Psychologie:Stellt euch nicht so an!

Psychologie: Nicht alle Männer weinen heimlich: Der Fußballspieler Dani Alves (rechts) tröstet den weinenden Neymar nach dem Elfmeterschießen beim WM-Spiel in Katar.

Nicht alle Männer weinen heimlich: Der Fußballspieler Dani Alves (rechts) tröstet den weinenden Neymar nach dem Elfmeterschießen beim WM-Spiel in Katar.

(Foto: Robert Michael/dpa)

Im Namen eines höheren Gutes Nachteile in Kauf nehmen? Das ist nur OK, wenn es Männer trifft - finden vor allem Frauen.

Von Sebastian Herrmann

Männer weinen heimlich, hat der Grönemeyer, Herbert mal gesungen. Das mag so sein, und vermutlich bleibt das aus einem schlichten Grund auch weiter so: Stimmen Männern öffentliche Klagen darüber an, dass sie es auch ein bisschen schwer haben, stoßen sie im günstigsten Fall auf Desinteresse. Jetzt stellt euch nicht so an, heißt es dann oft sinngemäß in sozialen Medien. In diesem Sinne lässt sich auch eine Studie interpretieren, die gerade Psychologen um Maja Graso von Universität Groningen in der Fachzeitschrift Archives of Sexual Behavior publiziert haben. Ziehen Maßnahmen, von denen am Ende alle oder wenigstens viele profitieren, Kollateralschäden nach sich, gilt dies vor allem dann als akzeptabel, wenn diese Nachteile Männer treffen. Und vor allem sind es offenbar Frauen, die so denken.

Die Psychologen um Graso legten ihren insgesamt mehr als 600 Probanden kurze Schilderungen sozialer Interventionen vor, die diese bewerten sollten. Dabei ging es zum Beispiel darum, das Arbeitsklima in einem großen Betrieb zu verbessern, Menschen mit chronischen Schmerzen zu helfen oder schwache Schüler zu unterstützen. Stets zogen die Maßnahmen allerdings Kosten nach sich, so wie es auch im echten Leben ist: Nicht ist umsonst und wenn der Preis nur in verstärkter Anstrengung besteht. Die Studienteilnehmer mussten schließlich angeben, wie akzeptabel die geschilderten Maßnahmen seien.

Generell, so die Forscher, hätten Männer mit wenig Mitleid zu rechnen

Die männlichen Probanden machten ihr Urteil im Durchschnitt nicht davon abhängig, ob die Kollateralschäden Männer oder Frauen trafen. Sie fanden in der Regel beides akzeptabel, wenn dafür ein höheres Gut beziehungsweise ein wünschenswertes Ziel erreicht würde. Das Urteil der Frauen fiel anders aus: Sie fanden es im Durchschnitt deutlich weniger akzeptabel, wenn Frauen die Kosten oder Kollateralschäden zu tragen hatten. "Männer zeigten keinen derartigen Gender-Bias", schreiben die Autoren um Graso. Nur in einer Variante der Experimente waren sich Frauen und Männer weitgehend einig: Ging es um Kinderbetreuung oder die Pflege von Alten oder anderen vulnerablen Personen, galt es allen im Durchschnitt als weniger akzeptabel, wenn Frauen die Kosten dafür zu tragen hatten, dass sich etwas zum Positiven ändert.

Frauen und Kinder zuerst: Das gilt also wohl nicht nur im Fall von Schiffsunglücken. Generell, so die Forscher um Graso, hätten Männer mit wenig Mitleid zu rechnen. In Studien zum berühmten Trolley-Problem - um mehrere Menschen zu retten, muss aktiv eine einzelne Person geopfert werden - zeigen Probanden weniger Skrupel, einen Mann als eine Frau dem Tod zu überlassen. Andere Studien zeigen, dass Männer im Vergleich zu Frauen härtere Strafen für die gleichen Vergehen bekommen und es in Notlagen auch weniger wahrscheinlich ist, dass ihnen geholfen wird. Das alles lege nahe, dass Kollateralschäden auch dann eher als akzeptabel gelten, wenn Männer diese zu tragen haben, so das Team um Graso.

Aber warum wird diese Ansicht in der aktuellen Studie fast exklusiv von Frauen vertreten? "Zahlreiche Studien belegen, dass Frauen einen stärkeren In-Group-Bias zeigen als Männer", schreiben die Psychologen. Frauen bevorzugen ihre Geschlechtsgenossinnen demnach stärker als Männer das ihrerseits untereinander machen. Zudem sei das Stereotyp verbreitet, so die Psychologen, dass Frauen ohnehin eher Opfer seien. Und wer unter Beifall darüber klagen kann, wie schwer man es immer hat, ist natürlich nicht bereit, Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Auch dann nicht, wenn dies zu einem höheren Zweck geschehen soll.

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