Naturschutzreservate:Wo die wilden Tiere wohnen

Auf der Welt gibt es zahlreiche Naturschutzreservate. Doch sie liegen oft nicht dort, wo die meisten Arten leben, sondern an Orten, die für den Menschen günstig sind.

Tim Schröder

Sie ist klein und unscheinbar. Sie stürzt sich auf alles, was sich bewegt, Gnus, Menschen und sogar Geländewagen. Die Tsetse-Fliege ist eine Plage, ihr Stich schmerzhaft. Und manchmal ist ihr Angriff tödlich, denn mit ihrem Speichel fließen Krankheitserreger in den Körper des Opfers, die Rinder, Schafe und Pferde töten und beim Menschen die Schlafkrankheit auslösen.

Pelikan, Getty

Unterwegs: Ein Pelikan fliegt über ein Naturschutzgebiet in Nord-Israel.

(Foto: Foto: Getty)

Die Tsetse-Fliege ist in Afrika zu Hause, und wer wissen will, wo sie sich besonders wohl fühlt, der braucht sich bloß eine Karte des Kontinents zu greifen und nach den Flecken zu suchen, wo sich heute die großen Nationalparks befinden.

Die Savannen Afrikas gehören zum angestammten Revier der blutsaugenden Fliege. Es ist kaum verwunderlich, dass die Menschen früher wenig Interesse daran hatten, gerade hier Rinder oder Schafe weiden zu lassen. Manche Gebiete mied man und erklärte sie irgendwann zum Nationalpark. Der Schutz der Tiere und Pflanzen war fast nie der Grund, irgendwo ein Naturreservat festzulegen.

Oft entstanden diese Schutzzonen auch dort, wo die Hautevolee der Kolonialzeit auf Großwildjagd ging oder wo der Ausblick besonders schön war. So stehen heute zwar gut elf Prozent der weltweiten Landmasse unter Schutz, doch viele dieser Gebiete liegen gar nicht dort, wo die meisten oder seltensten Arten leben.

Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler, den globalen Öko-Flickenteppich zurechtzurücken. Sie untersuchen, wo wie viele Arten leben, welche Regionen als Lebensraum besonders wertvoll sind und welche dieser Areale bis heute ungeschützt sind. Sie füttern Computer mit Daten, die Pflanzen- und Tierkundler bei Freilanduntersuchungen gesammelt haben.

Jens Mutke, Botaniker am Nees-Institut der Universität Bonn, ist einer von ihnen. Er hat Pflanzen auf den Hochplateaus der Anden und im Regenwald Westafrikas bestimmt. Vor allem aber hat er mit Kollegen Daten Hunderter Wissenschaftler zusammengetragen. Zehn Jahre lang haben afrikanische und europäische Forscher die Biodiversität des Kontinents im internationalen Biota-Africa-Projekt studiert, das in diesem Jahr zu Ende geht.

Neue Gebiete am richtigen Ort

Mutke, der Bonner Forscher Wolfgang Küper und der Botaniker Neil Burgess vom World Wide Fund for Nature haben die Pflanzen-Daten mit statistischen Programmen ausgewertet. Rund acht Prozent der Fläche südlich der Sahara stehen demnach heute unter Schutz. Hier leben etwa 48 Prozent aller seltenen afrikanischen Pflanzenarten. Würde man die Schutzgebiete verschieben, ließen sich auf einer Fläche der gleichen Größe ganze 81 Prozent dieser Pflanzen schützen.

Noch drastischer sind die Ergebnisse, wenn man Pflanzen- und Tierarten zugleich durchrechnet. Demnach leben heute auf 30 Prozent des Gebiets südlich der Sahara 100 Prozent aller afrikanischen Tier- und Pflanzenarten. Wählte man die im Sinne der Biodiversität optimalen Areale aus, könnte man auf nur einem Prozent der Landfläche bereits 50 Prozent aller Arten schützen.

"Das bedeutet aber nicht, dass die etablierten Naturschutzgebiete überflüssig sind", sagt Küper. Die bestehenden Flächen reichten kaum aus, um die Lebewesen zu schützen. "Das Ziel muss es sein, neue Gebiete am richtigen Ort zu etablieren, vor weiterer Zerstörung durch intensive Landwirtschaft oder Abholzung zu schützen und isolierte Areale zu einem Schutzgebietsnetzwerk zu verknüpfen."

Carsten Rahbek hat ähnliche Berechnungen für Amphibien, Vögel und weitere Tiergruppen gemacht. "Die ostafrikanischen Savannen sind für Safaris gut, aber sie allein reichen nicht, um die Biodiversität des Kontinents zu schützen.", sagt der Zoologe von der Universität Kopenhagen. Mindestens genauso wichtig und noch deutlich artenreicher sei der ostafrikanische Bogen in Tansania, sagt Rahbek, eine dicht bewaldete Bergkette.

In den Bergregionen leben allerdings nicht nur zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, sondern auch viele Menschen. Die Wälder bieten Früchte, Schutz und Holz als Baumaterial. Zudem war das Klima dort - anders als in den Tiefebenen - über Jahrtausende relativ stabil.

Manche Gebiete könnten Arten verlieren - doch dafür könnten woanderes neue entstehen. Welche Gegenden betroffen sind, lesen Sie auf Seite 2.

