Süddeutsche Zeitung

Neue Technologien:Wissen statt glauben

Lesezeit: 3 min

Ob Solarstrom oder Genkartoffel, Innovationen sind nicht prinzipiell gut oder verwerflich. Technikfeindlichkeit ist daher genauso falsch wie unkritische Unterstützung.

Karl-Heinz Büschemann

Wenn es um neue Technologien geht, ist mit den Deutschen nicht zu spaßen. Dann sind sie entweder entschieden dafür oder komplett dagegen. Diese Woche wurde das angestrengte Verhältnis zu Innovationen wieder deutlich. Die Bundesregierung hatte beschlossen, die Milliarden-Subventionen zur Förderung des Solarstroms zu reduzieren.

Sofort brach ein Sturm der Entrüstung los. Verbände schimpfen, Politiker schlagen Alarm. Eine Zukunftstechnik, in der Deutschland eine führende Position hat, werde beschädigt. Arbeitsplätze von morgen gingen verloren, wenn die Bundesregierung die Förderung herunterfahre.

Ebenfalls in dieser Woche: Die EU-Kommission erlaubt dem deutschen Chemie-Konzern BASF den Anbau der mit Hilfe der Gentechnik erzeugten Kartoffelsorte Amflora. Sofort ging auch in diesem Fall ein Aufschrei durch die Nation.

Die manipulierten Gene der Knolle könnten in die Nahrungskette gelangen. Es hagelte Proteste gegen die Entscheidung aus Brüssel. Greenpeace spracht sogar von einer "Katastrophe".

An der Grenze zur Verrücktheit

Auch wenn es so aussehen mag: Es gibt keine nur gute Technologie wie die solare Stromerzeugung, und die Gentechnik ist nicht prinzipiell verwerflich. Auch eine scheinbar segensreiche wissenschaftliche Anstrengung kann negative Folgen haben, eine umstrittene Technologie kann Gutes hervorbringen.

Die Welt der Innovationen ist nicht schwarz oder weiß. Eine prinzipielle Technikfeindlichkeit ist ebenso gefährlich wie die unkritische Bewunderung von neuen Schöpfungen der Ingenieure und Wissenschaftler.

Was soll falsch sein an der staatlichen Förderung einer allgemein für sinnvoll gehaltenen Technik wie der solaren Stromerzeugung? Vieles. Berechnungen sagen, dass jeder Arbeitsplatz in der deutschen Solarindustrie durch erhöhte Strompreise mit 150.000 Euro vom Stromkunden subventioniert wird.

So sieht es das Gesetz über den Vorrang der Erneuerbaren Energien (EEG) vor. Das summiert sich in den nächsten Jahren zu einem Betrag von etwa 75 Milliarden Euro für eine Branche mit heute 60.000 Arbeitsplätzen. Das grenzt an Verrücktheit, und viele Vertreter der Solarbranche geben das selbst zu.

Es ist sicher richtig, einer zukunftsträchtigen Industrie eine Anfangsfinanzierung zu gewähren. Aber über dieses Stadium ist die Solarbranche längst hinaus. Sie braucht keine Förderung mehr und kann sich am Markt allein bewähren.

Verteufelte Technologien

Die Unterstützung sorgt aber dafür, dass Solarunternehmer schöne Extragewinne erzielen und reich werden, ohne Innovationen zu fördern. Sie bürdet dem Stromkunden Lasten auf, die in keinem Verhältnis zum Ertrag stehen.

Die Subvention macht auch keine Jobs sicherer. Sie sorgt aber dafür, dass anderswo Arbeitsplätze gefährdet werden, zum Beispiel im Bau konventioneller Kraftwerke. Aber es macht sich politisch gut, eine von der Bevölkerung als blitzsauber und umweltfreundlich geltende Technik mit Milliarden zu fördern, auch wenn damit Geld verschleudert wird.

Ähnlich negativ ist die Wirkung bei der Verteufelung von Technologie. Die medizinische Gentechnik war in Deutschland lange umstritten. Kritiker attackierten die Manipulation von Erbgut als unerlaubten Eingriff in die göttliche Schöpfung.

Eine Folge war, dass große Teile der pharmazeutischen Forschung aus diesem Land abwanderten, das einst als die Apotheke der Welt galt. Ungezählte Arbeitsplätze gingen an das tolerantere Ausland verloren.

Als die Deutschen ihre Meinung über gentechnisch erzeugte Medikamente wie Insulin oder Anti-Aids-Präparate änderten, war es leider zu spät. Die kollektive Skepsis hat einen ganzen Industriezweig ins Ausland getrieben und der ist nicht zurückzuholen.

Demokratisch entschieden

Es besteht die Gefahr, dass Deutsche und Europäer diesen Fehler bei der "grünen Gentechnik", also in der Landwirtschaft, wiederholen. Längst wird sie in vielen Ländern der Welt angewandt. Das soll aber nicht heißen, dass eine Gesellschaft bestimmte Disziplinen nicht ablehnen darf, die sie für bedrohlich hält.

Die Deutschen haben sich in jahrzehntelangem Streit über die Kernenergie auf den Ausstieg aus der Atomtechnik festgelegt. Das ist in der Demokratie ein starkes Ergebnis, wenn man bedenkt, wie mächtig sich die Lobby dem Widerstand entgegenstellte.

Die Ablehnung der Magnetbahn Transrapid geht in Ordnung, wenn sie von einer Mehrheit in der Bevölkerung getragen wird. Es ist auch legitim, die Gentechnik abzulehnen. Der Gesellschaft muss aber klar sein, dass die Ablehnung einer Technologie einen hohen Preis für sie selbst haben kann.

Deshalb sind Regierungen und Medien gleichermaßen aufgerufen, ihren Beitrag zur Information und Aufklärung der Öffentlichkeit zu leisten. So nahm die Akzeptanz der medizinischen Gentechnik in der Öffentlichkeit seit den neunziger Jahren deutlich zu, nachdem sich die Medien dieses Themas verstärkt angenommen hatten.

Auch der Staat kann manches beitragen. Die Regierung muss die nötigen Genehmigungs- und Testverfahren beschleunigen und verbessern und Vertrauen schaffen, um den Menschen die Beurteilung von Technikfolgen zu erleichtern. Auch das gehört zu einer modernen Industriepolitik.

Das ist wichtiger als die Steuerung der Wirtschaft durch Subventionen. Wo in einer Industrie- und Exportnation neue Arbeitsplätze nicht entstehen, weil vermeintliche Gutmenschen Böses von der Gesellschaft abwenden wollen, stehen die Kritiker in einer ganz besonderen Verantwortung.

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Quelle:
SZ vom 06.03.2010
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