Süddeutsche Zeitung

Neue Insel:Wie Phoenix aus den Fluten

Lesezeit: 5 min

Die Besatzung eines Schiffs glaubte ihren Augen kaum. Mitten im Pazifik erblickte sie auf einmal eine dampfende Vulkan-Insel - und zwar an einer Stelle, wo zuvor keine gewesen war. Ob die Insel erhalten bleibt, müssen Geologen erst untersuchen.

Axel Bojanowski

Man solle nicht an einem Freitag in See stechen, lautet eine alte Seglerweisheit. Der Spruch war das erste, was Kapitän Fredrik Fransson in den Sinn kam, als er sich mit seiner Yacht Maiken am Freitag, den 11. August 2006 mitten im Pazifik in einem kilometerbreiten Teppich schwimmender Bimssteine und Asche gefangen sah.

Das schmierige Zeug verstopfte die Kühlung des Schiffsmotors, der deshalb zu überhitzen drohte. Noch dazu herrschte Flaute, Fransson und seine Crew wären zum Stillstand gezwungen gewesen. Gerade noch rechtzeitig gelang es den Seglern, in der Abenddämmerung dem Geröllteppich zu entkommen. Am nächsten Morgen entdeckten sie die Quelle des Unbills: eine dampfende Vulkaninsel. Und zwar an einer Stelle, wo zuvor keine war.

Die Insel musste sich soeben aus dem Meer erhoben haben, erkannte Fransson, denn in der Seekarte war sie nicht verzeichnet. Bis auf zweieinhalb Kilometer hätten sie sich der etwa zwei Kilometer breiten Insel genähert, berichtet Fransson. Aus einem von vier Gipfeln umgebenen Krater schossen Asche und Gestein.

Erst jetzt, nachdem das Abenteuer der schwedischen Segler bekannt wurde, bestätigen Wissenschaftler, dass im Südpazifik nahe Tonga und rund 2000 Kilometer nordöstlich Neuseelands tatsächlich eine neue Insel entstanden ist. Auch Fischer haben das Eiland inzwischen gesichtet. Ob sie sich wie ihre Nachbarinseln zu einem Tropenparadies entwickelt und besiedelt werden kann, ist allerdings ungewiss.

"Home Reef"

Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa hat unterdessen Satellitenbilder der Insel veröffentlicht. Die Hoffnung der Segler, als Entdecker die Insel taufen zu dürfen, erfüllte sich nicht - sie hatte bereits einen Namen. Dieser lautet "Home Reef", sagt der Geologe Richard Wunderman vom Fachdienst Bulletin of the Global Volcanism Network.

Der Vulkan habe sich nämlich bereits 1984 und 2004 über die Meeresoberfläche erhoben, war jedoch beide Male nach einigen Monaten von den Fluten wieder abgetragen und verschluckt worden. Doch vielleicht überlebt die Insel diesmal. Vielleicht ist ihr Bestehen diesmal von Dauer. Tonga jedenfalls könnte Neuland gut gebrauchen.

Zwar umfasst das Königreich 169 Inseln, doch sie verfügen zusammen nur über die Fläche Hamburgs - wenig für einen Staat, der zu einem Drittel von der Landwirtschaft lebt. Auch als Touristenattraktion käme eine neue Insel gerade recht. Tonga erfreut sich mit seinen weißen Stränden und tropischem Klima wachsender Beliebtheit.

Untermeerische Vulkane

Alle Tonga-Inseln verdanken ihr Dasein dem Vulkanismus: Unter dem Südpazifik ruckelt die Pazifische Erdplatte mit drei Millimetern pro Woche unter die Indisch-Australische Platte, wobei regelmäßig die Erde bebt. Die Nahtzone markiert der knapp elf Kilometer tiefe Tongagraben.

Die mit Meerwasser durchtränkte Pazifische Platte wird in der Tiefe unter hohem Druck ausgequetscht und verliert dabei ihr Wasser, es quillt empor und bringt das darüber liegende rund 1000 Grad heiße Gestein zum Schmelzen. Die zähflüssige Masse ist leichter als das umliegende Gestein und steigt auf - untermeerische Vulkane entstehen. Allein im Pazifik gibt es mehr als eine Million davon.

Wenige dieser Berge wachsen über die Wasseroberfläche, so dass Inseln entstehen. Doch der Hawaii-Vulkan Mauna Kea zum Beispiel ist vom Meeresgrund aus gerechnet mit 10.205 Metern der höchste Berg der Welt, er ragt 4200 Meter über den Meeresspiegel.

Auch die Kanaren und Island sind Vulkaninseln. Das Tonga-Archipel indes ist meist niedriger als 1000 Meter. Sie erheben sich auf der Kante des Tonga-Grabens, der im Osten der Inselkette steiler und siebenmal tiefer abfällt als der Grand Canyon.

