Psychologie:Die Monotonie des Guten

Psychologie: Der immer gleiche Smiley, Unglück hat vielfältigere Gesichter.

Der immer gleiche Smiley, Unglück hat vielfältigere Gesichter.

(Foto: Johannes Simon)

Glückliche Menschen ähneln einander stärker als unglückliche. Generell gleichen sich positive Phänomene mehr als negative.

Von Sebastian Herrmann

Auf der Sonnenseite des Lebens tummeln sich stets die gleichen Gestalten. Da reicht doch ein Blick auf die Schönen, Reichen, Glücklichen bei Instagram, um auf diesen Trichter zu kommen. In den gleichen Posen stehen dort die vom Zufall geküssten Menschen vor den immer gleichen Statussymbolen herum, zeigen das gleiche Lächeln und sind einander zum Verwechseln ähnlich.

Wo das grelle Licht des Glücks hinfällt, gibt es wenig Schatten und kaum Kontraste. Das literarische Zitat zu diesem eben formulierten Vorteil hat der russische Schriftsteller Leo Tolstoi mit seinem Eröffnungssatz der "Anna Karenina" geliefert: "Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise", schrieb er da. Und offenbar traf er den Nagel genau auf den Kopf: Psychologen haben sich seither mit der in dieser Aussage schlummernden Frage beschäftigt und sind dabei immer wieder zu dem Ergebnis gelangt, dass das Schlechte mehr Facetten hat als das Gute.

Gerade haben Rumen Iliev vom Toyota Research Institute in Los Altos, USA, und Will Bennis von der Wirtschaftsuniversität Prag eine Studie veröffentlicht, die der Forschungsliteratur zu diesem Phänomen ein weiteres Kapitel hinzufügt. Glückliche, gesunde und wohlhabende Menschen gleichen einander demnach in zahlreichen Parametern - zum Beispiel Persönlichkeit und Wertvorstellungen - stärker als weniger vom Leben verwöhnte Personen. Das berichten die Forscher in einer auf dem Pre-Print-Server PsyArXiv publizierten Arbeit, die bislang noch nicht von anderen Wissenschaftlern begutachtet worden ist.

Iliev und Bennis werteten für ihre Arbeit mehrere große Datensätze aus. Darunter die australischen Hilda-Studie, für die zwischen 2001 und 2016 mehr als 17 000 Teilnehmer regelmäßig befragt wurden. Für den Datensatz wurden auch die Big-Five-Persönlichkeitsmerkmale der Probanden abgefragt, das vermutlich gängigste Messinstrument für die Persönlichkeit. Außerdem wurden für die Studie Gesundheit sowie Zufriedenheit der Teilnehmer ermittelt. Zudem analysierten Iliev und Bennis einen Teil des World Values Survey, für den mehr als 89 000 Teilnehmer aus 60 Ländern binnen mehrerer Jahre Auskunft zu ähnlichen Parametern gegeben hatten. In beiden Datensätzen glichen sich die Ergebnisse in den Big-Five-Persönlichkeitsanalysen umso stärker, je weiter die betreffenden Personen auf der Sonnenseite des Lebens standen. Auch in kognitiven Tests erzielten diese Menschen in beiden Studien Ergebnisse, die sich stärker ähnelten als jene der Probanden, die es schwerer im Leben hatten.

Für die größere Vielfalt und die stärkere Wirkung des Negativen haben Psychologen in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Belege gefunden. So erinnern sich Menschen zum Beispiel besser an schlechte Ereignisse. Sie erkennen Wörter mit finsterer Bedeutung schneller, von denen es in den meisten Sprachen auch noch mehr gibt: Der vom Schlechten besetzte semantische Raum dehnt sich weiter aus als der vom Guten reklamierte. Die Beschreibung negativer Emotionen greift zum Beispiel auf einen größeren Wortschatz zurück als die glücklicher Zustände. Stärker beachtet werden schlechte Nachrichten sowieso. Und schließlich wecken verwerfliche Taten ein stärkeres Bedürfnis danach, Ursache und Täter zu benennen - was schnell in einer Illusion von Kausalität mündet.

Offenbar also, so schlussfolgern Iliev und Bennis, hat Leo Tolstoi in seinem großen ersten Satz der "Anna Karenina" eine Wahrheit ausgesprochen. Bleibt die Frage, warum das Schlechte denn vielfältiger ist? Darüber lässt sich nur spekulieren. Vermutlich, so eine Idee, provozieren negative Ereignisse einen größeren Druck, sie zu verstehen und analysieren - um sie künftig vermeiden zu können.

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