Zoologie:Wie Tiere navigieren

Ameisen, Delfine, Zebras: Tiere nutzen ganz unterschiedliche Methoden, um sich zu orientieren. Manche sind bis heute ein Geheimnis.

Text: Katrin Blawat, Illustrationen: Sylvia Neuner

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Schrittzähler in der Wüste

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Quelle: SZ

Wer schon Probleme hat, sich einen Kirchturm zu merken, sollte kurz mal an die Wüstenameise denken. Das Insekt muss sich anders als die meisten Menschen in einem deutlich schwierigeren Terrain zurechtfinden: in der Eintönigkeit der Wüste. Dort gibt es so gut wie nichts, was den Ameisen den Weg weisen könnte. Umso mehr Respekt gebührt ihnen dafür, dass sie trotzdem zuverlässig die kürzeste Route zurück zum Nest finden. Dazu verfügen die Tiere über gleich zwei körpereigene Navigationshilfen, die unabhängig voneinander arbeiten. Das eine ist der Schrittintegrator. Dahinter verbirgt sich die beeindruckende Fähigkeit, die Länge der Schritte mit deren Anzahl zu verrechnen und daraus die zurückgelegte Entfernung zu bestimmen. Ob außer der Distanz auch die Richtung passt, erkennen die Ameisen anhand des Polarisationsmusters des Sonnenlichts. Das zweite Hilfssystem besteht in der Messung des sogenannten optischen Flusses. Vereinfacht gesagt, merken sich die Insekten dabei, wie die Landschaft während der Fortbewegung an ihnen vorbeizieht. Dabei ist - anders als für den Schrittintegrator - egal, ob die Tiere selbst laufen oder von anderen Ameisen getragen werden. Vergessen sollte man bei Ameisen nicht, dass die Orientierungsfähigkeit regelmäßig über Leben und Tod entscheidet. Müssten sie dauernd Umwege über den heißen Saharaboden nehmen, würde das schnell an den Lebenskräften der Ameisen zehren. Diese Dringlichkeit erklärt auch, warum sich bei den Insekten gleich zwei Orientierungsmechanismen entwickelt haben - es lohnt sich für sie.

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Das 250-Kilometer-Gedächtnis

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Quelle: SZ

Wenn der Regen einsetzt, wird es für die Zebras in Botswana Zeit aufzubrechen. Bis zu 250 Kilometer legen sie zurück auf ihrem Weg in Gebiete, in denen noch genug Gras wächst. Am Ende der Regenzeit machen sie sich wieder auf den Rückweg. Wie sie ihren Weg finden, das wissen Forscher noch gar nicht so lange. Doch Computersimulationen haben die Frage inzwischen gelöst. Demnach lassen sich die Zebras vorwiegend von ihrer Erinnerung leiten. Ob dabei auch eine genetische Komponente eine wichtige Rolle spielt, ist noch unklar. Um die Navigationskünste der Herdentiere zu entschlüsseln, verglichen Forscher die während der Wanderungen gesammelten GPS-Daten von sieben Zebras mit Routen, die virtuelle Tiere in Computersimulationen wählten. In den Simulationen gab es zwei Gruppen. Die eine hatte einprogrammierte "Erinnerungen" an frühere Routen und deren Zielpunkte. Die andere Gruppe orientierte sich nur an der stetig grüner werdenden Landschaft. Schließlich erschien auch das als eine sinnvolle Strategie für Pflanzenfresser auf Futtersuche. Doch wählte diese zweite Gruppe in der Simulation einen deutlich anderen Weg, als es die echten Zebras getan hatten. Die Route der virtuellen Erinnerungs-Gruppe hingegen stimmte weitgehend mit den GPS-Daten der echten Tiere überein. Demnach setzen Zebras also vor allem auf Routenwissen, um zu ihren Futterplätzen zu gelangen. Doch so beeindruckend es klingt, sich in der Wildnis eine Strecke von 250 Kilometern merken zu können, so kritisch kann dies für die Tiere werden. Weil sie sich stur nach ihrer Erinnerung richten, können ihnen Umweltveränderungen wie eine neu gebaute Straße schnell zum Verhängnis werden. Da geht es dem Zebra nicht anders als dem Menschen: Es kann riskant sein, allein auf Routenwissen zu setzen.