Vergebliche Suche neuer Inseln

Das Ende der meisten jungen Vulkaninseln ist meist besiegelt, sobald die vulkanische Aktivität nachlässt. Der Magma-Nachschub bricht ab, und die Insel wird vom Ozean ausgewaschen. Unter Wasser wachsen auf den runden Vulkanen dann häufig Korallen. Wie weiße Kronen leuchten diese Atolle im Meer.

Viele Seefahrergeschichten berichten davon, wie Segler zu neu entdeckten Inseln aufbrachen und sie vergeblich suchten. Manches Eiland wurde gar voreilig als Militärstützpunkt in Besitz genommen.

Im Sommer 1831 etwa hisste der italienische König Ferdinand II. die Flagge seines Landes auf einer Insel, die sich im Juni des Jahres im Mittelmeer zwischen Afrika und Sizilien erhoben hatte. Doch nur ein halbes Jahr später war Graham Island mitsamt der Nationalflagge versunken. Heute liegt sie 20 Meter unter der Wasseroberfläche.

Manche Insel jedoch hält sich, so dass sie besiedelt wird. Am 14. November 1963 entdeckte die Besatzung eines Fischkutters 35 Kilometer vor der Südküste Islands einen Glut und Asche speienden Vulkan. Am nächsten Morgen war eine kleine Insel entstanden, die Surtsey getauft wurde.

Leben erobert steriles Land

Surtsey wurde zum wissenschaftlichen Sperrgebiet. Forscher erkundeten, wie das Leben steriles Land erobert. So erlaubt Surtsey den Blick in eine mögliche Zukunft von Tongas neuer Insel.

Sollte Home Reef Bestand haben, wird sich ihr Boden demnach in wenigen Jahren verfestigt haben. Die Zementierung von Vulkanasche dauert gerade mal 15 und nicht - wie vor der Erforschung Surtseys vermutet - viele hundert Jahre. Auch die weiteren Erkenntnisse auf Surtsey überraschten die Wissenschaftler.

Nicht Pflanzen siedelten sich zuerst an, sondern Fleischfresser: Spinnen gelangten auf Treibholz zur Insel - und ihre Nahrung, Insekten, ebenfalls. Manche Insekten kamen im Wasser von Island, sie überlebten eine zweiwöchige Reise durch die Fluten. Bevor einfache Pflanzen wie Moose wuchsen, keimte die Salzmiere. Auch ihr Samen trieb im Wasser.

Einen Schub lösten die Möwen aus, die sich in den achtziger Jahren eingenistet hatten. Ihre Exkremente düngten den Boden. Zudem brachten sie im Gefieder Bodentiere und Pflanzensamen mit. In den neunziger Jahren wurden die ersten Regenwürmer und Schnecken gefunden. Dreiviertel der Pflanzen gelangten mit den Vögeln auf die Insel. So wandelt sich Surtsey nun langsam zu einer grünen Insel.

Keine Pläne für die Insel

Auch Home Reef könnte zum grünen Paradies werden, freilich mit tropischer Vegetation. Doch noch hält sich in Tonga die Freude über den Landzuwachs in Grenzen. Meldungen über etwaige Pläne für die Insel gibt es nicht. Der Grund für die Zurückhaltung ist wohl, dass in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehrfach neue Inseln nach kurzer Zeit wieder im Meer verschwanden.

1865 entdeckten europäische Seefahrer die 150 Meter hohe und drei Kilometer breite Falcon-Insel (heute Fonuafo'ou genannt), die seither jedoch immer wieder in den Fluten untertaucht. Und nahe Home Reef brach 1995 für kurze Zeit die Insel Metis Shoal aus dem Meer hervor.

Auch der Home Reef-Vulkan sorgte 1984 mit einer zwölf Kilometer hohen Rauchsäule für Aufsehen. Wochen nach dem Ausbruch, der den Berg kurzfristig über die Wasseroberfläche hob, fanden Fischer in 3000 Kilometer Entfernung einen Bimssteinteppich des Vulkans.

Insel ohne Bestand

Doch aller Dynamik zum Trotz werde Home Reef vermutlich keinen Bestand haben, erklärt der örtliche Geologe David Tappin. Der Vulkanismus in Tonga habe sich geändert, weshalb es neue Inseln schwer hätten, zu überdauern.

Vor Jahrmillionen sei mehr Lava als heute und statt dessen weniger Asche und Gestein an die Oberfläche gelangt. Lava festigt die Inseln, während das so genannte pyroklastische Material, das heute gefördert werde, leicht verwittert. Möglicherweise fördere Home Reef demnächst wieder mehr Lava, meint Tappin.

Auch Kapitän Fredrik Fransson sieht die Entwicklung seiner Insel gelassen. Er genießt sein Segel-Abenteuer. "Denn", sagt er, "wer entdeckt schon heute noch eine Insel?"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.913477
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.11.2006
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.