Medizin-TÜV:Kämpfer für wissenschaftlich fundierte Heilkunde

Jürgen Windeler dürfte als Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) genauso unbequem für die Pharmabranche werden wie sein Vorgänger Peter Sawicki.

Werner Bartens

Als Freund der Pharmaindustrie kann man Jürgen Windeler wirklich nicht bezeichnen. Wenn der 53-jährige Mediziner wie erwartet am heutigen Dienstag zum obersten Medizinprüfer des Landes bestimmt wird, hat sich eine Befürchtung nicht bewahrheitet: Dass auf den streitbaren und pharmakritischen Peter Sawicki als Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) ein industriefreundlicher Ja-Sager folgt.

Ausgaben fuer Arzneimittel um vier Prozent gestiegen

Eine Positivliste für Medikamente konnte gegen die Wirtschaftsinteressen bislang nicht durchgesetzt werden - weshalb in Deutschland mehr als 50.000 verschiedene Medikamente verschrieben werden können. Von diesen ist die Mehrzahl bestenfalls überflüssig und im schlimmsten Fall von fragwürdiger Sicherheit.

(Foto: ddp)

Wenn Windeler von September an dem Medizin-TÜV vorsteht, wird er dies als streitbarer und pharmakritischer Mediziner tun.

Er wird wohl manchmal etwas leiser auftreten als sein Vorgänger Peter Sawicki, wenn er Gutachten über Nutzen und Schaden medizinischer Innovationen vorstellt, Leitlinien und Behandlungsprogramme bewertet und damit die Grundlage dafür liefert, ob neue Therapien oder Untersuchungen von den Kassen erstattet werden.

In der Sache aber ist Windeler ähnlich unnachgiebig wie Sawicki und ein ebenso hartnäckiger Kämpfer für eine wissenschaftlich fundierte Heilkunde, die vor allem den Patienten im Blick hat. "Sachliche-konfrontative Auseinandersetzungen scheue ich nicht, aber es führt zu nichts, Feindbilder zu pflegen", sagt Windeler.

Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) ist über seinen Staatssekretär Stefan Kapferer im fünfköpfigen Stiftungsvorstand des IQWIG Einfluss an der Besetzung beteiligt.

Den Vorwurf pharmafreundlicher Klientel-Politik kann man dem Minister mit der Personalie Windeler wirklich nicht machen. Für Rösler ist es wichtig, sich in der Sawicki-Nachfolge nicht weitere Kritik einzuhandeln: Seit Beginn der Koalition ist er damit beschäftigt, sich der Attacken von Markus Söder (CSU) zu erwehren, der in jeder Äußerung verrät, dass er sich für den besseren Bundesgesundheitsminister hält.

Gegen die Übermacht einer in Gefälligkeiten verstrickten Medizin

Der in Hildesheim geborene Mediziner, der zunächst eineinhalb Jahre in der Krankenpflege arbeitete, bevor er Medizin studierte, ist eine Idealbesetzung für das IQWIG. Zunächst war er in der Inneren Medizin bei Johannes Köbberling in Wuppertal tätig, dann wendete er sich der Statistik und Epidemiologie zu. Um die dort gewonnenen theoretischen Erkenntnisse in der Praxis zu überprüfen, wechselte er wieder in die Innere Medizin, bevor er sich endgültig auf die Epidemiologie und Biometrie festlegte.

Windeler gehört zu der kleinen aber feinen Schar ausgewiesener Ärzte, die sich - ähnlich wie die Bewohner des bekannten gallischen Dorfes - immer wieder erfolgreich gegen die vermeintliche Übermacht einer in Gefälligkeiten verstrickten Medizin wehren. Windeler steht für eine unabhängige, wissenschaftlich fundierte Medizin. Er hat früh Fortbildungen ohne Pharmaindustrie organisiert.

