Für Parnia, den Leiter der Studie, sind diese Befunde Anlass für den großen Rundumschlag. "Gegenläufig zur allgemeinen Einschätzung ist der Tod kein spezifischer Moment, sondern ein potenziell reversibler Prozess, der einsetzt, wenn Herz, Lunge und Gehirn in Folge schwerer Krankheiten und Unfälle die Funktion einstellen." Mit Hilfe der aktuellen Untersuchung lasse sich "objektiv feststellen, was tatsächlich passiert, wenn wir sterben". Schließlich habe der 57-Jährige während der Wiederbelebung zweimal Pieptöne gehört, die nur im Abstand von drei Minuten erklungen sind. "Normalerweise beginnt das Gehirn 20 bis 30 Sekunden nach Aussetzen des Herzschlages damit, seine Funktion einzustellen", sagt Parnia. "In diesem Fall müssen sich Wahrnehmung und Bewusstsein mindestens über drei Minuten erstreckt haben, ohne dass sein Herz schlug."
Neurowissenschaftler sehen indes eine Vielzahl anderer Erklärungen dafür, wenn Menschen ungewöhnliche Erlebnisse berichten, nachdem sie fast gestorben wären. Das Gehirn biete in letzter Not nochmals ein Feuerwerk neuronaler Entladungen auf und dazu gehörten eben auch Spezialeffekte inklusive Lichtblitzen und akustischen Halluzinationen. Bei Herzstillstand und Sauerstoffmangel könnten zudem die körpereigenen Schmerzmittel und Euphoriedrogen (Endorphine) der Wahrnehmung manchen Streich spielen, der im Nachhinein zu eigenartigen Erlebnissen verdichtet wird.
Psychiater und Psychologen wissen zudem, dass nach einem so einschneidenden Erlebnis häufig eine posttraumatische Belastungsstörung die Folge ist. Die beängstigende, lebensbedrohliche Situation werde dann im Nachhinein in ein angenehmeres Erlebnis umgedeutet, und ein selektives Gedächtnis hilft, manche Unannehmlichkeit zu vergessen. "Wir sollten die Studie als Anlass sehen, genauer zu erforschen, was während des Sterbens tatsächlich vor sich geht", sagt Jerry Nolan, Herausgeber der Fachzeitschrift Resuscitation.
Die Aussicht auf ein finales Licht-Wärme-Bad im goldenen Strahlenkranz spendet Trost
Der niederländische Kardiologe und Sterbensforscher Pim van Lommel hat ausführlich beschrieben, dass Erlebnisse, wie sie im Zuge einer Nahtoderfahrung geschildert werden, auch während schwerer Krankheiten wie Epilepsie und Depressionen auftreten können, die nicht lebensbedrohlich sind; zudem auch im Rahmen von Meditationen, unter Drogeneinfluss, bei Astronauten im Zentrifugaltraining und während akuter Bedrohungen. Aber auch er ist überzeugt, dass "Menschen ein klares Bewusstsein erfahren können, selbst wenn das Gehirn nachweislich nicht mehr funktioniert - das ist eine Erkenntnis, die uns zwingt, über Leben und Tod neu nachzudenken".
Wenn es tatsächlich ein Bewusstsein außerhalb des Körpers geben sollte, wie manche Autoren behaupten, stellt sich allerdings die Frage, warum nur so wenige Teilnehmer der Studie in diesen Genuss kamen. Nicht zu unterschätzen in der Beschwörung von Nahtoderlebnissen ist wohl auch das verständliche Bedürfnis vieler Menschen, der Angst und Ungewissheit angesichts des Todes die Hoffnung entgegenzusetzen, dass es so schlimm schon nicht werden wird. Unabhängig von der Stärke ihrer religiösen Überzeugung ist die Aussicht auf ein finales Licht-Wärme-Bad im goldenen Strahlenkranz ja tröstlich. Ob es tatsächlich und endgültig so kommt, wird die Wissenschaft allerdings nie herausfinden können. Studien zum Thema leiden an der unüberwindbaren methodischen Schwäche, dass sie sich nur mit Probanden durchführen lassen, die zwar fast, aber eben noch nicht ganz tot waren.