Neurobiologie:Identitätskrise im Kopf

Die Gliazellen übernehmen wichtige Aufgaben im Gehirn. Jetzt zeigt eine Studie, dass sie bei alternden Menschen besondere Prozesse durchlaufen.

Von Kai Kupferschmidt

Wenn das menschliche Gehirn altert, finden die größten Veränderungen in den Gliazellen statt. Diese unterstützen die Nervenzellen. Das berichten britische Forscher im Fachblatt Cell Reports. Jernej Ule, Neurobiologe am University College London, und seine Kollegen hatten Gewebeproben von 134 Menschen verglichen, die zwischen 16 und 102 Jahre alt waren und deren Gehirne nach ihrem Tod aufgehoben wurden. Die Forscher analysierten, welche Gene in zehn verschiedenen Bereichen des Gehirns an- und ausgeschaltet waren. "Die wichtigsten Veränderungen finden offenbar in den Gliazellen statt, besonders in den Gehirnregionen, die bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson geschädigt sind", sagt Ule. Die Ergebnisse legten nahe, dass Gliazellen nicht nur beim Altern genauso wichtig sein könnten wie Nervenzellen, sondern auch bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen.

Die Studie sei ein weiteres Argument dafür, den bisher eher vernachlässigten Gliazellen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, sagt Yuriy Pankratov, Neurowissenschaftler an der Universität Warwick. Hirnforscher interessieren sich meist für Nervenzellen, weil diese Signale weiterleiten und die Grundlage des Denkens bilden. Aber Gliazellen kommen im Gehirn etwa dreimal so häufig vor wie Nervenzellen, und auch wenn ihr griechischer Name wörtlich "Kleber" bedeutet, erfüllen sie eine Reihe weiterer wichtiger Aufgaben: So isolieren sie Nervenzellen, damit elektrische Signale besser weitergeleitet werden, unterstützten deren Stoffwechsel und arbeiten für die Immunabwehr im Gehirn.

Die Forscher um Ule stellten fest, dass sich Gliazellen im jungen Gehirn von Region zu Region im Muster der Gene, die ein- und ausgeschaltet sind, deutlich unterscheiden. Aber je älter das Hirn wird, umso stärker gleichen sich diese Muster. "Die Gliazellen scheinen eine Art Identitätskrise zu haben, wenn wir altern", sagt Ule. Nun gehe es darum, zu verstehen, warum das passiert. "Wir müssen das Zusammenspiel von Glia- und Nervenzellen intensiver untersuchen."

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