Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Superstar der Statistik

Hans Rosling war genial darin, mit Zahlen die Welt zu erklären. Bei Vorträgen schluckte der Forscher auch mal ein Schwert. Nun ist der Kämpfer für globale Entwicklung im Alter von 68 Jahren gestorben.

Nachruf von Kai Kupferschmidt

Wie viele Kinder bekommen Frauen in Bangladesch im Durchschnitt? Das ist die Art Frage, die der berühmte Statistiker Hans Rosling immer wieder stellte. Die meisten Menschen vermuten, dass es vier oder fünf sind. Tatsächlich sind es 2,2. "Das Problem ist, dass weder die Schulen in Nordamerika und in Europa noch die Medien ein Bild der Welt vermitteln, das auf Fakten basiert", sagte Rosling.

Gegen diese Ignoranz kämpfte der Schwede sein Leben lang mit Fakten und Humor und er wurde damit berühmt. Seine Videos wurden online von Millionen gesehen, Bill Gates, Mark Zuckerberg und Fidel Castro fragten ihn um Rat, mit seinen Vorträgen verdiente er mehr als eine halbe Million Euro im Jahr. Das Geld investierte er in seine Stiftung "Gapminder", die es sich zum Ziel gesetzt hat, Daten zur globalen Entwicklung verfügbar und verständlich zu machen. Eine weitere Frage, die Rosling gerne stellte: Was ist die Lebenserwartung weltweit gesehen - 50, 60 oder 70 Jahre?

Die meisten Menschen vermuteten 50 oder 60 Jahre. Dabei sind es inzwischen 70 Jahre. Rosling selbst war kein so langes Leben vergönnt. Der "Superstar der Statistik", "der Rockstar der Datenvisualisierung" ist am Dienstagmorgen im Alter von 68 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben.

Rosling sammelte früh Erfahrungen in armen Ländern der Welt. 1981 als junger Arzt in Mosambik saß er plötzlich einer Schlange von 30 Frauen und Kindern gegenüber, deren Beine gelähmt waren. "Ich hatte dieses große Neurologiebuch und ihre Krankheit war da nicht drin." Einige Wochen vorher war ein südafrikanisches U-Boot in einer Bucht beobachtet worden. Es schien möglich, dass es sich bei der Krankheit um einen Angriff mit Biowaffen handelte. Als Rosling am Abend nach Hause kam, umarmte er seine Frau nicht. Stattdessen bat er sie, die Kinder zu nehmen und in Sicherheit zu bringen. "Wenn Sie eine Krankheit konfrontieren, die ansteckend sein könnte, blockiert das 98 Prozent Ihres Intellekts", sagte Rosling. "Sie bekommen Angst, denken, dass sie sterben könnten, dass sie den Rest ihres Lebens gelähmt sein werden, Sie denken an Ihre Kinder."

Der Ausbruch zeigte Rosling auch auf tragische Weise, dass jede Handlung unvorhersehbare Konsequenzen haben kann. Weil er nicht ausschließen konnte, dass die Krankheit infektiös ist, sperrte die Regierung Mosambiks die wichtigste Straße in der Region. Einige Menschen versuchten, die Blockade mit einem Boot zu umgehen, doch das Boot sank. "Ich habe da gestanden und die Leichen von 18 Frauen und Kindern gesehen, die wegen dieser Straßensperrung gestorben sind", sagte er. "Das lässt Sie nicht wieder los. 18 Leichen von Menschen, die Sie getötet haben."

Ein Ted-Vortrag machte Rosling zum Internet-Star

Es dauerte zwei Wochen bis klar war, dass die Krankheit nicht ansteckend sondern durch giftige Stoffe in Maniokwurzeln verursacht worden war. Rosling schrieb seine Doktorarbeit über die Krankheit, die Konzo heißt. Später wurde er Professor für Weltgesundheit am renommierten Karolinska-Institut in Stockholm. Ein Ted-Talk 2006, in dem er am Ende ein Schwert schluckt, machte ihn zur Internet-Sensation.

Das Video ist mehr als 11 Millionen Mal angeschaut worden. Es folgten Vorträge auf der ganzen Welt, Dokumentationen in der BBC:

Wenn sich die Chance zu handeln bot, ergriff Rosling sie. Im Herbst 2014 sagte er alle Vorträge ab, verabschiedete sich von seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln und flog nach Monrovia, um beim Kampf gegen Ebola zu helfen. Mit seiner Unterstützung verbesserte das Gesundheitsministerium die Erfassung von Kranken und Verdachtsfällen.

Die meisten Menschen würfen alle Entwicklungsländer in einen Topf, sagte Rosling. Dabei seien die Unterschiede riesig. Auf der Welt lebten etwa 1,5 Milliarden Menschen mit Glühbirne und Waschmaschine, 4 Milliarden Menschen lebten nur mit der Glühbirne und 1,5 Milliarden Menschen hätten weder das eine noch das andere. Die Bevölkerung in Liberia, Sierra Leone und Guinea fällt größtenteils in die letzte Kategorie. "Das ist ein Grund, dass es hier zu so einen großen Ebola-Ausbruch kommen konnte."

Roslings Art war mitunter selbstherrlich, seine Ungeduld, wenn Menschen anderer Meinung waren, anstrengend. "Ich finde ihn ziemlich nervig", sagte ein Kollege einmal. "Vor allem weil er am Ende meist Recht behält." Als er mit einem Artikel in der New York Times unzufrieden war, verkündete er auf Twitter, der Autor habe den "Preis für den falschesten Ebola-Artikel" verdient. Aber Rosling war stets getrieben von dem Wunsch, die Welt zu verbessern. "Im Grunde seines Herzens war er ein Aktivist", sagt Seth Berkley, der die Impfstoffallianz Gavi leitet und Rosling viele Jahre kannte. Wenig bekümmerte Rosling so sehr wie das Gefühl, mit seiner Arbeit wenig verändert zu haben.

Doch Berkley glaubt, dass das Gefühl nur teilweise berechtigt war. "Er hat vielleicht keine große Forschung betrieben oder neue Daten generiert, aber er war brillant darin, komplizierte Sachverhalte herunterzubrechen", sagt Berkley. "Er hat einer ganzen Generation beigebracht, anders zu kommunizieren und am Ende ist es diese Kommunikation, die die Welt verändern wird."

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SZ vom 09.02.2017/chrb
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