Medizin-TÜV:Gegen Aberglaube, Esoterik und Homöopathie

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Windeler war entscheidend daran beteiligt, in den 1990er-Jahren eine "Positivliste" zu erarbeiten. Darin sind maximal 1500 Medikamente verzeichnet, die für Praxis und Krankenhaus nützlich und ausreichend sind, um fast alle Patienten zu behandeln. Zwar haben sich alle Gesundheitsminister der vergangenen 20 Jahre die einleuchtende Idee irgendwann zu eigen gemacht.

Doch alle sind daran gescheitert, die Positivliste gegen Wirtschaftsinteressen von Parteifreunden wie -gegnern durchzusetzen, weshalb in Deutschland bis heute mehr als 50.000 verschiedene Medikamente verschrieben werden können, von denen die Mehrzahl bestenfalls überflüssig und im schlimmsten Fall von fragwürdiger Sicherheit ist.

Windeler ist Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, die sich der sinnvollen und wissenschaftlich basierten Therapie verschrieben hat. Ähnlich günstige Voraussetzungen für den Job als neuer Chef des IQWIG, der sich auf permanente Kritik der Arzneimittel- und Medizingerätehersteller gefasst machen muss, bringen wohl nur eine Handvoll Mediziner in Deutschland mit. Windeler gehört auch einer Vereinigung von Skeptikern an, die gegen Aberglaube, Esoterik - und auch Homöopathie - zu Felde zieht, weil sich nichts davon wissenschaftlich beweisen lässt.

Zuletzt war er Leitender Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - weswegen Windelers Berufung vorauseilt, er sei der Kandidat der Krankenkassen, die mit ihm auf einen energischen Sparmeister setzen, der die Kosten im Gesundheitswesen senken hilft. "Das Institut ist ja vor allem dazu da, herauszufinden, was die beste Medizin für die Menschen ist", sagt Windeler. "Wir sind gerade keine Sparkommission."

Zu höflich im Ringen mit den Lobbygruppen

Als methodisches Hilfsmittel hat Windeler schon früh die Evidenzbasierte Medizin (EbM) entdeckt. Das Wortungetüm beschreibt den Versuch, die besten wissenschaftlichen Studien und Beweise heranzuziehen, um eine Therapie oder diagnostische Methode zu beurteilen. Dazu müssen die wenigen methodisch hochwertigen Artikel in dem Wust der Fachliteratur identifiziert und ausgewertet werden. "Kochbuchmedizin" werfen Kritiker den Vertretern der EbM schnell vor, die in den angelsächsischen Ländern weitaus schneller Verbreitung fand als im autoritätsgläubigen Deutschland.

Ein Problem für Windeler könnte sein, dass er zu höflich ist, um sich im Ringen mit den Lobbygruppen in der Medizin mehr Gehör zu verschaffen. Als er in der Talkshow von Johannes B. Kerner 2009 zum Thema Vorsorge diskutierte, hatte Windeler zwar die besseren Argumente, warum viele Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung nichts nützen. Gegen die populistischen Vereinfachungen seiner Gesprächspartner kam er aber nicht an.

"Diese Seite kann ich wohl noch ausbauen", sagt Windeler selbtkritisch. Lernen kann er von David Sackett. Der Oxford-Mediziner gilt als Mitbegründer der Evidenzbasierten Medizin. Für sein Standard-Buch zum Thema ließ er sich auf einem Panzer fotografieren - um ganz ohne Statistik zu zeigen, welch harter Kampf einem Arzt bevorsteht, der sich für die Wahrheit in der Medizin stark machen will.

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