Sein medizinischer Werdegang ist davon geprägt, sich gegen ärztliche Mythen, Vorurteile und Abhängigkeiten zur Wehr zu setzen. Durch seinen Doktorvater Köbberling hat er gelernt, vermeintlich eherne Lehrsätze zu hinterfragen. In seiner Dissertation entdeckte Windeler, dass der Test auf verdecktes Blut im Stuhl - seit Jahren Standardtest bei Verdacht auf Darmkrebs - Patienten keinerlei Nutzen brachte.

Gegen Aberglaube, Esoterik und Homöopathie

Windeler war entscheidend daran beteiligt, in den 1990er-Jahren eine "Positivliste" zu erarbeiten. Darin sind maximal 1500 Medikamente verzeichnet, die für Praxis und Krankenhaus nützlich und ausreichend sind, um fast alle Patienten zu behandeln. Zwar haben sich alle Gesundheitsminister der vergangenen 20 Jahre die einleuchtende Idee irgendwann zu eigen gemacht.

Doch alle sind daran gescheitert, die Positivliste gegen Wirtschaftsinteressen von Parteifreunden wie -gegnern durchzusetzen, weshalb in Deutschland bis heute mehr als 50.000 verschiedene Medikamente verschrieben werden können, von denen die Mehrzahl bestenfalls überflüssig und im schlimmsten Fall von fragwürdiger Sicherheit ist.

Windeler ist Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, die sich der sinnvollen und wissenschaftlich basierten Therapie verschrieben hat. Ähnlich günstige Voraussetzungen für den Job als neuer Chef des IQWIG, der sich auf permanente Kritik der Arzneimittel- und Medizingerätehersteller gefasst machen muss, bringen wohl nur eine Handvoll Mediziner in Deutschland mit. Windeler gehört auch einer Vereinigung von Skeptikern an, die gegen Aberglaube, Esoterik - und auch Homöopathie - zu Felde zieht, weil sich nichts davon wissenschaftlich beweisen lässt.

Zuletzt war er Leitender Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - weswegen Windelers Berufung vorauseilt, er sei der Kandidat der Krankenkassen, die mit ihm auf einen energischen Sparmeister setzen, der die Kosten im Gesundheitswesen senken hilft. "Das Institut ist ja vor allem dazu da, herauszufinden, was die beste Medizin für die Menschen ist", sagt Windeler. "Wir sind gerade keine Sparkommission."

Zu höflich im Ringen mit den Lobbygruppen

Als methodisches Hilfsmittel hat Windeler schon früh die Evidenzbasierte Medizin (EbM) entdeckt. Das Wortungetüm beschreibt den Versuch, die besten wissenschaftlichen Studien und Beweise heranzuziehen, um eine Therapie oder diagnostische Methode zu beurteilen. Dazu müssen die wenigen methodisch hochwertigen Artikel in dem Wust der Fachliteratur identifiziert und ausgewertet werden. "Kochbuchmedizin" werfen Kritiker den Vertretern der EbM schnell vor, die in den angelsächsischen Ländern weitaus schneller Verbreitung fand als im autoritätsgläubigen Deutschland.

Ein Problem für Windeler könnte sein, dass er zu höflich ist, um sich im Ringen mit den Lobbygruppen in der Medizin mehr Gehör zu verschaffen. Als er in der Talkshow von Johannes B. Kerner 2009 zum Thema Vorsorge diskutierte, hatte Windeler zwar die besseren Argumente, warum viele Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung nichts nützen. Gegen die populistischen Vereinfachungen seiner Gesprächspartner kam er aber nicht an.

"Diese Seite kann ich wohl noch ausbauen", sagt Windeler selbtkritisch. Lernen kann er von David Sackett. Der Oxford-Mediziner gilt als Mitbegründer der Evidenzbasierten Medizin. Für sein Standard-Buch zum Thema ließ er sich auf einem Panzer fotografieren - um ganz ohne Statistik zu zeigen, welch harter Kampf einem Arzt bevorsteht, der sich für die Wahrheit in der Medizin stark machen will.

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