Archäologie:Neandertaler gingen auf Fischfang

Archäologie: Bei den Bewohnern dieser Höhle an der portugiesischen Küste stand öfters Fisch auf dem Speiseplan.

Bei den Bewohnern dieser Höhle an der portugiesischen Küste stand öfters Fisch auf dem Speiseplan.

(Foto: Zilhao/Science)
  • Neue Funde aus Portugal zeigen, dass sich der Neandertaler vielfältiger ernährt und dabei mehr Fisch zu sich genommen hat, als bislang angenommen.
  • Diese Erkenntnis macht die These womöglich hinfällig, das Gehirn des Neandertalers hätte sich aufgrund seiner Ernährung schlechter entwickelt als das von Homo sapiens.

Von Niccolò Schmitter

Der Wirbel eines Delfins, die Gliedmaßen einer Robbe, Überbleibsel von Schalentieren und Fischen: Was Forscher in einer Höhle an der Küste von Arrábida, rund 30 Kilometer südlich von Lissabon fanden, war mehr als ein urzeitlicher Tierfriedhof. An den Funden lässt sich der Speiseplan der Neandertaler ablesen, die in der Region lebten. Der Homo neanderthalensis, versehen mit Keule, Speer - und Angel?

Dass unsere Verwandten damals tatsächlich eine Rute benutzt haben, ist eher unwahrscheinlich. Doch dass Neandertaler das Meer als Nahrungsquelle nutzten, zeigen die Funde eindeutig, wie ein Forscherteam um den Paläoanthropologen João Zilhão in der Fachzeitschrift Science berichtet. "Wie hoch das Ausmaß war, in dem schon vor 80 000 bis 100 000 Jahren im europäischen Raum Meeresfrüchte konsumiert wurden, ist eine komplett neue Erkenntnis", sagt Dirk Hoffmann vom Göttinger Institut für Isotopengeologie. Der Umfang war demnach vergleichbar mit dem Fischkonsum des modernen Menschen in der Mittelsteinzeit, die vor rund 12 000 Jahren begann. Die Überreste in der Höhle von Figueira Brava sind laut Hoffmann zwischen 86 000 und 106 000 Jahre alt - und können daher nicht vom Homo sapiens stammen, der erst vor ungefähr 40 000 Jahren nach Europa übersiedelte.

Muscheln, Vögel, Pinienkerne: Der Speiseplan des Urmenschen war ausgewogener als gedacht

Der Neandertaler kannte also das Meer und machte es sich nutzbar. Er sammelte Schalen- und Krustentiere, wusste folglich die Gezeiten einzuschätzen. Der Konsum von Muscheln deutet zudem darauf hin, dass ihm die Eigenheiten der Jahreszeiten bekannt waren. Von Ende Frühling bis Herbst ist das Risiko, entlang der portugiesischen Küste eine giftige Muschel zu verzehren, sehr hoch. Also reservierte sich der Neandertaler diese Delikatesse offenbar für die Winterzeit. Allerdings ernährten sich die Neandertaler der Region bei Weitem nicht nur von Meerestieren. In Figueira Brava fanden die Forscher auch Überreste von Rehen, Füchsen oder Vögeln. Sogar der Konsum von Pinienkernen konnte nachgewiesen werden.

Ausstellung 'Schädel - Ikone. Mythos. Kult.'

Forscher sehen in der Ernährung des Homo Sapiens einen wichtigen Faktor für die Entwicklung seines Gehirns.

(Foto: dpa)

Der Speiseplan des Neandertalers war demnach ausgewogener als bisher angenommen. Das hat weitreichende Implikationen. Bislang vertraten Anthropologen vor allem die These, dass der Konsum von Fisch und Meeresfrüchten ein Alleinstellungsmerkmal des modernen Menschen sei. Denn tierische Nahrung aus dem Meer, reich an Omega-3-Fettsäuren, steigere die Entwicklung von Hirngewebe. Dies habe unserer Spezies einen Vorteil hinsichtlich der kognitiven Fähigkeiten verliehen und den Aufbau einer Kultur ermöglicht. "Diese These ist nun hinfällig", sagt Hoffmann.

Falls der Fisch auf dem Speiseplan tatsächlich die Entwicklung des Gehirns des modernen Menschen befördert hat, dann gilt das wohl auch für den Neandertaler - der zudem gar nicht so plump war wie lange angenommen. Denn die Erkenntnisse aus der Höhle fügen sich nahtlos in andere Funde aus den vergangenen Jahren ein. So wurde unseren Verwandten bereits nachgewiesen, dass sie Höhlenmalereien anfertigten und Schmuck herstellten; sogar Steinkreise sollen sie angelegt haben. Die neue Studie liefert laut Hoffmann einen "weiteren sehr wichtigen Baustein in der Einordnung der Fähigkeiten der Neandertaler". Sie verleiht Forschern wie Zilhão Auftrieb, die meinen: Unser Cousin stand uns kognitiv in nichts nach.

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Neandertaler Illustration vom WISSEN
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