Naturschutz:"Der Feldhamster ist kein Baustopper"

Beate Jessel, neue Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, über gefährdete Arten, verhinderte Bauten und widerspenstige Bären.

Wolfgang Roth

Die gebürtige Stuttgarterin Beate Jessel, zuletzt Professorin für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der Technischen Universität in München, ist seit dem 2. November neue Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz. Sie folgt Hartmut Vogtmann nach, der das Bundesamt seit 1999 geleitet hatte.

Naturschutz: Der Feldhamster gilt als Baustopper.

Der Feldhamster gilt als Baustopper.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Sie stehen nun der höchste Fachbehörde für Naturschutz vor, sind also quasi auch die Patronin aller kleinen und großen Tiere. Ihr Amtssitz ist Bonn, in jenem Land, wo der Feldhamster vor der jüngsten Landtagswahl als Saboteur wichtiger Projekte am Pranger stand. Nun machen sich manche Leute darüber lustig, dass sich eine Fledermaus, die Hufeisennase, einer Elbebrücke in den Weg stellt. Was sagen Sie den Leuten, die das unverhältnismäßig finden?

Jessel: Ich sage: Glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung steht. Denn es ist leider so, dass viele Projektträger und auch manche Politiker den Naturschutz, der bei der Genehmigung von Projekten rechtzeitig zu beachten ist, nicht hinreichend ernstnehmen.

Wenn dann die Entscheidung ansteht, wird versucht, durch die Kollision von Bau- und Naturschutzinteressen mit einer unsachlichen Argumentation den gesetzlichen Auftrag des Naturschutzes zu diskreditieren und damit zu überwinden.

Nicht der Feldhamster oder die kleine Hufeisennase sind die Baustopper, sondern unprofessionelle Planer und Bauträger, die ihre gesetzlichen Hausaufgaben und Prüfaufträge nicht erfüllen.

SZ: Hat das System? Wie muss ein regelgerechtes Verfahren ablaufen, damit es nicht so oft ein spätes Erwachen gibt?

Jessel: In der Planung und vor Baubeginn muss geprüft werden, ob geschützte Pflanzen, Tiere und Lebensräume zerstört werden. Wenn ja, dann müssen Planer, Bauträger und Naturschutzfachleute gemeinsam nach Alternativen suchen. Im Übrigen sind von 24 Bauvorhaben, bei denen der Feldhamster bundesweit zwischen 1998 und 2005 eine Rolle spielte, 23 Vorhaben mit Auflagen gebaut worden. Nur der Bau eines Golfplatzes in Hessen wurde auch effektiv gestoppt - und hier lässt sich spekulieren, ob denn Golfplätze bundesweit eine Rarität darstellen.

SZ: Das heißt, da herrscht ein schiefes Bild in der Bevölkerung?

Jessel: Es wird selektiv wahrgenommen beziehungsweise, wenn ich mal auf die Waldschlösschenbrücke in Dresden zu sprechen komme: Es ist ja nicht so, dass man hier die Hufeisennase, eine niedliche, nur sieben Zentimeter große Fledermaus, jetzt erst aus dem Ärmel gezaubert hätte, nachdem alle anderen Bestrebungen gescheitert sind, dieses durchaus umstrittene Vorhaben zu stoppen. Die Fehler wurden eben schon im Vorfeld der Planung gemacht.

SZ: Letztlich ist es doch eine Frage der Güterabwägung: In solchen Projekten steckt viel Geld.

Jessel: Es ist in der Tat eine Güterabwägung. Aber wenn man sich den gesamten Zustand der Arten und Lebensräume in Deutschland und auch weltweit anschaut, dann gibt es da schon bedenkliche Zahlen. In diesem Jahr ist die Rote Liste zu den Lebensräumen erschienen, danach sind 72 Prozent der Lebensraumtypen gefährdet oder sogar akut von der Vernichtung bedroht.

Von den 14.000 Pflanzenarten, die bewertet wurden, stehen rund 40 Prozent auf der Roten Liste. Wichtig ist, dass wir dabei erkennen, dass einzelne Arten auch für ein Gefüge im Ökosystem stehen, für einen Zusammenhang von Lebensräumen in der Landschaft und für das, was wir mit der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes bezeichnen. Sie stehen damit letztlich auch für unsere eigenen Lebensgrundlagen.

SZ: Braucht die Natur einen monetären Wert, um in einer Welt, in der alles in Gold aufgewogen wird, als gewichtiger Faktor wahrgenommen zu werden?

Jessel: Es gibt mittlerweile durchaus anerkannte Verfahren und Methoden, um den monetären Wert auch von Arten und Ökosystemen zu bestimmen - als ständige Dienstleistung an die Gesellschaft. Ich denke zum Beispiel an Flussauen, die Lebensräume sind für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die aber auch eine ganz wichtige Funktion haben, die Stoffeinträge, die aus der Landwirtschaft und von den Siedlungen kommen, herauszufiltern, und das zum Teil besser tun als Kläranlagen.

Die Kosten, die man sich dadurch erspart, die kann man beziffern. Aber lassen wir uns nicht darauf ein, den Wert der Natur nur ökonomisch zu sehen. Den Zugang zu den Menschen, den finden wir vor allem über die psychologische, die emotionale Schiene. Und da spielt das Thema Schönheit, Ästhetik, gerade auch von Landschaften, eine ganz wichtige Rolle. Wo fahren wir denn hin, wenn wir uns erholen wollen?

SZ: Wer weiß, wo sich kommende Generationen erholen wollen?

"Der Feldhamster ist kein Baustopper"

Jessel: Das ist ein wichtiger Punkt, Hans Jonas hat das als Prinzip der Verantwortung für künftige Generationen formuliert. Auch unsere Kinder sollten weiterhin wissen:

Naturschutz: Beate Jessel ist die neue Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz.

