Lecker ist diese Therapie. Auch wenn sie außerhalb der heimischen Vegetationsperiode schwierig umzusetzen ist. Sechs Monate lang täglich 60 Gramm Erdbeeren stehen auf dem Behandlungsplan. Ob morgens, mittags oder abends, ist egal. Die Früchte können vor dem Essen eingenommen werden, Traditionalisten reichen sie jedoch zum Dessert. Das Ergebnis nach einem halben Jahr, das vor kurzem auf dem Kongress der amerikanischen Krebsforscher in Orlando präsentiert wurde, kann sich sehen lassen: Es gibt Hinweise auf eine verringerte Zahl von Krebsvorstufen der Speiseröhre; der Tumor im oberen Verdauungstrakt kann offenbar mit dem Griff zur Erdbeerschale gehemmt werden.
Auf den ersten Blick klingt das nach einer ebenso wohlschmeckenden wie verträglichen Therapie ohne Nebenwirkungen. Auf den zweiten Blick bleibt aber fast nichts als Zweifel. 36 Probanden nahmen an der Studie teil. Das sind viel zu wenige, um von einem Behandlungserfolg sprechen zu können.
Dünne Untersuchungen zur heilsamen Wirkung von Nahrungsmitteln sind kein Einzelfall. Immer wieder publizieren Forscher Studien zum vermeintlichen Nutzen von Ess- oder Trinkbarem. Italienische Kardiologen forschen sich Pizza schön, die angeblich vor dem Infarkt schützt. Forscher aus dem Bordeaux loben die gefäßschmeichelnden Eigenschaften des Rotweins. Norwegische Internisten erkennen günstige Auswirkungen von Lachs auf den Fettstoffwechsel.
Neben Regionalstolz spielen andere Gründe eine Rolle für die Flut an Fachartikeln, die eher Gastro-Kolumnen als wissenschaftlichen Beiträgen ähneln. Die Herausgeber von Fachzeitschriften schätzen Artikel, in denen der Nutzen von Kaffee fürs Gedächtnis, Bananen für die Stimmung oder Tomaten für die Kranzgefäße verbreitet wird. Das erhöht die öffentliche Wahrnehmung und Popularität der Zeitschrift. Medienberichte tun ein Übriges. Längst ist bekannt, dass Wissenschaftler, über deren Forschung in großen Zeitungen oder im Rundfunk berichtet wird, auch mehr Fördermittel bekommen. Die Forscher profitieren also auch materiell von solchen Arbeiten.
"Menschlich ist es verständlich, fachlich unbegreiflich, derartige Studien zu unterstützen", sagt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg, das die Qualität wissenschaftlicher Untersuchungen bewertet. "Man kann ja niemanden dazu zwingen, zwei Monate lang nur Pizza oder gar keine Pizza zu essen." Experimentell lässt sich die Fragestellung sowieso nicht untersuchen. Es bleiben daher nur die methodisch unzuverlässigen Beobachtungsstudien, in denen die Teilnehmer berichten, was sie getan und gelassen haben. Hinterher kann niemand mit Gewissheit sagen, ob sich ein paar Blutwerte wegen der Ernährungsumstellung verändert haben oder weil die Teilnehmer mehr schliefen und weniger Streit hatten.
Doch zurück zu den Erdbeeren. Nicht nur die Teilnehmerzahl der Studie ist zu gering. Zudem wurden Surrogatparameter gewählt - Entzündungswerte, Zellveränderungen, Biomarker. Surrogatparameter sind Laborwerte oder andere Messergebnisse, die - auch wenn sie positiv ausfallen - nicht bedeuten müssen, dass es den Patienten bessergeht und sie von einer Krankheit geheilt oder ihre Beschwerden gelindert wurden. Zwar erwähnen die Forscher, dass größere und gründlichere Studien nötig seien, doch Gruppenleiter Tong Chen sagt auch: "Unsere Studie ist wichtig, denn sie zeigt, dass Erdbeeren vielleicht die Entwicklung von Krebsvorstufen in der Speiseröhre verlangsamen können."
