfolgsraten von neu zugelassenen Medikamenten bei der Behandlung von Krankheiten des Zentralnervensystems niedriger als bei der Therapie von Herz-Kreislauf- oder Infektionskrankheiten", sagt US-Forscher Cummings. "Aber in der Krebsforschung hat es auch 40 Jahre lang gedauert, bis jetzt neue Medikamente auf den Markt kommen. So weit ist man bei der Alzheimerforschung noch nicht."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4362633
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.