Beate Jessel ist die neue Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz.

(Foto: Foto: dpa)

Wie stellt sich ein frei mäandrierender Fluss dar gegenüber den heutzutage ziemlich stark verbauten Gewässern oder wie sieht denn ein "Urwald" aus gegenüber einem intensiv genutzten Forst? Das sind einfach grundlegende Erfahrungsmöglichkeiten, und wir sind in der Pflicht, sie unseren Nachkommen zu erhalten.

SZ: Was können Sie dazu beitragen? Ihr Bundesamt gibt in zahlreichen Genehmigungsverfahren seine Stellungnahme ab, aber können Sie letztlich etwas verhindern?

Jessel: Ja geht es denn immer nur um Verhinderung?

SZ: Wenn es sein muss.

Jessel: Das ist genau das, was man dem Naturschutz immer pauschal vorwirft, und ich möchte betonen, wir sehen uns primär eben nicht als Verhinderer. Es geht erst einmal darum, Projekte und Planungen zu optimieren, das heißt, zu Lösungen zu kommen, mit denen nach einer auch für die Landschaft, für den Naturschutz, für die Tier- und Pflanzenwelt bestmöglichen Lösung gesucht wird, und zwar bereits im Vorfeld.

Wenn es dann tatsächlich einmal zu sehr starken Konflikten kommt - denken Sie an das eine von den 24 Vorhaben, wo der Hamster eine Rolle gespielt hat - dann kann es natürlich durchaus einmal sein, dass man sagen muss, nein, also hier jetzt bitte nicht. Aber das ist der Ausnahmefall.

SZ: Sind die Pläne der bayerischen Staatsregierung zum Ausbau der Donau so ein Ausnahmefall? Die Variante mit Staustufe?

Jessel: Es gab bereits im März 2002 eine Bundestagsentscheidung, wonach nur flussbauliche Maßnahmen in Betracht kommen. In dieser Form ist der Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen ja auch ein Jahr später in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden und nochmals vom Bundestag gebilligt worden.

Von daher ist die Entschlusslage auf Bundesseite eindeutig. Auch wenn man wirtschaftliche Erwägungen in Betracht zieht, zum Beispiel die Unterhaltungs-, die Bau- und Folgekosten, ist das die günstigste Variante. Staustufenbau bedeutet hingegen irreversible Schädigungen der Auenökosysteme, der Auwälder zum Beispiel.

Es bedeutet auch erhebliche Veränderungen im Wasserstand der Donau und im Grundwasserstand bis hin nach Straubing und würde unter Umständen den Bau weiterer Staustufen nach sich ziehen.

"Der Feldhamster ist kein Baustopper"

SZ: Bleiben wir in Bayern, aber zurück zu den kleinen und großen Tieren: Im vergangenen Jahr gab es hier spezielle Jagdszenen. Hätten Sie einen Abschussbefehl für den Bären Bruno gegeben, wenn Sie Umweltministerin in Bayern gewesen wären?

Jessel: Mir persönlich war Bruno als Nomade, der zwischen den Ländern interkulturell umhergewandert ist, durchaus sympathisch. Es müssen aber auch die Panik und die Befürchtungen verstanden werden, die in Teilen der Bevölkerung herrschten, die aber von politischer Seite her durchaus noch gefördert wurden. Was angesagter gewesen wäre, wäre mehr Aufklärungsarbeit, mehr Information der Öffentlichkeit, das wären aber auch vorausschauend entwickelte Vorstellungen zu einem aktiven Management, wie man mit solchen Bären umgeht, wenn sie über die Grenze kommen.

SZ: Deutschland und der Bär - gibt es eine Neuansetzung des Rührstücks?

Jessel: Brunos Mutter hat ja inzwischen wieder potentiell renitenten Nachwuchs in die Welt gesetzt. Der nächste Bruno oder die nächste Brunhilde kommt bestimmt über die Grenze. Aber einmal abgesehen von den kleinen oder großen Tieren: Das Bundesamt muss darüber hinaus immer wieder deutlich machen, dass Naturschutz eben nicht nur Artenschutz ist, sondern in Zukunft wichtige Beiträge zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen leistet.

SZ: Können Sie das konkretisieren?

Jessel: Ich denke etwa an das Thema demographischer Wandel, das uns hier in Süddeutschland, im Münchner Raum, vielleicht noch nicht so präsent ist, das aber gerade in den neuen Bundesländern, auch in Teilen Nordbayerns, durchaus schon eine wichtige Rolle spielt - Abwanderungsprozesse, Bevölkerungsrückgang verbunden mit mangelnder Auslastung der Infrastruktur, zum Teil sogar Rückbau. Das Ganze hat natürlich auch Auswirkungen auf das gewohnte Bild unserer Landschaften, und es wird darum gehen, künftig Schwerpunkte zu setzen: Wo wollen wir die Mittel zum Erhalt und zur Pflege von Kulturlandschaften hinlenken?

SZ: Welche neuen Schwerpunkte fordert uns künftig die Erderwärmung ab?

Jessel: Der Klimawandel wird ganz wesentliche Auswirkungen haben, und es wird ein wichtiger Beitrag des Naturschutzes sein, entsprechende Anpassungsstrategien zu entwickeln. Dabei werden wir wahrscheinlich nicht mehr jede einzelne Art bildlich gesprochen schützen können, indem wir einen Zaun um sie errichten, sondern es wird darum gehen, wie wir unsere Landschaften für wandernde Organismen durchlässig halten, um ihnen entsprechende Rückzugsmöglichkeiten zu geben.

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