"Schwarzmalen ist nicht angebracht"

Doch wo Menschen siedeln, leidet oft die Natur. Zum Biota-Africa-Projekt gehört deshalb nicht nur die gemeinsame Forschung der afrikanischen und deutschen Wissenschaftler, sondern auch eine Schulungskampagne. In vielen Kursen wurden Einheimische aus mehreren Orten zu "Paraökologen" ausgebildet, Umweltsachverständigen.

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(Foto: SZ-Graphik: Beck, Mainka, Quellen: Conservation International, UNEP, ECMC)

Artenvielfalt in den Anden

In den Dörfern haben sie Gärten angelegt, in denen heimische bedrohte Pflanzen gedeihen. In den Schulen klären sie über den Sinn des Naturschutzes auf. Die Weltbank und andere Organisationen unterstützen die Schutzprojekte finanziell.

Nicht nur in Afrika bedarf es neuer Naturschutzgebiete am richtigen Ort. Ein internationales Forscherteam um die Wissenschaftlerin Ana Rodrigues von der US-Naturschutzorganisation Conservation International stellte bereits vor einigen Jahren bei einer weltweiten Analyse fest, dass auch in Amerika, Asien, Ozeanien und Australien viele Arten durch das Schutzgebietsraster fallen.

Von 11.633 untersuchten Tierarten betraf das jede achte, von den besonders bedrohten Arten gar jede fünfte. Zwar ist die Zahl der untersuchten Spezies klein im Vergleich mit der Vielfalt der globalen Flora und Fauna, doch hält Jens Mutke Untersuchungen wie diese für aussagekräftig. "Wir kennen die Zentren hoher oder einzigartiger Biodiversität und wir wissen, welche Gebiete schützenswert sind."

Den Rekord an Artenvielfalt hält die Andenregion. Unweit der ecuadorianischen Hauptstadt Quito liegt zum Beispiel ein kleiner Nationalpark, in dem etwa 800 Vogelarten leben. Ganz Europa bringt es auf nur 500 Spezies. Vor wenigen Wochen ist Jens Mutke mit einer Delegation von Umweltwissenschaftlern auf Einladung des Bundesforschungsministeriums nach Bogota in Kolumbien gereist, um die gemeinsame Umweltforschung zu intensivieren.

Mutke besuchte Biologen von der kolumbianischen National-Universität, die mit Hilfe von genetischen Merkmalen Arten genau bestimmen und so ihre Verbreitung in den Anden und in der Amazonasregion erfassen. Damit lässt sich unter anderem feststellen, ob Spezies nur in kleinen Gebieten heimisch sind und damit weltweit einzigartige Vorkommen bilden.

"Solche endemischen Arten müssen direkt vor Ort geschützt werden", sagt Mutke, "auch das ist ein Kriterium für die Neupositionierung von Schutzgebieten." Denn es sei überflüssig, wenn beispielsweise mehrere afrikanische Nachbarländer ihren besonders wertvollen nationalen Bergwald mit dem stets gleichen Arteninventar schützten, darüber aber andere Lebensräume vernachlässigten.

Die großen zusammenhängenden Waldgebiete der Erde wiederum, die Amurregion in Russland, das Amazonasgebiet in Südamerika oder das Kongobecken in Afrika, sind so riesig, dass sie kaum in Gänze zum Schutzgebiet erklärt werden können. Zu groß ist der Druck durch Holzeinschlag und Landwirtschaft. Naturschutzverbände ziehen daher dem ohnehin kaum durchsetzbaren totalen Schutz zum Teil eine schonende Waldnutzung vor.

Verlust und Gewinn

Sollte es tatsächlich gelingen, weltweit neue Naturreservate am richtigen Ort zu etablieren, dann müssen die Forscher derzeit auch den Klimawandel im Blick haben. Es besteht die Gefahr, dass sich heute bedeutsame Naturgebiete durch die globale Erwärmung in eher unwirtliche Lebensräume verwandeln.

Der Botaniker Jan Henning Sommer, einer von Mutkes Mitarbeitern aus Bonn, hat vor wenigen Wochen eine Studie abgeschlossen, die zeigt, dass viele Gebiete in den wärmeren Regionen der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts trockener werden. Pflanzen könnten dadurch ihren Lebensraum verlieren.

In den derzeit noch kühleren Regionen des Globus könnte hingegen die Artenvielfalt zunehmen. Optimistische Ergebnisse liefert eine Analyse der wichtigsten afrikanischen Vogelgebiete, die Carsten Rahbek soeben veröffentlicht hat. Zwar werden bis zum Jahr 2085 aus knapp der Hälfte aller Gebiete Vogelarten abwandern.

Etwa 90 Prozent der Emigranten aber könnten an anderer Stelle in Afrika wieder heimisch werden, weil sich für sie dort die Lebensbedingungen verbessern. "Im Grunde wissen wir noch viel zu wenig über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme der Erde. Aber diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Schwarzmalen allein kaum angebracht ist", sagt Rahbeck.

Die Computererfassung der Tiere und Pflanzen auf der ganzen Welt bietet jedoch die Diskussionsgrundlage, um den Schutz bislang missachteter Lebensräume anzugehen.

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