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Ein Rätsel, das bleibt

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Quelle: SZ

Für viele Menschen sind Tauben ein Faszinosum. Selbst nach langen Strecken finden sie problemlos nach Hause zurück - nur wie, das weiß niemand so genau. Selbst Wissenschaftler streiten sich seit Jahrzehnten mit einer bizarren Vehemenz über das Geheimnis der Tauben. Die einen sagen: Tauben wissen, wie ihre Heimat riecht, und orientieren sich im Flug so, dass die vertrauten Gerüche immer intensiver werden. Als ihr stärkstes Argument führen die Vertreter dieser Auffassung an, dass Tauben orientierungslos werden, wenn man ihnen die Nase zuklebt. Das beraube sie ihres körpereigenen Navis. Alles Unsinn, entgegnet die andere Fraktion, die derartige Ergebnisse nicht replizieren konnte. Ihrer Meinung nach navigierten Tauben mithilfe des Magnetfelds der Erde, wie es auch von vielen anderen Tieren bekannt ist. Allerdings ist bislang nicht geklärt, wo bei Tauben die Sinneszellen für die Wahrnehmung des Erdmagnetfelds sitzen könnten. Lange Zeit galt der Schnabel als heißer Kandidat dafür, doch das hat sich mittlerweile als Irrtum herausgestellt. Um den Streit zu schlichten, hatten die Vertreter beider Lager schon vor 40 Jahren einen höchst verdienstvollen Plan: Sie wollten gemeinsame Experimente durchführen und die Daten zusammen auswerten und interpretieren. Die Forscher sind aber schnell wieder von ihrem vereinten Weg abgekommen. Die Studie wurde mit zwei einander widersprechenden Interpretationen publiziert. Vielleicht, so geben nun einige Forscher zu bedenken, orientiert sich einfach nicht jede Taube auf die gleiche Weise. Dann hätten die Vögel die Wissenschaft jahrzehntelang in die Irre geführt.

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Augen auf beim Schwänzellauf

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Auf ihrer Suche nach Nektar, Pollen und Wasser, oder wenn das Volk umziehen und einen neuen Platz finden muss, schwärmen Bienen weit aus. Damit stehen sie vor zwei Herausforderungen: Sie sollten möglichst ohne Umwege zu ihrem Stock zurückfinden. Und dort wollen ihre Mitbewohner dann wissen: Wo warst du? Wo sollten wir selbst hinfliegen? Für den Heimweg zum Stock orientieren sich Bienen am Sonnenstand, an der Schwingungsebene von polarisiertem Licht und an auffälligen Landschaftsmerkmalen wie einem Berg. Außerdem registrieren sie schon auf dem Hinflug die zurückgelegte Distanz. Zurück im Stock, erleichtern die Pionier-Bienen ihren Artgenossen mithilfe eines Tanzes die Navigation zu ergiebigen Futterquellen. Für Entfernungen bis etwa 100 Meter dient der Rundtanz. Er enthält eine grobe Information über die Distanz zur Futterquelle, aber nicht über deren Richtung. Anders der Schwänzeltanz, der lohnenswerte Ziele in weiterer Entfernung anzeigt. Er dauert länger, wenn die Futterquelle weiter entfernt liegt. In welche Richtung sie fliegen müssen, lesen die Tiere im Stock aus dem Winkel ab, den die tanzende Biene während des sogenannten Schwänzellaufs relativ zum Sonnenstand einnimmt. Haben sie mithilfe der Tanz-Informationen die ungefähre Position des Futters erfahren, orientieren sich die Insekten in unmittelbarer Nähe des Ziels mitunter wohl auch anhand des Blütendufts. Doch selbst dieses ausgeklügelte Navigationssystem ist nicht unfehlbar. So stehen Pestizide im Verdacht, die Tiere zu desorientieren. Das könnte dann auch den Weg zurück zum Bienenstock erschweren.