Das ist eine gewagte Aussage auf dieser schmalen Datenbasis, wenn nicht gar Unsinn. In der Vergangenheit ist es zu Dutzenden Arzneimittelskandalen gekommen, weil Mediziner auf ähnliche Weise günstige Blutwerte oder EKG-Veränderungen mit einem günstigen Krankheitsverlauf gleichsetzten. Das wohl schlimmste Beispiel betraf eine neue Medikamentenklasse gegen Herzrhythmusstörungen, die in den 1980er Jahren hunderttausendfach verschrieben wurde. 1991 stellte sich heraus, dass die Herzen der Patienten zwar regelmäßiger schlugen und sich ihr EKG normalisierte. Doch dafür starben mehr Menschen am Infarkt. Zehntausende Todesopfer forderte diese Therapie.
Erst 2010 hat die Europäische Arzneimittelagentur die Zulassung für das Diabetesmittel Rosiglitazone aufgehoben. Das Medikament senkt zwar im Blut das HbA1c - ein niedriger Wert zeigt an, dass die Zuckerkrankheit gut eingestellt ist. Bei Patienten, die das Mittel nahmen, traten jedoch häufiger Herzinfarkte auf.
Auch wenn die Gefahr schwerer Nebenwirkungen bei Lebensmitteln gering ist, sind "die Ernährungswissenschaften in einer bemitleidenswerten Lage", sagt Gerd Antes. "Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig. Deswegen gibt es immer wieder völlig widersprüchliche Ergebnisse."
Vor Jahren erschien eine Studie im angesehenen Fachblatt New England Journal of Medicine, die Walnüssen einen immensen gesundheitlichen Nutzen bescheinigte. Die Forscher beschrieben, dass die Früchte Blutdruck und Cholesterinspiegel und damit das Infarktrisiko senkten. Der Haken an der Sache: Man hätte 20 Prozent seiner täglichen Kalorienmenge mit Walnüssen abdecken und dazu täglich fast 100 Gramm zu sich nehmen müssen, um die gefäßschonende Wirkung zu erreichen. Die Untersuchung war von der kalifornischen Walnuss-Industrie unterstützt worden.
Neben solchen Studien, deren Ergebnisse fragwürdig sind und sich kaum auf den Alltag übertragen lassen, sind Untersuchungen beliebt, in denen ein einziger Stoff genauer unter die Lupe genommen wird. Gern in einer Dosis, die der zehnfachen Menge entspricht, die üblicherweise verzehrt wird, gern im Tierversuch mit gentechnisch veränderten Mäusen, die besonders empfindlich auf die Substanz reagieren. "Mice tell lies" - Mäuseversuche führen in die Irre, um es freundlich zu übersetzen.
Aus all dem folgt: Wissenschaften, die Lebensmitteln eine spezifische Wirkung zuschreiben, haben ein Problem. Kaum eine Forschungsrichtung ist so vielen Störfaktoren ausgesetzt - in erster Linie dem Störfaktor Mensch. Wenn etwa untersucht wird, wie sich der Marmeladekonsum auf Blutdruck oder Hormonspiegel auswirkt, spielt es nicht nur eine Rolle, wie viel Marmelade die Teilnehmer zu sich nehmen. Schließlich kann es sein, dass jene, die viel Marmelade essen, größere Genießer, sportlichere Menschen und bessere Schläfer sind und deswegen ausgeglichene Hormone und milden Blutdruck aufweisen. Mit der Marmelade hat das nichts zu tun.
Dänische Forscher stellten beispielsweise fest, dass Frauen, die regelmäßig Alkohol trinken, schneller und öfter schwanger werden. Dies war nicht auf eine die Fruchtbarkeit steigernde Substanz in Wein oder Bier zurückzuführen, sondern die Frauen tranken öfter in Gesellschaft und hatten eher Gelegenheit, sich fortzupflanzen. Wenn der Alkohol eine spezifische Wirkung hatte, dann die als sozialer Kitt.
Berücksichtigen Forscher die zahlreichen Störfeuer nicht, setzen sie abstruse Meldungen in die Welt, wonach Käsekuchen dumm macht oder Brokkoli Krebs verhindert. "Selbst bei der gepriesenen mediterranen Diät gibt es viele mögliche Einflussfaktoren", sagt Gerd Antes. Entspannter Lebensstil, Familienbande, Freizeitgewohnheiten, all das spielt womöglich eine größere Rolle als die Zusammensetzung der Nahrung. Es macht einen Unterschied, ob man sich missmutig in Olivenöl gedünstetes Gemüse einverleibt oder ausgelassen und mit guten Freunden ein Wildschwein vertilgt. Für die Gesundheit ist es wichtiger, welchen Stellenwert als welchen Nährwert das Essen hat.