Nachhaltigkeit:Bioplastik: Besser als sein Ruf?

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Milchprodukte im Supermarkt - meist im portionierten Kunststoffbecher.

(Foto: imago/Jochen Tack)

Bioplastik war die große Hoffnung auf mehr Nachhaltigkeit, inzwischen haben die Verpackungen ein Imageproblem. Hat es eine zweite Chance verdient?

Von Henrike Wiemker

Als Anfang 2011 der Joghurtbecher aus herkömmlichem Plastik durch einen aus Biokunststoff ersetzt wurde, war die Hoffnung beim Weltkonzern Danone noch groß. Activia, ein angeblich besonders gesundheitsförderlicher Joghurt, sollte durch eine umweltfreundliche Verpackung noch besser (verkäuflich) werden. Der WWF hatte den Joghurtbecher mitentwickelt, eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg zeigte, dass das neue Behältnis weniger Treibhausgase verursachte als das alte. Doch statt öffentlicher Begeisterung hagelte es Kritik. Die Deutsche Umwelthilfe warf dem Konzern Verbrauchertäuschung vor, verklagte ihn sogar wegen irreführender Werbung. Danone hatte den Becher als "umweltfreundlicher" beworben - und musste diese Formulierung nach dem Gerichtsurteil unterlassen. Die IFEU-Studie zeigte nämlich auch, dass die Umweltbilanz des neuen Bechers in mancher Hinsicht schlechter ausfiel als die des alten: Weniger Treibhausgase, ja - doch alles in allem war er schlicht nicht "umweltfreundlicher". Heute, gut fünf Jahre später, gibt es den Becher immer noch, doch Biokunststoffe sind aus dem öffentlichen Fokus weitgehend verschwunden.

"Der deutsche Markt ist tot, zumindest stark gelähmt", sagt Harald Käb, der seit mehr als 20 Jahren in der Biokunststoffbranche arbeitet und inzwischen als selbstständiger Berater dort tätig ist. Der schwache Markt hängt Käb zufolge zum Teil mit Negativbeispielen wie dem Danone-Becher und der starken öffentlichen Kritik daran zusammen. Aber es gibt auch grundlegendere Ursachen, die schon bei den Begriffen beginnen. Denn "Biokunststoff" kann Verschiedenes bedeuten: Manche Materialien sind biobasiert, also aus nachwachsenden biologischen Rohstoffen. Andere sind bioabbaubar, können also unter bestimmten Bedingungen biologisch zersetzt werden. Und auf manche Materialien trifft beides zu.

"Biobasiert und bioabbaubar sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe", sagt Käb. "Es ist ungünstig, dass gemeinhin beides zusammengefasst wird." Ganz ähnlich sieht es auch Andreas Detzel vom IFEU: "Die bioabbaubaren Materialien sind eigentlich nur eine kleine Nische. Doch im europäischen Branchenverband European Bioplastics setzen einige Hersteller trotzdem darauf. Dadurch ist das Bild, das in der Kommunikation entsteht, nicht differenziert genug."

Aus natur 12/2016

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  • natur 12/2016

    Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 12/2016 auf natur.de...

Tatsächlich differenziert sich das Meinungsbild, wenn man Wissenschaftler, Branchenvertreter und Umweltaktivisten separat nach biobasierten und bioabbaubaren Kunststoffen fragt. Bei biobasierten Stoffen ist selbst die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nicht abgeneigt. "Es ist wichtig, dass wir von den fossilen Rohstoffen wegkommen - und zwar irgendwann auch beim Kunststoff", erklärt Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft der DUH.

Der Joghurtbecher von Danone besteht aus PLA, kurz für "polylactid acid" - Milchsäure. Der Stoff wird aus Stärke gewonnen, basiert zum Beispiel auf Zuckerrohr, Mais oder Kartoffeln. So weit, so okay. Aber: Er wird außerdem als bioabbaubar beworben. Das ist er zwar, zumindest in der Theorie. "Für sich genommen ist der Begriff 'bioabbaubar' allerdings sinnfrei", meint Harald Käb. "Denn man muss immer dazu sagen, in welcher Umgebung etwas abgebaut werden kann und wie lange das dauert." Manches kann auf dem heimischen Kompost zersetzt werden, anderes nur in industriellen Kompostieranlagen. Dort wiederum werden manche Biokunststoffe aussortiert, weil sie selbst in den optimierten Anlagen zu lange bräuchten, um sich zu zersetzen. Prinzipiell bioabbaubare Stoffe landen so letztlich in herkömmlichen Verbrennungsanlagen. Und Müll aus bioabbaubarem Plastik, der (versehentlich) in der Umwelt und schließlich im kalten Meer landet, verhält sich dort unter Umständen kaum anders als herkömmliches Plastik: Es dauert Jahrzehnte oder Jahrhunderte, bis die Stoffe sich zersetzen.

