Süddeutsche Zeitung

Naturkatastrophe vor 1450 Jahren:Tsunami am Genfer See

Historischen Berichten zufolge überschwemmte im Jahr 563 eine bis zu 13 Meter hohe Flutwelle die Ufer des Genfer Sees. Sie vernichtete ganze Dörfer, überwand die Stadtmauer von Genf und tötete selbst dort noch etliche Menschen. Schweizer Wissenschaftler haben nun herausgefunden, was den Tsunami damals auslöste. Die Katastrophe könnte sich wiederholen, warnen sie.

Eine verheerende Flutwelle hat im 6. Jahrhundert schwere Zerstörungen am Ufer des Genfer Sees angerichtet. Ein Tsunami überschwemmte die bereits damals dichtbevölkerten Ufer, vernichtete ganze Dörfer und erreichte in kurzer Zeit die Stadt Genf selbst. Dort zerstörte er eine Brücke sowie einige Mühlen und tötete in der Innenstadt etliche Menschen. Die französischen Bischöfe Grégoire de Tours und Marius d'Avenches hatten über das Ereignis aus dem Jahre 563 berichtet, das zu ihen Lebzeiten stattgefunden hatte.

Schweizer Wissenschaftler haben am Grund des Sees nun Spuren entdeckt, die die Katastrophe bestätigen. Ihre Funde decken sich mit den historischen Berichten. Dank der Spuren konnten die Wissenschaftler nun den Ablauf der Ereignisse rekonstruieren.

Auslöser der verheerenden Monsterwelle war demnach der Abrutsch eines Steilhangs am Rhône-Ufer am Ostende des Sees. Das wiederum brachte die Wassermassen im See derart in Bewegung, dass knapp 70 Minuten später in Genf, am anderen Ende des Sees, eine acht Meter hohe Welle über die Stadtmauern schwappte.

Es sei nicht unwahrscheinlich, dass derartige Ereignisse auch in Zukunft auftreten, warnen Katrina Kremer von der Universität Genf und ihre Kollegen im Fachblatt Nature Geoscience (doi: 10.1038/ngeo1618).

Den historischen Quellen zufolge kam es im Jahr 563 zu einem verheerenden Bergsturz, auch bekannt als Tauredunum-Ereignis. Das geschah etwa an der Stelle, an der die Rhône in den Genfer See fließt - also dort, wo auch die Geologen die Ursache der Flutwelle vermuten. Der Steinschlag allein reichte den Berichten zufolge bereits aus, um mehrere Dörfer komplett zu zerstören, wobei viele Menschen ihr Leben verloren. Noch mehr Zerstörung richtete allerdings der nachfolgende Tsunami an.

Auf der Suche nach Spuren, die dieses verheerende Ereignis hinterlassen haben könnte, untersuchten Kremer und ihre Kollegen nun den Seeboden an seiner tiefsten Stelle mit künstlich erzeugten seismischen Wellen. Dabei fanden sie eine ausgedehnte, linsenförmige Ablagerung mit einer Länge von etwa zehn und einer Breite von fünf Kilometern.

Im Durchschnitt hat sie eine Stärke von fünf Metern, wobei die dickste Stelle im Südosten, in Richtung des Rhône-Deltas, liegt. Die Untersuchung von Bohrkernen aus dem betreffenden Gebiet zeigte dann: Der Aufbau der Ablagerung ist typisch für sogenannte Turbidite, Gesteinsformen, die durch die plötzliche Bewegung großer Schlammströme entstehen.

Simulation am Computer

Mit Hilfe einer Computersimulation rekonstruierten sie die wahrscheinliche Abfolge der Ereignisse. Demnach stürzte das Gestein am Rhône-Ufer auf ein Gebiet mit sehr weichem Erdreich, das sofort nachgab und in den Fluss rutschte. Dabei entstand ein Schlammstrom, der sich auf den See zubewegte und dessen Wassermassen verschob. Nur 15 Minuten später erreichte dann eine Welle von 13 Metern Höhe die Stadt Lausanne, nach 70 Minuten war Genf erreicht.

Mit der Radiokarbonmethode, mit der das Alter organischer Bestandteile solcher Sedimente bestimmt werden kann, gelang es den die Forschern auch, den Zeitpunkt der Ablagerung einzugrenzen: Sie muss sich zwischen 381 und 612 nach Christus gebildet haben.

Da es aus diesem Zeitraum keine anderen Berichte über Bergrutsche oder Tsunamis gebe, sei es wahrscheinlich, dass die Ablagerungen wirklich dem Tauredunum-Ereignis zuzuordnen sind, schlussfolgern die Wissenschaftler.

Ihre Ergebnisse zeigten, dass nicht nur Städte an Meeresküsten, sondern auch dichtbesiedelte Seeufer durch Tsunamis gefährdet seien, betonen die Forscher - ein Risiko, das chronisch unterschätzt werde.

Da der Auslöser des damaligen Steinschlags ebenso gut ein leichtes Erdbeben wie ein starker Platzregen gewesen sein könnte, sei es nicht unwahrscheinlich, dass er sich wiederhole. Die Folgen wären heute allerdings ungleich schwerwiegender als im 6. Jahrhundert: Insgesamt leben an den Ufern des Sees mehr als eine Million Menschen. In Genf selbst würde eine Acht-Meter-Welle die komplette Innenstadt überschwemmen.

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