Nationalsozialismus:Deutsche Genetiker trifft "schwere Schuld"

Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik hat erstmals öffentlich die Verantwortung deutscher Wissenschaftler für den Massenmord an behinderten Menschen im Nationalsozialismus eingeräumt.

Deutsche Humangenetiker waren mitverantwotlich für den Massenmord an behinderten Menschen im Nationalsozialismus. Wie die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik jetzt öffentlich einräumte, haben ihre damaligen Fachkollegen damit "schwere Schuld" auf sich geladen.

75 Jahre nach der Verkündung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" am 14. Juli 1933 sprach die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik erstmals von einer maßgeblichen Beteiligung deutscher Ärzte und Wissenschaftler an den menschenverachtenden Paragrafen.

Diese seien sowohl an der Vorbereitung und pseudowissenschaftlichen Begründung als auch an den grausamen Zwangsmaßnahmen, die das Gesetz auslöste, beteiligt gewesen. Die Humangenetiker hätten damals ihre wissenschaftliche Autorität missbraucht.

Das Gesetz sei die Grundlage für eine systematische und gewalttätige Missachtung fundamentaler Menschenrechte gewesen: Nach 1933 wurden zunächst vermutlich 400.000 Menschen durch Zwangssterilisationen verstümmelt. Einige tausend starben an den Folgen dieser Operationen. Am Ende mündete die staatlich gesteuerte Entrechtung behinderter Menschen im Massenmord der sogenannten Euthanasieprogramme.

"Das Verhalten der Humangenetiker ist umso unverständlicher, als auch beim damaligen Kenntnisstand der Genetik die biologische Unsinnigkeit der Eugenik offenkundig war", erklärte die Gesellschaft. Das Gesetz sei damit auch ein historisches Dokument des Versagens von Wissenschaftlern.

"Im Bewusstsein ihrer historischen Verantwortung bekennen sich die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik zu ihrer Verpflichtung, ... für den Respekt vor allen Menschen in ihrer natürlichen genetischen Verschiedenheit einzutreten. Dies bedeutet insbesondere eine Absage an jede Form der Diskriminierung aufgrund ethnischer Merkmale oder aufgrund von genetisch bedingter Krankheit oder Behinderung", heißt es in ihrer Stellungnahme.

Die Erklärung wurde auf dem Internationalen Kongress für Genetik in Berlin veröffentlicht, der erstmals seit mehr als 80 Jahren in Deutschland tagt. Rund 2000 Wissenschaftler aus aller Welt werden bis Donnerstag die neuesten Entwicklungen der Vererbungslehre bei Menschen, Tieren und Pflanzen diskutieren.

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