Danone und der WWF empfahlen Kunden, die den PLA-Joghurtbecher kauften, ihn zusammen mit anderen Verpackungen dem Gelben Sack zuzuführen. Hier jedoch lauert ein weiteres Problem. "Es gibt keine eigenen Recyclingströme für PLA", erklärt Christian Schulz vom Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe, kurz IfBB, in Hannover. "Technisch wären Sortieren und Recycling kein Problem. Doch die Mengen sind zu klein, solche Sortieranlagen leistet sich aktuell niemand." Ein Henne-Ei-Problem. Es führt dazu, dass Verpackungen aus bioabbaubaren Materialien wie PLA aus dem Gelben-Sack-Müll aussortiert und verbrannt werden.

Besonders häufig wird bioabbaubares Plastik für Catering-Geschirr, Kaffeebecher und andere Einweggegenstände verwendet. "Dadurch wird eine Müllkultur gefördert", findet Fischer von der DUH. "Die Leute nutzen Einwegprodukte und denken, das sei nicht so schlimm, denn es ist ja bioabbaubar." Tatsächlich wurden in den Fußballstadien mehrerer Bundesligavereine Mehrwegbecher durch bioabbaubare Einwegbecher aus PLA ersetzt. Das ergibt wenig Sinn, denn im Vergleich mit Mehrwegbechern schneiden sie bei Entsorgung, Ressourcenverbrauch und CO₂-Ausstoß deutlich schlechter ab. Letztlich verbrauchen wir zu viel Kunststoff und müssen unseren Konsum an dieser Stelle deutlich reduzieren - das finden Umweltaktivist Fischer, Unternehmensberater Käb und Wissenschaftler Detzel gleichermaßen.

Bioplastik könnte helfen, den Erdölbedarf zu senken

Andererseits, auch da sind sich alle Seiten einig, kommen wir am Kunststoff kaum vorbei. Zumindest in näherer Zukunft kann man nicht davon ausgehen, dass alle Kunststoffmaterialien vom Abflussrohr über die Chipstüte bis hin zum Hüftimplantat durch Alternativen ersetzt werden können. Deshalb ist auch PLA für Nischenanwendungen wie Abdeckfolien, Gebissschutz oder andere Plastikteile in der Land- und Forstwirtschaft durchaus sinnvoll. Außerdem kann es gut für langfristige Anwendungen eingesetzt werden, etwa in Armaturenbrettern von Autos. Fehlende flächendeckende Recyclingströme sind hier weniger von Bedeutung als beim Joghurtbecher.

Entscheidend bei langfristigen Anwendungen wie dem Armaturenbrett ist jedoch vor allem, dass das Plastik auf biologischen Rohstoffen basiert, denn diese können einen Beitrag dazu leisten, unseren Verbrauch an fossilen Rohstoffen zurückzufahren - eine der großen globalen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. Die Produkte der organischen Chemie in Deutschland entstehen aktuell noch zu 85 Prozent aus fossilen Rohstoffen. Fast alle Kunststoffe lassen sich theoretisch biobasiert herstellen, bei vielen ist es ökonomisch noch nicht sinnvoll, bei manchen aber rechnet es sich bereits. All diese neuen Stoffe basieren entweder auf Zucker oder auf Stärke, die in der Regel aus Mais, Weizen oder Kartoffeln gewonnen wird, manchmal auch aus anderen pflanzlichen Materialien. Zucker stammt meist aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben. In vielen Schritten werden aus diesen Grundstoffen zunächst Zwischenprodukte wie Glucose, Milchsäure oder Ethanol und schließlich die verschiedenen Kunststoffe.

