Dämmen ist als Thema nicht gerade sexy: der Aufwand, der Baulärm, die Kosten. Da kann ein prominenter Werbeträger wie Ulrich Wickert nicht schaden. Als Botschafter der Kampagne Dämmen-lohnt-sich.de wirbt der Ex-Tagesthemen-Moderator dafür, Häuser warm einzupacken. "Damit zeigen wir Verantwortung für die Umwelt", sagt Wickert in einem Fernsehspot. Lächelnd steht er vor einem Haus, in der Einfahrt spielen Kinder, drinnen liegt ein Paar kuschelnd auf dem Sofa. Man denkt an wärmende Wände, niedrige Heizkosten, Umwelt- und Klimaschutz. Nur eines klammert der hübsche Imagefilm von Firmen wie Baumit, Brillux, DAW und Sto gekonnt aus: Womit dämmen wir eigentlich?
In Deutschland kleben oder dübeln Handwerker meist Dämmplatten an die Außenwand, die anschließend mit einem dünnen Deckputz verkleidet wird. Wärmedämmverbundsystem (WDVS) nennt sich diese Thermopackung. Rund 900 Millionen Quadratmeter Platten wurden auf diese Weise bislang an deutsche Häuser gepappt — eine Fläche in etwa so groß wie das Bundesland Berlin. Allein 2012 zimmerte die Branche etwa 40 Millionen Quadratmeter an heimische Fassaden.
In drei von vier Fällen steckt hinter der dünnen Putzschicht ein Produkt aus expandiertem Polystyrol, besser bekannt als Styropor. Es ist günstig und besitzt gute Dämmeigenschaften — besonders umweltfreundlich ist es allerdings nicht. Zwar bestehen Polystyrolplatten zu 98 Prozent aus Luft und nur zu zwei Prozent aus Kunststoff, sie sind also im Prinzip "verpackte Luft", wie es BASF, einer der weltweit größten Hersteller, gern beschreibt. Deshalb dämmt Styropor auch so gut. Der Rohstoff für diese Verpackung, ein kugelförmiges Granulat, wird jedoch aus Rohöl gewonnen. Mit Hilfe von Wasserdampf schäumt man die millimeterkleinen Kügelchen auf das 20- bis 50-fache ihres ursprünglichen Volumens auf und backt sie in speziellen Öfen zu Dämmplatten.
Die Förderung orientiert sich nur an der Heizkostenersparnis, der Baustoff spielt keine Rolle
"Wir kleben ein Erdölprodukt auf unsere Häuser", kritisiert der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler - und das obwohl der weltweite Vorrat an fossilen Brennstoffen zur Neige geht und die Risiken der Ölförderung zunehmen. Hinzu kommt: Um ein Kilogramm Styropor herzustellen, braucht man rund fünf Kilogramm Erdöl. Die Umweltbilanz ist also denkbar schlecht. Viele Bauherren interessiert das allerdings wenig, denn der künstliche Stoff ist billig. Um den Dämmwert gemäß Energieeinsparverordnung zu erreichen, kostet eine Polystyrolplatte für den Dachbereich rund 12,50 Euro pro Quadratmeter, Glaswolle etwa 16,50 Euro. Einblaszellulose, der mit Abstand günstigste Naturdämmstoff, liegt bei 17,50 Euro, Hanf oder Flachs dagegen bei 30 Euro.
Entsprechend gut verkauft sich Styropor. Ganze Straßenzüge verschwinden unter oberschenkeldicken Hartschaumplatten. Bis 2050 sollen 90 Prozent der bundesweit rund 19 Millionen Büro- und Wohngebäude klimafreundlich saniert sein. So wollen es die ehrgeizigen Pläne der Bundesregierung. Sie pumpt großzügig Zuschüsse in die energetische Sanierung. Doch die Förderung orientiert sich ausschließlich an der erzielten Heizkostenersparnis, der Baustoff spielt keine Rolle.
Dabei beobachten Baugutachter auch schwerwiegende Nachteile an WDVS-Fassaden. Weil kaum Wärme nach außen gelangt, kühlt die Oberfläche nachts rapide ab. Feuchtigkeit kondensiert und bildet Tauwasser — ein idealer Nährboden für Algen, Bakterien und Schimmelpilze. Schon nach wenigen Monaten prangt an manchen Fassaden ein grau-grüner Pelz. Um Algen und Schimmel den Garaus zu machen, mischt die Baustoffindustrie Algizide und Biozide in die Kunstharzputze und Dispersionsfarben. "Wenn es aber länger stark auf die Fassade regnet, werden die Mittel mit der Zeit ausgewaschen", mahnt Michael Burkhardt von der Hochschule für Technik im schweizerischen Rapperswil. Je nach Niederschlagsmenge und Standort kann der Putz in den ersten anderthalb Jahren bis zu 20 Prozent der Algizide freigeben, so der Geowissenschaftler. Zu den Herbiziden zählen Wirkstoffe wie das gewässergefährdende Diuron oder das Nervengift Terbutryn. Gelangen diese Chemiekeulen ungefiltert in Bäche und Flüsse, beeinträchtigen sie nicht nur die Gewässerqualität, sondern schädigen auch Flora und Fauna.
Was Bauherren zunächst sparen, müssen sie später für die Wartung aufwenden
Inzwischen sind viele Hersteller dazu übergegangen, die Biozide im Putz auf Mikroebene zu verkapseln. Dadurch streckt sich die Auswaschung zwar über einen längeren Zeitraum, verhindert wird sie aber nicht. Besser wäre es, erst gar keine Biozide beizumischen, sagt Burkhardt. Sein Anti-Algen-Rezept: "Mineralfarben und mineralische Putze statt Silikon- oder Kunstharzputze." Und eine andere Architektur: "Viele Häuser stehen heute ohne vernünftigen Dachüberstand nackt im Regen." Gewässerschutz beginnt bei der Fassade, findet der Forscher. Richtig angekommen ist seine Botschaft noch nicht: Manche Hersteller bieten ihren Putz für ein Zehntel von dem an, was Qualitätsprodukte kosten. Viele Bauherren greifen deshalb gern zu herkömmlichen Produkten. "Die Biozidbelastung ist ja nicht direkt spürbar: Das Wasser fließt ab und kaum jemanden stört es."
Nicht minder problematisch ist die Entsorgung der Dämmplatten: Nach ihrer Lebensdauer müssen die WDVS-Styroporplatten abgerissen oder erneuert werden. Der Hersteller Sto bietet sogar die Sanierung alter WDVS an. In einer Broschüre wirbt Sto dafür, unvermeidbare Schäden sogar zu beheben: Risse im Putz, Abplatzungen und Schäden, etwa durch Fußbälle, Fahrradlenker oder Spechte, die Löcher in die Fassade hacken. Über dem alten Dämmverbund wird flugs ein neuer montiert, weg sind all die unschönen Makel. "Die wollen selbst mit der Reparatur noch Geld verdienen", moniert Architekt Mäckler. Das Ausbessern ist ein gutes Geschäft. Nach 80 Jahren summieren sich die Kosten für die Instandsetzung einer WDVS-Fassade auf mehr als 1300 Euro pro Quadratmeter, hat das Institut für Bauforschung in Hannover errechnet. Es waren die mit Abstand höchsten Folgekosten unter den üblichen Fassadenkonstruktionen. Was Bauherren bei der Anschaffung eines Styropor-WDVS sparen, geht später für die Wartung drauf.