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Ultraschall mit Tücken

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Delfine und Orcas haben - ebenso wie die anderen Zahnwale - unter den Meeresbewohnern einen ganz eigenen Weg gefunden, sich zu orientieren. Sie nutzen Ultraschallwellen, genauer gesagt, deren Reflexionen. Die Meeressäuger produzieren dafür kurze Klicklaute, die für menschliche Ohren kaum wahrnehmbar sind. Aus einem einfachen Grund: die Frequenzen dieser Geräusche liegen meist zu hoch. Wie das Klicken genau entsteht, ist allerdings nicht ganz sicher. Beteiligt sein könnten die Nasengänge, der Kehlkopf und die Schädelknochen. Zur Orientierungshilfe werden die Ultraschallwellen, wenn sie auf ein Hindernis stoßen und von dort zurückgeworfen werden. Die Wale hören diese Reflextionen und können aus ihnen ableiten, wo sich zum Beispiel ein Fischschwarm als Futter befindet oder ein Hindernis. Nur unfehlbar ist auch dieses körpereigene Navi nicht. Die Schnüre von Fischernetzen sind zum Beispiel so dünn, dass sie häufig durch das Ultraschall-Warnsystem durchrutschen. Und wenn es unter Wasser wegen Schiffsmotoren laut wird, können die Wale die zurückgeworfenen Schallwellen nicht mehr hören. Außer den Klicklauten nutzen Zahnwale auch das Magnetfeld der Erde, um sich auf längeren Wanderungen etwa zu Futterplätzen leiten zu lassen. So zumindest interpretieren Forscher die Beobachtung, dass Wale häufig parallel zu den Magnetfeldlinien schwimmen. Manchmal allerdings bringt dies Wale in eine ähnliche Situation wie Menschen, die blind ihrem Navi vertrauen und auf dessen Rat hin gutgläubig immer weiter in den Wald hineinfahren. Genauso scheinen sich Wale gelegentlich an Magnetfeldlinien zu orientieren, die sie gefährlich dicht ans Ufer heranführen. Anders als bei verirrten Menschen kommt für sie dann oft jede Rettung zu spät. Ein Wal, der sich verschwommen hat und strandet, überlebt diesen Navigationsfehler oft nicht.

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Auf die Gene ist Verlass

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Wenn der Monarchfalter im Nordosten der USA oder in Kanada aufbricht, liegt sein Ziel weit im Süden, in den Bergregionen Mexikos. Bis zu 4000 Kilometer gilt es für die orange-schwarz gefärbten Schmetterlinge zu überwinden. Dass sie dabei nicht die Orientierung verlieren, ist nicht nur wegen der großen Entfernung erstaunlich, sondern auch wegen der Generationswechsel im Laufe des Jahres. Die Schmetterlinge, die dieses Jahr im Herbst in Mexiko ankommen, werden die Urgroßeltern jener Monarchfalter sein, die dort im nächsten Jahr eintreffen. Erfahrung kann es also nicht sein, die die Insekten an ihr Ziel bringt. Vielmehr ist die Route wohl in ihr Erbgut einprogrammiert - nur wie genau, darüber rätseln Forscher noch immer. Einen Anhaltspunkt für die Orientierung könnte die Temperatur sein. Obwohl sie im Winter in den Süden fliegen, herrscht in den Bergen von Mexiko eine frostige Kälte. Diese niedrigen Temperaturen im Wintergebiet brauchen die Schmetterlinge jedoch als Anreiz, sich anschließend wieder nach Norden zu orientieren. Artgenossen, die in einem Experiment von Wissenschaftlern auch im Winter künstlich warm gehalten wurden, drängte es hingegen immer weiter in Richtung Süden. Als weitere Navigationshilfe nutzen Monarchfalter offenbar sowohl das Erdmagnetfeld als auch den Sonnenstand. Bei letzterem berücksichtigen die Schmetterlinge sogar Zeitverschiebungen. Das haben Experimente gezeigt, bei denen die Insekten einer künstlichen Zeitverschiebung ausgesetzt waren - und sich prompt verflogen.