Mais für Kunststoffe statt für Nahrungsmittel?

Diese lassen sich wiederum in zwei Gruppen aufteilen: Solche, deren chemische Zusammensetzung völlig neu ist; zu ihnen zählt das PLA des Danone-Joghurtbechers. Und andererseits sogenannte Drop-in-Stoffe, die chemisch identisch mit herkömmlichen Kunststoffen sind, etwa biobasiertes PET. Das hat Vorteile bei der Verwertung, denn es kann gemeinsam mit herkömmlichem, erdölbasiertem PET recycelt werden. Das gleiche gilt für die Produktion: Gemeinsam mit dem erdölbasierten Ethanol fließt das Bioethanol in schon bestehende Maschinen und Anlagen. Prozesse müssen nicht grundlegend verändert werden - somit ist es leichter, das Material auf dem Markt zu etablieren. Coca Cola setzt zum Beispiel darauf und hat 2009 eine Flasche eingeführt, die zu 14 bis 19 Prozent aus Bio-PET besteht.

Kritisiert werden biobasierte Kunststoffe häufig wegen der Herkunft ihrer Rohstoffe. "Aus landwirtschaftlichen Produkten Biokunststoffe herzustellen, das können wir nicht unterstützen", meint Fischer von der DUH. Tatsächlich ist die Landwirtschaft einer der Faktoren, die die Ökobilanzen von biobasierten Kunststoffen verschlechtern. "Der Acker ist grundsätzlich emissionsintensiv", erklärt Andreas Detzel vom IFEU. "Der Nährstoffeintrag ist hoch, Böden versauern." Hinzu kommt, dass Anbaupflanzen in den USA und Südamerika häufig gentechnisch verändert sind. Trotzdem fügt Detzel hinzu: "Bisher ist Zuckerrohr aus Brasilien für die Herstellung von Bioethanol noch am günstigsten, finanziell und auch ökologisch, weil man dort relativ kostengünstig produzieren kann. Und der große Energiebedarf lässt sich mit Reststoffen aus der Zuckerrohrverarbeitung decken, die verbrannt werden."

Kreislaufwirtschaftsexperte Fischer von der DUH schlägt vor, stattdessen zur Herstellung von Biokunststoff biogene Abfälle zu nutzen, etwa aus dem Hausmüll oder der Biotonne. Tatsächlich wird daran geforscht, ebenso wie an der Verwendung von Reststoffen - die Blätter von Maispflanzen etwa oder Überbleibsel aus der Holzverarbeitung. Auch Abwasser ist ein möglicher Rohstoff. "Aktuell wird für Biokunststoffe noch eigens Mais angebaut, aber das wird in Zukunft nicht mehr so sein", sagt Schulz vom IfBB voraus. Für die Anwendung ausgereift sind diese Techniken aber noch nicht.

Wo Mais für Bioplastik angebaut wird, fehlt Fläche zum Anbau von Nahrungsmitteln - auch das ist ein häufiges Argument gegen biobasierte Kunststoffe. Almut Jering, beim Umweltbundesamt zuständig für biotische Rohstoffe und ressourcenschonende Landnutzung, differenziert dieses Argument jedoch. "Eine Flächenkonkurrenz gibt es derzeit nicht", sagt sie. Global gesehen beträgt die Fläche, die für Biokunststoffproduktion verwendet wird, etwa 0,7 Millionen Hektar, das ist ungefähr die doppelte Fläche von Mallorca. Und auch beim erwarteten Anstieg der Produktion wären es im Jahr 2019 nicht mehr als 1,4 Millionen Hektar. "Doch wir haben die Klimaziele für 2050", so Jering. "Wenn wir die erreichen wollen, müssten wir von den fossilen auf biobasierte Kunststoffe umsteigen." Ein Dilemma, denn dann wäre die Flächenkonkurrenz akut, weiß Jering: "Wir müssen definitiv unseren Konsum herunterschrauben, weniger Rohstoffe, weniger Fläche verbrauchen."

