Süddeutsche Zeitung

Nahrungsmittel der Zukunft:Fleisch aus dem Reaktor

Mit großem Aufwand versuchen Wissenschaftler und Industrie, das schon reichlich vorhandene Nahrungsangebot weiter aufzumotzen. Nichts scheint mehr unmöglich.

Katrin Blawat

Nie müssen die Deutschen fürchten, auf dem ersten Platz zu landen, wenn Studien den Anteil übergewichtiger Menschen in verschiedenen Ländern vergleichen.

Zuverlässig halten die Amerikaner die Spitzenposition - so auch bei der jüngsten Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Im Vergleich der 33 Mitgliedsstaaten landeten die USA auf Platz eins, Deutschland auf dem 15. Rang. Laut OECD galten hierzulande im vergangenen Jahr 60 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen als übergewichtig.

Allerdings muss nicht unbedingt schädlich sein, was offiziell als Übergewicht definiert ist. Immer wieder zeigen Studien, dass Menschen mit leichtem Übergewicht keine kürzere Lebenserwartung haben als sogenannte Normalgewichtige.

Doch etwas anderes lässt sich eindeutig aus den Statistiken ablesen: In den Industrieländern herrscht an Nahrung kein Mangel. Im Gegenteil: Wer hier aufwächst, lernt neben merkwürdigen Auswüchsen der Lebensmittelindustrie vor allem den Überfluss kennen. Und er konsumiert dementsprechend üppig, wie es Zahlen der Welternährungsorganisation FAO belegen. Ihren Angaben zufolge nehmen die Deutschen heute im Durchschnitt täglich knapp 3500 Kilokalorien zu sich, das sind etwa 20 Prozent mehr als vor 40 Jahren.

In den USA ist die Energiezufuhr im gleichen Zeitraum um etwa ein Drittel gestiegen, auf knapp 3800 Kilokalorien pro Tag. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist der Fleischverbrauch pro Kopf in den westlichen Ländern in den vergangenen Jahren jedoch konstant geblieben oder sogar leicht gesunken.

Mit großem Aufwand versuchen Wissenschaftler und die Nahrungsmittelindustrie, das ohnehin schon reichlich vorhandene Angebot weiter aufzumotzen. Zum Beispiel durch sogenanntes Functional Food, also Lebensmittel, die gesund machen oder wenigstens vor Krankheit schützen sollen.

Probiotische Joghurts als vermeintlicher Schutz vor Erkältungen, cholesterinsenkende Margarine, die Herzinfarkt und Schlaganfall vorbeugen soll und angeblich krebshemmende Vitamindrinks: Dies sind nur einige Beispiele für die Ideen eines Industriezweiges, der erkannt hat, dass die Grundbedürfnisse der Menschen in den westlichen Ländern längst befriedigt sind - und es nun darum geht, einen neuen lukrativen Markt zu schaffen.

Dass Experten den beworbenen positiven Effekt des Functional Food nicht belegen können - und sogar in einigen Fällen vor schädlichen Nebenwirkungen warnen - stört die Verbraucher offenbar nicht. So stieg der Umsatz mit probiotischen Joghurts 2008 um knapp ein Viertel; in etwa 60 Prozent der deutschen Haushalte fanden sich die aufgemotzten Milchprodukte.

Nicht weniger absurd als die überflüssige Anreicherung von Lebensmitteln erscheint, was Forscher mit Fisch und Fleisch anstellen. Momentan prüft die amerikanische Lebensmittelbehörde FDA die Zulassung eines gentechnisch veränderten Fisches. Der Lachs wurde so verändert, dass er sein Verkaufsgewicht in der Hälfte der üblichen Zeit erreicht - für Züchter eine verlockende Aussicht.

Kritiker befürchten jedoch Schäden für Mensch und Umwelt. In den Niederlanden versuchen Forscher der Universität Utrecht seit Jahren, aus einzelnen Zellen ein Schnitzel entstehen zu lassen. Tierische Produkte sollen im Bioreaktor entstehen, ohne den Umweg über Schwein, Rind oder irgendein anderes Lebewesen. Doch auch nach jahrelanger Tüftelei gibt es noch nicht einmal einen Prototyp des Kunstschnitzels.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2010/mcs
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