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Der Alleskönner

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Von Mitteleuropa bis ins südliche Afrika ist es ein langer Weg - erst recht, wenn man selbst nur zehn Gramm auf die Waage bringt. Da heißt es, sorgfältig mit den Energiereserven haushalten - und sie möglichst nicht in Umwege zu investieren. Zumal vor allem die kleinen Singvögel ihre Reise oft alleine antreten und niemanden nach dem Weg fragen können. Um das Ziel nicht zu verpassen, nutzt der Teichrohrsänger deshalb, wie andere Zugvögel auch, ein ganzes Bündel an Navigationshilfen. Zum Teil ist das Wissen um die richtige Flugroute in seinem Erbgut verankert, etwa, wie lange Hin- und Rückflug dauern und in welche Himmelsrichtung sie fliegen sollten. Doch für die Feinabstimmung braucht es zusätzliche Hinweise. So helfen dem Teichrohrsänger bei klarem Himmel nachts die Position der Sterne und tagsüber der Sonnenstand, um Norden und Süden zu bestimmen. Zudem orientiert er sich an Landmarken wie Gebirgen oder Flüssen. Solche Landmarken nehmen Zugvögel vermutlich nicht nur optisch, sondern auch über den Geruchssinn wahr, schließlich riecht ein Nadelwald anders als ein Seengebiet. Auch Erfahrung lässt Zugvögel zu Meistern der Orientierung werden, denn sie merken sich Auffälligkeiten entlang ihrer Strecke. Darüber hinaus orientieren sich der Teichrohrsänger und andere Zugvögel am Magnetfeld der Erde. Sie besitzen eine Art inneren Kompass, der ihnen unabhängig vom Sonnenstand anzeigt, wo Norden liegt. Kann den Teichrohrsänger also überhaupt nichts vom richtigen Weg abbringen? Dort, wo er sich einigermaßen gut auskennt, lässt er sich tatsächlich kaum irritieren. Doch in unbekanntem Gelände kann sich auch der Teichrohrsänger verfliegen.

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Die Rasse klingt für Laien befremdlich: Ein Schweißhund - was soll das sein? Schweiß nennt der Jäger das Blut, das angeschossene Tiere verlieren. Den Geruch dieses Blutes nimmt der Schweißhund auf und findet so das verwundete Wild. Damit sind Schweißhunde ein Beispiel für die Fähigkeiten des Hundes, seinen Weg mithilfe des Geruchssinns zu finden. Die Tiere folgen der steigenden Konzentration jener Geruchsmoleküle, auf die sie zu achten gelernt haben. Das kann außer Blut auch alles andere sein, etwa die Duftspur eines vermissten Menschen oder die von Rauschgift. Am leichtesten fällt Hunden die olfaktorische Orientierung, wenn sie über eine anständig ausgebildete Nase verfügen, wie zum Beispiel viele Jagdhunde oder der Deutsche Schäferhund. Ihre Riechschleimhaut wäre in voll ausgebreitetem Zustand bis zu 200 Quadratzentimeter groß - der Mensch bringt es dagegen nur auf fünf. Um auch bei einem zügigen Lauf nicht die Fährte zu verlieren, können Hunde sehr schnell atmen und bis zu 300 Mal pro Minute Luft holen. Auch die Richtung, aus der ein Geruch stammt, können die Tiere identifizieren und so ermitteln, wohin sie laufen müssen. Ist die Nase eines Hundes rassebedingt jedoch stark verkürzt wie beim Mops oder Boxer, so funktioniert damit auch sein Riech-Navi nur noch eingeschränkt. Verlaufen werden sich solche Hunde zwar nicht, doch ein wenig orientierungs-behindert sind sie schon im Vergleich zu ihren langnasigen Artgenossen.

Hunde sind allerdings nicht die einzigen Tiere, die ihren Weg dank guter Riechfähigkeiten finden und damit auch dem Menschen dienen können. Elefanten und Schweine zum Beispiel kämen als Spürtiere theoretisch ebenfalls infrage - nur eignen sie sich aus anderen Gründen weniger gut als Haus- und Diensttiere.

© SZ vom 17./18. November 2018/beu
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