"Die Chemie- und Kunststoffindustrie in Deutschland ist extrem konservativ"

Weltweit werden derzeit etwa 250 Millionen Tonnen Kunststoffe im Jahr hergestellt. Wollte man die komplett durch biobasierte Kunststoffe ersetzen, ergibt sich daraus bei aktueller Produktionseffizienz rein rechnerisch ein Flächenbedarf von 100 Millionen Hektar, was gut sieben Prozent des globalen Ackerlands entspricht. Diese Zahl ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn einerseits geht man davon aus, dass die Herstellungsverfahren in den nächsten Jahren effizienter werden, was den Flächenbedarf verringern würde. Auch lässt sich nicht alles Plastik ohne weiteres eins zu eins durch einen Biokunststoff ersetzen, was ebenfalls Einfluss auf die benötigte Anbaufläche hat. "Es sind gesellschaftliche Abwägungen, ob wir die Fläche zur Nahrungsmittelproduktion, für Bioenergie, Naturschutzgebiete oder etwas anderes vorsehen." Weil auch sie glaubt, dass wir nicht völlig auf Kunststoff verzichten können, hält Jering "Biokunststoffe für einen Bereich, der viel Potenzial bietet".

Neben dem Ackerbau sorgen weitere Faktoren in der Produktionskette von Biokunststoffen dafür, dass deren Ökobilanz häufig kaum besser, manchmal sogar schlechter ist als die von erdölbasierten. Allerdings haben auch diese Bilanzen meist weniger mit den Stoffen selbst als mit globalen Wirtschaftsstrukturen zu tun. So gab es zum Beispiel mit Indian Glycols lange Zeit nur einen einzigen großen Hersteller von biobasiertem Monoethylenglycol, dem Grundstoff für biobasiertes PET. Die Firma sitzt in Indien. Den Rohstoff Zuckerrohr gibts aber am günstigsten in Brasilien. Die Weiterverarbeitung zu Bio-PET geschieht wiederum woanders. Transportwege um den halben Globus wirken sich auf die Ökobilanz natürlich extrem negativ aus. Auch der Energiemix in den weiterverarbeitenden Ländern hat Auswirkungen, etwa der hohe Kohleanteil im Strommix der USA.

Aufgrund solcher spezifischer Faktoren lassen sich keine Pauschalaussagen über die Ökobilanz von Biokunststoffen treffen. Stattdessen, meint Andreas Detzel vom IFEU, müsse man jedes Produkt einzeln betrachten. Die Jury des Blauen Engels, des Siegels des Umweltbundesamtes, hat damit angefangen und beispielsweise einige Büroartikel als umweltfreundlich ausgezeichnet.

Da der Markt für Biokunststoffe noch klein ist und viele Verfahren im Vergleich zur konventionellen Kunststoffherstellung noch neu sind, gibt es bei der Produktion noch eine Reihe von Kinderkrankheiten. Detzel vom IFEU sagt: "Es werden zwar permanent Lieferketten optimiert, aber nicht in dem Ausmaß, das technisch möglich wäre. Zurzeit investiert kaum jemand in dem Bereich, weil der Ölpreis so niedrig ist und es sich nicht lohnt."

Ob der Markt in naher Zukunft deutlich wachsen wird, ist schwer zu sagen. Damit sich ein neues Produkt etabliert, müssen seine produzierte, aber auch die nachgefragte Menge groß genug sein. Um diese Mengenhürde zu überwinden, könnte öffentliche Förderung helfen. Doch die Lobby der Biokunststoffe ist schwach. "Die Chemie- und Kunststoffindustrie in Deutschland ist extrem konservativ", sagt Unternehmensberater Käb. Große Konzerne wie Bayer oder BASF forschten zwar in den entsprechenden Bereichen, hätten aber kein Interesse an politischen Eingriffen. Schließlich erzielen sie einen großen Teil ihrer Gewinne mit herkömmlichen Kunststoffen auf Erdölbasis. Und dass Umweltverbände sich öffentlich für Bioplastik aussprechen oder gar für deren Förderung einsetzen, scheint auch unwahrscheinlich.

Im Gespräch zeichnet zwar auch die Deutsche Umwelthilfe ein differenziertes Bild von biobasierten Kunststoffen und sieht sie durchaus als eine Möglichkeit, um bei vielen Kunststoffanwendungen auf fossile Rohstoffe verzichten zu können. Doch ihre lautstarke Empörung über das Greenwashing beim Danone-Becher werden wohl weder die DUH noch die Öffentlichkeit so schnell vergessen.

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