Süddeutsche Zeitung

Neu entdeckt:Fluss der Fülle

Spektakulärer Erstkontakt: Forscher entdecken mehr als tausend neue Tier- und Pflanzenarten am Mekong in Südostasien - einige auf dem Markt oder im Restaurant.

Jan Wehberg

Es lag zwischen dem Gemüse auf einem Marktstand in Laos, aber es war ein Tier. Eines, dass Robert Timmins noch nie zuvor gesehen hatte, obwohl er Zoologe ist. Es sieht aus wie ein Hörnchen, hat aber einen langen Schnurrbart, viel zu kurze, dicke Beine und einen zu großen Kopf. Knapp 30 Zentimeter lang, mit schwarz-grauem Fell und bereit, gekauft, gegrillt und gegessen zu werden. "Ich wusste sofort, dass es etwas Aufregendes ist", sagt der Forscher.Foto: WWF (Felsenratte) Text: Jan Wehberg

Und er sollte Recht behalten, schließlich hatte er es mit einem Kha-Nyou zu tun, der bei Wissenschaftlern unbekannten Laotischen Felsenratte, einem entfernten Verwandten der Stachelschweine. Allerdings war Timmins nicht überrascht, ein so seltsames Tier auf einem Jägermarkt zu entdecken. Vielmehr war er auf der Suche nach ihnen. Wo ließe sich besser nach unbekannten Arten stöbern als hier? Und so durchstreifte der Zoologe an diesem frühen Morgen den Markt, "um nach ungewöhnlichen Tieren zu schauen".Foto: WWF (Grüne Grubenotter) Text: Jan Wehberg

Den Wildtierexperten zieht es häufig in die Gegend des Mekong, nach Thailand, Myanmar, Vietnam, Laos, Kambodscha oder China. Im unteren Einzugsgebiet des mehr als 4000 Kilometer langen Flusses mit seinen unzähligen großen und kleinen Zuflüssen hat sich ein wahrer "Hotspot der Biodiversität" entwickelt, sagt Timmins. Unzählige Tier- und Pflanzenarten sind hier zu finden.Foto: WWF (Ruderfrosch) Text: Jan Wehberg

Der World Wide Fund For Nature (WWF) berichtet in seinem soeben publizierten Report "First Contact in the Greater Mekong", dass zwischen 1997 und 2007 Wissenschaftler etwa tausend neue Arten entdeckt haben. Eine davon ist die Laotische Felsenratte, die Timmins auf dem Markt entdeckte. Es ist der einzige Vertreter einer Tierfamilie, die seit elf Millionen Jahren als ausgestorben gilt. Eine zoologische Sensation. Es ist das erste Mal seit über 30 Jahren, dass eine Tierfamilie neu- bezeihungsweise wiederentdeckt wurde. 2006 gelang es schließlich einem Kollegen von Timmins, das Tier in freier Wildbahn zu fangen. Ein possierliches Wesen, das sehr zutraulich ist.Foto: WWF (bisher unbekannte Froschart) Text: Jan Wehberg

Ungewöhnlich ist aber auch schon die Entdeckung von 15 noch unbekannten Säugetierarten. "Bisher gingen wir davon aus, dass ein solch unglaubliches Maß an Neuentdeckungen nicht mehr möglich ist. Die Biodiversität der Region ist enorm", sagt Stuart Chapman, WWF-Direktor des Greater Mekong Programms.Ein hochgiftiger pinkfarbener Tausendfüßler, der auf Kalkfelsen lebt, oder eine neue giftgrüne Grubenotter, die in den Dachsparren eines Restaurants entdeckt wurde: Die Fülle der Tierarten, die sich in den undurchdringlichen Wäldern so lange vor den Zoologen dieser Welt verborgen hat, ist schier verblüffend.Foto: WWF (Drachentausendfüßer) Text: Jan Wehberg

Besonders eindrucksvoll ist die größte Jagdspinne der Welt: die Riesenkrabbenspinne Heteropoda maxima, die Peter Jäger vom Senckenberg-Institut in Frankfurt am Main in den Kalksteinhöhlen von Laos entdeckt hat. Sie hat eine Beinspannweite von 30 Zentimetern und ist eine von 88 neuen Spinnenarten, die im unteren Mekonggebiet leben.Foto: WWF (Laotische Riesenkrabbenspinne) Text: Jan Wehberg

Insgesamt führt der WWF-Report 1068 neue Arten auf. Neben den 15 Säugern und 88 Spinnen sind es 279 Fische, 91Amphibien (davon 88 Frösche), 72Reptilien (davon 22 Schlangen) und vier Vögel. Außerdem haben die Forscher noch 519Pflanzenarten aufgelistet, die in den vergangenen zehn Jahren erstmalig beschrieben wurden. Darunter sogar neue Baumarten, wie die in Vietnam entdeckte Goldene Zypresse Xanthocyparis vietnamensis. Die nur 560 Exemplare treten auf den Kalksteinfelsen nahe der chinesischen Grenze in einem Areal von gerade einmal zehn Quadratkilometern auf.Foto: WWF Text: Jan Wehberg

"Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, in dem Gebiet unterwegs zu sein. Man kann ein bisschen nachempfinden, wie sich die Forscher und Entdecker des 19.Jahrhunderts gefühlt haben müssen", sagt Petr Obrdlik, WWF-Referent für die Greater Mekong-Region. Der Report lässt keine Zweifel aufkommen, dass es sich um eine der reichsten und wertvollsten Habitate auf der Erde handelt. Das bestätigt auch der Entdecker der Laotischen Felsenratte Robert Timmins. So ein Fund sei außergewöhnlich in der heutigen Zeit; es könnte die letzte Säugetierfamilie sein, die noch unentdeckt war, erklärt er.Foto: WWF (Blüte einer Schamblume) Text: Jan Wehberg(sueddeutsche.de/agfa)

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